Vor oder nach der Bundestagswahl?

Das nächste Sparpaket kommt bestimmt

Berlin - 11.09.2024, 15:30 Uhr

Thomas Müller (BMG) und Dorothee Brakmann (r.) diskutieren über die Zukunft der Pharmabranche. (Foto: Pharma Deutschland / Svea Pietschmann)

Thomas Müller (BMG) und Dorothee Brakmann (r.) diskutieren über die Zukunft der Pharmabranche. (Foto: Pharma Deutschland / Svea Pietschmann)


Im nächsten Jahr könnten für die Pharmabranche wieder „dunkle Wolken“ aufziehen. Thomas Müller, für Arzneimittel zuständiger Abteilungsleiter im BMG, geht davon aus, dass die nächsten Kostendämpfungsmaßnahmen vor der Tür stehen. 

Beim Verband Pharma Deutschland freut man sich, dass die Bundesregierung den Wert der Pharmabranche erkannt hat. „Pharma schlägt Auto“, wagte Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann bei der öffentlichen Mitgliederversammlung ihres Verbandes an diesem Mittwoch zu behaupten. Ganz so weit will Thomas Müller, Leiter der Abteilung 1 (Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie) im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nicht gehen; aus seiner Sicht sind beide Branchen für Deutschland von großer Bedeutung. Aber mit ihrer Pharmastrategie hat die Bundesregierung – und federführend das BMG – durchaus etwas in Bewegung gesetzt. Der Anfang sei gemacht, erklärte Müller in einem Podiumsgespräch mit Brakmann. Die ersten Maßnahmen kommen mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG), das vom Bundestag bereits beschlossen ist, aber noch einmal den Bundesrat passieren muss. Doch dann gehe es um die Umsetzung. Und alle werden scharf beobachten, wie sich die Situation entwickelt.

Intelligente Konzepte gefragt

Auch wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) laut Müller „extrem innovationsoffen“ sei – Innovationen kosten auch Geld. Der Minister hat bereits Beitragssatzsteigerungen fürs kommende Jahr angekündigt. Und nach den jüngst veröffentlichten GKV-Finanzergebnissen fürs erste Halbjahr 2024, insbesondere der zweistelligen Steigerung bei den Arzneimittelausgaben, erwartet Müller 2025 „ein paar dunkle Wolken“. Ohne erneute Kostendämpfungsmaßnahmen werde es wohl nicht gehen. Allerdings: In einem Wahljahr werde sich die Politik möglicherweise zurückhalten. Doch Müller ist sich gewiss, dass an ihn als Beamten die Frage herangetragen werde, was angesichts der „herausragenden“ Kosten für Arzneimittel zu tun sei. Spätestens nach der Wahl werde man über ein weiteres Gesetz zur Stabilisierung der GKV-Finanzen nachdenken müssen. Dann brauche man „intelligente Konzepte“.

Brakmann erwiderte, dass die Arzneimittelausgaben keineswegs besonders herausragend seien – die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen gebe es aufgrund der demografischen Entwicklung überall. Der Reflex, bei Arzneimitteln mit einem höheren Herstellerrabatt zu sparen, sei immer schnell da – es ist schließlich eine sehr einfache Maßnahme. Doch es gebe auch andere Lösungsvorschläge, um Effizienzreserven zu heben, etwa durch eine Stärkung der Selbstmedikation. Jedenfalls sei es kontraproduktiv, eine Branche, „die verzweifelt vor Ihnen sitzt“ einerseits zu fördern und andererseits mit neuen Sparmaßnahmen zu bedenken. „Das würde erheblich weh tun und wieder zu Auslistungen führen.“ Brakmann warb dafür, sich lieber noch einmal zusammenzusetzen und ausloten, wo an anderen Stellen Effizienzreserven gehoben werden könnten.

Verzweifelte Apotheker

Müller reagierte darauf mit einem Hinweis auf die Apotheker, die bei einer Veranstaltung tags zuvor „deutlich verzweifelter“ gewesen seien. Er ließ zugleich anklingen, dass diese im Zusammenhang mit der Finanzierungsdebatte erklärt hätten, es gebe 900 Krankenhäuser zu viel – dabei beklagten sie selbst zurückgehende Apothekenzahlen. Dies, so betonte Müller, sei kein „Blaming“, aber ein Beispiel, dass es schwierig sei, wenn eine Branche auf die andere zeige.

Overwiening: Misstrauenskultur überwinden

In einer anschließenden Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Pharmaindustrie, Ärzteschaft, Krankenkassen und Apotheken zeigte sich allerdings der klare Wille, gemeinsam Lösungen zu finden. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening plädierte erneut eindringlich dafür, die bestehende Misstrauenskultur zu überwinden. Auch sie habe in die (Über-)Regulierungswut geführt. Die Apothekerinnen und Apotheker hätten durchaus konstruktive Vorschläge, sie seien bereit für Innovation und Veränderung. So würden sie zum Beispiel gerne mehr tun, um Arztpraxen zu entlasten (etwa indem sie nicht bei jedem aufgrund von Engpässen nötigen Austausch der Darreichungsform dort ein neues Rezept anfragen müssen). Sie könnten auch den Versicherten helfen, ihre elektronische Patientenakte zu verstehen und nicht zuletzt einen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen dank präventiver Maßnahmen gar nicht erst krank werden. „Wir sind alle gefordert, dafür zu sorgen, dass die Menschen gesünder älter werden“, so Overwiening.

Zugleich warb die ABDA-Präsidentin aber auch dafür, Arzneimittel nicht vordergründig als Kostenfaktor zu betrachten, sondern auch ihren Nutzen zu ermitteln. Als Beispiel führte sie Magengeschwüre an, die früher mit einer Operation behoben wurden – heute gebe es dafür PPI, doch das stelle niemand gegenüber.

Was ist von der Politik noch zu erwarten?

Dass in dieser Legislaturperiode noch viel mehr angestoßen wird, als bereits geschehen, scheint nicht sehr wahrscheinlich. Die großen Gesetzesvorhaben laufen, die Krankenhausreform ist noch zu bewältigen. Ebenso die Apothekenreform, die laut Müller „ein bisschen stockt“. Was das konkret bedeutet, muss sich zeigen. Derzeit wird das Reformgesetz noch als mögliche Kabinettvorlage im September gehandelt. Doch nach wie vor ist die regierungsinterne Abstimmung nicht abgeschlossen. 


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

wohin

von Karl Friedrich Müller am 11.09.2024 um 16:43 Uhr

wollt Ihr denn noch dämpfen?
Ist doch schon (fast) alles kaputt.
Denkt auch mal einer an die Kranken, die Patienten? Wohl völlig egal: Eine blinde Wurstigkeit unter den Politikern, unglaublich!
Keine Termine, Krankenhäuser in Timbuktu, kein Personal, das vorhandene schlecht bezahlt und demotiviert, weil kurz vor dem Burnout?
Wir können uns diese Politiker nicht mehr leisten. Diese Politiker, die blind vor Ideologie, oder besser einem Wahn, alles Konzernen zuzuschustern. Vornehm Lobbyismus? Es wäre schon, könnte man soche Leute dauerhauft aus der Politik entfernen.
MIt einer Arbeit fürs Volk hat das nichts mehr zu tun.
Klar gesagt: Die Politik ist der Kostenfaktor für die Kassen, weil ständig neue Kosten dort abgeladen werden. Versicherungsfremde Leistungen heißt das. Lauterbach will seine Reformen zudem den Kassen aufbürden. Wo bleibt der Widerstand? Es kann nicht sein, dass Politiker die Kassen und Beitragszahler als Melkkuh betrachten und dann noch die Leistungen gestrichen werden. Ein Ausdünnen der Leistungserbringer ist auch eine Verringerung der Leistungen, die noch ausreichend sein sollen. Bald wohl ungenügend.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: wohin

von Beldowitz am 12.09.2024 um 6:37 Uhr

Wir sollen als erstes mal an der Anzahl der Beamten und an den Bezügen der Beamten sparen. Dieser Apparat wird von Jahr zu Jahr immer mehr aufgebläht und ist nicht mehr finanzierbar.

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