Arzneimittel-Lieferengpässe

Bühler fordert „radikalen Kurswechsel“

Berlin - 08.10.2024, 13:45 Uhr

Apotheker und via-Vorstand Benedikt Bühler: „Die Untätigkeit der Politik ist nicht länger hinnehmbar“. (Foto: via)

Apotheker und via-Vorstand Benedikt Bühler: „Die Untätigkeit der Politik ist nicht länger hinnehmbar“. (Foto: via)


Der Engpass bei NaCl-Lösungen beschäftigt die Medien bundesweit. Doch es gibt zahlreiche Arzneimittelengpässe – trotz des einem Jahr geltenden ALBVVG. Benedikt Bühler, via-Vorsitzender, fordert von der Politik einen „radikalen Kurswechsel“. Auch der KBV-Vorstand erwartet, dass der Bundesgesundheitsminister aktiv wird. Und was sagt Lauterbach?

Der Herbst ist da und die Apotheker- und Ärzteschaft beklagt erneut Lieferengpässe bei zahlreichen Arzneimitteln. Seit dem vergangenen Wochenende macht vor allem die in Kliniken fehlende Kochsalzlösung Schlagzeilen. Zwei wesentliche Hersteller haben beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Engpass bei der isotonischen Lösung gemeldet. Fresenius Kabi hat seine Produktionskapazitäten ausgereizt und liefert nur noch 80 Prozent des durchschnittlichen Bedarfs der letzten Monate. Zudem ist der BfArM-Engpassliste zu entnehmen, dass es Lieferschwierigkeiten beim Zulieferer der Glasflaschen gibt. Aber auch B. Braun Melsungen meldete Ende September einen Engpass wegen Problemen beim Wirkstoffhersteller.

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Doch die Engpässe betreffen auch ganz andere Arzneimittel. Die BfArM-Engpassliste enthält derzeit 501 Positionen. Der neue Vorsitzende des Verbands innovativer Apotheken (via), Benedikt Bühler, spricht allerdings von mehr als 1.500 essenziellen Medikamente, die fehlten – darunter Antibiotika, Krebsmedikamente und Kinderarzneien. In einer via-Pressemitteilung von diesem Dienstag heißt es, die Krise habe sich seit dem vergangenen Winter dramatisch zugespitzt, ohne dass die Bundesregierung entscheidende Maßnahmen ergriffen habe. Bühler findet: „Die Untätigkeit der Politik ist nicht länger hinnehmbar“. Es sei „skandalös, dass in einem hoch entwickelten Land wie Deutschland die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten nicht mehr gesichert ist“. Die bisherigen politischen Ansätze sind für Bühler „halbherzig und ohne jeden spürbaren Effekt.“

Apotheken brauchen „echte Unterstützung“

Nötig sei nun ein radikaler Kurswechsel. Es sei höchste Zeit, die Arzneimittelproduktion zurück nach Deutschland zu holen. Der ständige Fokus auf den niedrigsten Preis habe die Lieferketten zerstört. Außerdem fordert Bühler neue, flexible Preis- und Vergütungsmodelle, um die wirtschaftliche Herstellung von Generika zu ermöglichen und den Preisdruck auf die Hersteller zu reduzieren. Auch die Apotheken bräuchten „echte Unterstützung“. Bühler: „Kosmetische Maßnahmen reichen hier bei weitem nicht aus“.

Zudem müsse ein Notfallplan etabliert werden, der es ermögliche, schnell und unbürokratisch Medikamente zu importieren, zentrale Lagervorräte aufzubauen und ein Frühwarnsystem zu entwickeln, das Apotheken hilft, bevorstehende Engpässe rechtzeitig zu erkennen und zu umgehen.

Als weiteres Problem nennt Bühler die Rabattverträge. Sie zerstörten den Markt, da sie nur auf kurzfristige Kostensenkungen abzielten, jedoch langfristig die Versorgungssicherheit gefährdeten.

KBV: Das ALBVVG wirkt kein bisschen!

Auch die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner, stimmen in die Vorwürfe ein: „Der Bundesgesundheitsminister muss handeln! Jetzt! Das im vergangenen Jahr eingeführte Bundesgesetz zur Lieferengpass-Bekämpfung wirkt kein bisschen“, erklären sie in einer Pressemitteilung von diesem Dienstag.

Als aktuelle Beispiele aus dem ambulanten Bereich nennen sie unter anderem GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei Diabetes-Patienten, Salbutamol sowie Timolol. „Auch die Fiebersäfte für Kinder dürften leider wieder knapp werden“, meinen die KBV-Vorstände. Die Dominanz von Rabattverträgen sei daher kritisch zu hinterfragen. „Die Margen für die Hersteller sind dabei häufig so gering, dass die Verlockung groß ist, auf Medikamente umzustellen, die mehr Gewinn bringen als Hustensäfte oder Antibiotika.“

Lauterbach erklärt Engpass-Situation auf Instagram

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bittet dagegen noch um Geduld. Kürzlich sagte er schon im Bundestag, dass das im vergangenen Jahr in Kraft getretene Engpassgesetz (ALBVVG) noch ein Jahr Zeit brauche, bis es wirken könne – und Schluss sei mit den „schlechten“ Rabattverträge. Vergangene Woche setzte er noch einen Instagram-Post oben auf und sprach von den „alten Ramschverträgen“, die es zum Teil noch gebe. Künftig sollen ausreichende Vorräte der Pharmaunternehmen mit Rabattvertrag Engpässe vermeiden – ein Ansatz, der nicht für alle schlüssig ist. In seinem Post erklärt Lauterbach aber auch: Bei Kinderarzneimitteln und Antibiotika stehe man in diesem Winter schon ganz anders da. 


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Wo bleiben die konkreten Vorschläge?

von Tim Olol am 09.10.2024 um 8:27 Uhr

Kann oder will man sich mit dem Thema Lieferengpässe und sichere Arzneimittelversorgung nicht ernsthaft auseinandersetzen?
Die Hauptursache scheint ja seit Jahren bereits ausgemacht - Rabattverträge. So kann man es sich natürlich sehr einfach machen, jede sinnvoll Debatte vermeiden und ohne wirkliche Anstrengung den Retter/die Retterin der Arzneimittelversorgung mimen.

Ohne Rabattverträge bleibt die API-Produktion doch genau da wo sie jetzt ist. Nur das sich die Hersteller die bisherigen Rabatte einstecken und zwar auf Kosten der gesetzlich Versicherten.
Die Produktion findet auch auf Grund der Umweltauflagen nicht in Europa statt sondern in Indien und China.
Die Gründe sind vielfältig und deutlich komplexer als dargestellt. Das sieht man nicht zuletzt am Beispiel Kochsalzlösung, also bei Krankenhausware bei der u.a. das Primärpackmittel in Form von Glasflaschen knapp ist.

Wer sich damit nicht auseinander setzen kann oder will, der sollte meiner Meinung nach der Debatte fern bleiben. Scheindebatten mit Pseudoursachen bringen niemanden voran.

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