Humaninsulin versus Insulinanaloga

Was Apothekerinnen aktuell über Insulin wissen sollten

Stuttgart - 18.10.2024, 07:00 Uhr

Von Actrapid® sind ab 2027 alle Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) von Novo Nordisk nicht mehr verfügbar. (Foto: Tamer/AdobeStock)

Von Actrapid® sind ab 2027 alle Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) von Novo Nordisk nicht mehr verfügbar. (Foto: Tamer/AdobeStock)


Der Marktrückzug einiger Präparate von Sanofi und Novo Nordisk macht den Insulin-Markt noch unübersichtlicher, als er ohnehin schon ist. Kritisiert wird öffentlich vor allem, dass es bald kaum noch Humaninsuline im Handel geben wird. Die Hintergründe und einen tabellarischen Überblick über Alternativen finden Sie hier.

Für Insulin-pflichtige Menschen mit Diabetes gab es zuletzt eher beunruhigende Nachrichten. So berichtete etwa das „Handelsblatt“, dass als letzter großer Anbieter von Humaninsulinen in Deutschland nur noch das Unternehmen Eli Lilly übrigbleibe – nachdem Sanofi bereits 2023 und vor Kurzem auch Novo Nordisk die Marktrücknahme zahlreicher Insuline angekündigt hatten. Diabetologen in Deutschland erwarten laut dem „Handelsblatt“-Bericht nun, dass Eli Lilly die wegfallenden Insulin-Mengen von Novo Nordisk künftig nicht auffangen kann [1].

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Im Juni 2023 hatten die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in einer Stellungnahme die „Einstellung von Produktion und Vertrieb sämtlicher Humaninsuline durch Sanofi“ bereits deutlich kritisiert: Der Anteil von Humaninsulinen an allen Insulinverordnungen betrage zwar „nur noch gut 20%“, hieß es. Doch dieser Rückgang in der Verordnung von Humaninsulinen sei „Ausdruck eines geschickten Marketings“. Die Tatsache, dass aus der Produktion von Sanofi nur noch Insulinanaloga verfügbar bleiben, sahen AkdÄ und DEGAM kritisch: Diese hätten gegenüber Humaninsulinen keinen „Vorteil hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte“ – was sich auch in der Erstattungsfähigkeit von Insulinanaloga widerspiegele [2].

„Unnötige Beunruhigung der Patienten“

Angesichts dieser Stellungnahme verwundert es nicht allzu sehr, dass anlässlich der angekündigten Marktrücknahme von Novo Nordisk Andreas Klinge, Diabetologe und Vorstandsmitglied der AkdÄ, dem „Handelsblatt“ nun sagte: „Dass Novo Nordisk als zweiter der drei großen Hersteller Humaninsuline vom Markt nimmt, läutet das Ende der Humaninsuline in Deutschland ein.“ Das sei problematisch, da einige Diabetologen in Deutschland Humaninsuline für die Standardtherapie halten und nur aus medizinischen Gründen davon abweichen. 

„Ich bedauere es sehr, dass Novo Nordisk überhaupt keine Humaninsuline mehr herstellt. Das ist ein Vertrauensverlust und eine unnötige Beunruhigung der Patienten, die auf dieses Insulin eingestellt sind“, sagte auch Andreas Fritsche, Professor für Diabetologie an der Universität Tübingen und Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), dem „Handelsblatt“.

Marktrücknahme mit Behörden abgestimmt, aber …

Sowohl Novo Nordisk als auch Sanofi stellen den Rückzug aus dem Humaninsulin-Geschäft positiver dar: Therapieumstellungen seien zwar gerade bei Insulinen immer eine Herausforderung – es sei aber auch eine Möglichkeit zur Verbesserung der Therapie. Zudem wolle man mit der Marktrücknahme die Lieferketten stärken. Das geschieht offenbar auch in Abstimmung mit nationalen und europäischen Behörden.

Zudem wolle Novo Nordisk in vielen Ländern der Welt weiterhin Humaninsulin anbieten. Doch die Darreichungsform soll verändert werden: Von Pens wird auf Fläschchen umgestellt. „Das bedeutet wahrscheinlich, dass sie vorrangig ihre Blockbuster-GLP-1-Medikamente in die Pens füllen wollen, im Gegensatz zu den weniger lukrativen Humaninsulinen“, kommentierten die „Ärzte ohne Grenzen“ dieses Vorhaben gegenüber dem „Handelsblatt“. Da Pens bei Patienten deutlich beliebter sind als Spritzen, dürfte der Gebrauch von Humaninsulin auch in solchen Ländern künftig weiter zurückgehen [1].

Sind Humaninsuline wirklich besser als Insulinanaloga?

In der aktuellen S3-Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes werden die verschiedenen Insulinarten in Humaninsuline und Insulinanaloga unterteilt. Dabei zählen zur

  • Gruppe der Humaninsuline: 
    • Normalinsuline und 
    • Humaninsuline mit Verzögerungsprinzip (Insulin-Isophan, „Neutral-Protamin-Hagedorn“ = NPH) – sie sind mit dem menschlichen Insulin chemisch identisch.
  • Zur Gruppe der Insulinanaloga zählen sowohl 
    • kurzwirksame Insulinanaloga (Lispro/Ultra rapid Lispro, Aspart/Faster-Aspart, Glulisin) als auch 
    • langwirksame Insulinanaloga (Glargin, Detemir, Degludec). Diese sind dem menschlichen Insulin ähnlich, enthalten aber gezielt veränderte Aminosäuresequenzen.

Insulinanaloga werden in der Leitlinie den Humaninsulinen gegenüber nicht als unterlegen dargestellt – vielmehr werden auch Vorteile benannt: So sollen Insulinanaloga der physiologischen Insulinfreisetzung näherkommen als Humaninsuline. Insgesamt spricht die Leitlinie aber eine gleichwertige Empfehlung für beide Insulinarten aus [3]:


„Zur Therapie von Menschen mit Typ-1-Diabetes sollen Humaninsuline (Normalinsulin oder Humaninsuline mit Verzögerungsprinzip) oder Insulinanaloga (kurzwirksame oder langwirksame) eingesetzt werden.“

S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes, Stand: 02.09.2023


In der aktuellen Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) zum Typ-2-Diabetes wird zudem nicht explizit zwischen Humaninsulinen und Insulinanaloga unterschieden – sondern nur in kurzwirksame und langwirksame Insulinarten. Es wird dazu geraten, die Insulinart individuell der Lebenssituation anzupassen. Allerdings wird auch darauf verwiesen, dass die verschiedenen langwirksamen Insuline von den Mitgliedern der Leitliniengruppe unterschiedlich bewertet werden.

Humaninsulin versus Analoginsulin

„DEGAM und AkdÄ sehen keinen Vorteil langwirksamer Analoginsuline gegenüber NPH-Insulin“, heißt es. NPH-Insulin zur Nacht entspreche am ehesten der physiologischen Insulinwirkung. DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft e. V.) und DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V.) bevorzugen dagegen langwirksame Analoginsuline gegenüber NPH. Die Begründungen der verschiedenen Positionen werden im Anhang zur Leitlinie so gegenübergestellt [4]:

Vorteile von Analoginsulinen

Vorteile von NPH-Insulin zur Nacht

flaches Wirkprofil, tageszeitlich flexible Injektion, stabileres Glukoseprofil, geringeres Hypoglykämierisiko 

NPH-Suspension muss geschwenkt werden 

lange Erfahrung

sehr geringes Hypoglykämie-Risiko am Tag, insbesondere wenn HbA1c-Ziel nicht zu niedrig gewählt

kaum Gewichtszunahme

Dass die Frage „Humaninsulin oder Insulinanaloga?“ keine – anlässlich der Marktrücknahmen – neu aufgetretene ist, zeigt ein Artikel des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) von 2006 [5]. Verschärft wird sie nun aber durch die neue Marktsituation. 

Welche Langzeitinsuline seltener Hypoglykämien auslösen

NPH-Insulin oder Insulin-Analoga?

Folgender tabellarischer Überblick (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) an noch verfügbaren Alternativen kann deshalb im Beratungsalltag für ein wenig Erleichterung sorgen [6,7]. Dabei fällt auf, dass nicht nur Humaninsuline vom Markt verschwinden – beispielsweise auch für das Insulinanalogon Insulin detemir gibt es künftig kein direktes Alternativpräparat. 

Überblick an noch verfügbaren Alternativen

Letztlich muss sich die gewählte Insulinart und das Insulinschema bzw. die individuelle Dosierung immer an der Lebenssituation der Patient:innen orientieren [4]. Sie bedarf also einer engen Überwachung durch die betreuenden Ärzt:innen, vor allem bei einem Präparate-Wechsel (an Dosisanpassung denken, insbesondere bei nur ähnlichen Alternativen!). Die Tabelle kann dabei lediglich unterstützen [6,7]:

Langwirksame Insulinanaloga von Novo Nordisk, die außer Handel gehen

Wirkstoff

direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff)

ähnliche Alternativen

Levemir® 

keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2026

Insulin detemir

keine

Insulin glargin: Lantus® und Toujeo® von Sanofi, Abasaglar® von Lilly und Semglee® von Biosimilar Collaborations Ireland Ltd.

Insulin degludec: Tresiba® von NovoNordisk

Kurzwirksame Insulinanaloga von Novo Nordisk, die außer Handel gehen

Wirkstoff

direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff)

ähnliche Alternativen

Fiasp® PumpCart® für Insulinpumpen

keine weitere Verfügbarkeit ab 2027

Insulin aspart

Fiasp® Durchstechflasche bleibt verfügbar (Angaben der Pumpenhersteller beachten!)

Insulin aspart: NovoRapid® PumpCart® von NovoNordisk

außerdem verschiedene Alternativen in Pen-Form (Fiasp® und NovoRapid® von NovoNordisk, Insulin aspart Sanofi® sowie Kirsty® von Biosimilar Collaborations Ireland Ltd.)

Zudem gibt es verschiedene Präparate mit Insulin glulisin und Insulin lispro von Sanofi und Lilly

Vor Fehldosierungen bei Umstellung wird gewarnt

Lieferverzögerungen bei Insulin Tresiba

Langwirksame Humaninsuline von Novo Nordisk, die außer Handel gehen

Langwirksame Humaninsuline von Sanofi, die bereits außer Handel sind

Wirkstoff

direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff)

ähnliche Alternativen

Protaphane®

keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2026

Insuman® Basal

Basalinsulin NPH = „Neutral-Protamin-Hagedorn“, Insulin-Isophan

Huminsulin® Basal und Berlinsulin® H Basal von Lilly

Zudem wird Humulin® Basal von Lilly und Insulatard® von Novo Nordsik von verschiedenen Importfirmen gelistet

langwirksame Insulinanaloga wie 

Insulin glargin: Lantus® und Toujeo® von Sanofi, Abasaglar® von Lilly und Semglee® von Biosimilar Collaborations Ireland Ltd.

Insulin degludec: Tresiba® von NovoNordisk

Kurzwirksame Humaninsuline von Novo Nordisk, die außer Handel gehen

Kurzwirksame Humaninsuline von Sanofi, die bereits außer Handel sind

Wirkstoff

direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff)

ähnliche Alternativen

Actrapid®

keine weitere Verfügbarkeit aller Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2027

Insuman® Rapid

Normalinsulin

Huminsulin® Normal und Berlinsulin® H Normal von Lilly

Zudem wird Humulin® Normal von Lilly und auch Insuman® Rapid von verschiedenen Importfirmen gelistet

Kurzwirksame Insulinanaloga wie glulisin, aspart oder lispro

für Insuman® Infusat Durchstechflaschen von Sanofi für Insulinpumpen (Normalinsulin) war 2023 bis Juni 2025 ein Engpass verkündet worden

 

Mischinsuline von Novo Nordisk, die außer Handel gehen

Mischinsuline von Sanofi, die bereits außer Handel sind

Wirkstoff

direkte Alternativen (gleicher Wirkstoff laut Lauer-Taxe® Stand 15.10.2024)

ähnliche Alternativen

Actraphane® 30

keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (FlexPen®, Penfill®) ab 2027

-

30% Normalinsulin, 70% NPH

Huminsulin® Profil III und Berlinsulin® H 30/70 von Lilly

 

Zudem wird Humulin Profil III von Lilly und Mixtard® 30

von Novo Nordisk noch von verschiedenen Importfirmen gelistet

 

Aspart und Aspart-Isophan: NovoMix® 30 von NovoNordisk

Actraphane® 50

keine weitere Verfügbarkeit aller verfügbaren Darreichungsformen (Penfill®) ab 2027

Insuman® Comb 50

50% Normalinsulin, 50% NPH

keine, Insuman® Comb 50 wird aber noch von wenigen Importfirmen gelistet

außerdem Normalinsulin-/NPH-Mischungen mit anderem Verhältnis

50% Lispro und 50% NPH: Humalog® Mix50™ und Liprolog® Mix50™ von Lilly

 

Insuman® Comb 25

25% Normalinsulin, 75% NPH

keine, Insuman® Comb 25 wird aber noch von verschiedenen Importfirmen gelistet

außerdem Normalinsulin-/NPH-Mischungen mit anderem Verhältnis

25% Lispro und 75% NPH: Humalog® Mix25™ und Liprolog® Mix25™ von Lilly

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Literatur

[1] Rauffmann T. Novo Nordisk stellt Verkauf von Humaninsulinen ein. Handelsblatt 12.10.2024, www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/diabetes-novo-nordisk-stellt-verkauf-von-humaninsulinen-ein-01/100074751.html

[2] Gemeinsame Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und der DEGAM zur Einstellung von Produktion und Vertrieb sämtlicher Humaninsuline durch Sanofi. 2. Juni 2023, www.degam.de/files/inhalt/pdf/positionspapiere_stellungnahmen/positionspapier_neues_verzeichnis/2023_sn_insuline_sanofi.pdf

[3] S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes. Stand:02.09.2023, gültig bis: 01.09.2028, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/057-013

[4] S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes, Stand:15.05.2023, gültig bis: 14.05.2028, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-001

[5] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Humaninsulin oder Insulinanaloga? Fragen und Antworten zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. 28.07.2006, www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_11082.html#:~:text=Obwohl%20das%20erste%20kurzwirksame%20Analoginsulin,f%C3%BCr%20eine%20%C3%9Cberlegenheit%20der%20Insulinanaloga.

[6] Diabetesinformationsportal des Deutschen Zentrums für Diabetesorschung, des Deutschen Diabetes-Zentrums und von Hemholtz Munich, 28.09.2023, www.diabinfo.de/fachkreise/diabetesberaterinnen-und-berater/behandlung/insuline-auf-einen-blick.html 

[7] Lauer-Taxe® Stand 15.10.2024


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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