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Es bleibt beim Zwang
Koalitionsverhandlungen mit erstem Zwischenergebnis für den Arzneimittelmarkt
Nun ist es offiziell verkündet: Die Nutzenbewertung des Bestandsmarkts ist vom Tisch. Arzneimittel, die noch Unterlagenschutz genießen, aber schon vor dem 1. Januar 2011 auf dem Markt waren und damit nicht der frühen Nutzenbewertung unterzogen werden, sollen also nicht mehr vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bewertet werden. Dies soll jedenfalls gelten, soweit der Aufruf erfolgte, weil sie „für die Versorgung von Bedeutung sind“ – was der Regelfall war. Die zweite gesetzlich vorgesehene Variante des Bestandsmarktaufrufs soll hingegen bestehen bleiben: Patentgeschützte Arzneimittel, die mit einem Präparat, das die frühe Nutzenbewertung durchlaufen hat, im Wettbewerb stehen, können weiterhin aufgerufen werden.
Zwangsmaßnahmen mit höherem Einsparvolumen
Der Bestandsmarktaufruf sei mit zu vielen rechtlichen wie auch praktischen Problemen behaftet, erklärte der Verhandlungsführer der Union, Jens Spahn, nach den Verhandlungen. Zudem würde durch ihn vergleichsweise wenig eingespart. Der G-BA und das Bundesgesundheitsministerium hätten das Einsparvolumen für 2014 auf 50 bis 60 Millionen Euro geschätzt, im Jahr darauf auf etwa 100 Millionen Euro. Viel mehr bringe es, an einem erhöhten Herstellerrabatt und am Preismoratorium festzuhalten. Eigentlich sollte der Zwangsrabatt für Nicht-Festbetragsarzneimittel zum 1. Januar 2014 wieder auf sechs Prozent sinken – nach dreieinhalb Jahren des 16-prozentigen Rabatts. Nun soll er einen Prozentpunkt höher liegen – bei sieben Prozent. Dies und das weitere Einfrieren der Arzneimittelpreise auf dem Niveau vom 1. August 2009 spare 500 bis 700 Millionen Euro pro Jahr, sagte Spahn. „Das ist schon ein massiver Eingriff in die Preisgestaltung“, räumte er ein. Aber es seien rechtssichere und für alle gleich planbare Instrumente. Im Jahr 2015 werde dann überprüft, ob ein höherer oder niedriger Zwangsrabatt gerechtfertigt sei. Ab dann, so die Prognose, wird es um die Kassenfinanzen nicht mehr so rosig bestellt sein.
Karl Lauterbach, Verhandlungsführer für die SPD, sprach von einem „guten Zwischenergebnis“. Zwar müsse man immer Kompromisse schließen – die SPD hätte sich durchaus noch mehr vorstellen können. Wichtig sei nun aber die dauerhafte Fortführung des Zwangsrabattes, Rechtssicherheit für Unternehmen und Entlastung für Versicherte.
G-BA zufrieden
G-BA-Chef Josef Hecken begrüßte das Zwischenergebnis ebenfalls. Er selbst hat schon seit einiger Zeit angeregt, den Bestandsmarktaufruf fallen zu lassen. Auch er ist der Meinung, dass mit der Fortsetzung von Zwangsrabatt und Preismoratorium alle Beteiligten Planungssicherheit haben. Und schwierige Rechtsfragen der Bestandsmarktbewertung – auch im Zusammenhang mit der Festsetzung der zweckmäßigen Vergleichstherapie – erübrigten sich auf diese Weise, ebenso die Schwierigkeit, „alte Studien“ mit schlechter Evidenz für eine Bewertung heranziehen zu müssen.
Die Verbände der pharmazeutischen Industrie haben einen anderen Blick auf die Dinge – insbesondere angesichts der rund 30 Milliarden Euro Überschuss in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) hatte schon im Vorfeld klargestellt, dass von einem Tauschgeschäft Bestandsmarktbewertung gegen verlängerte Zwangsmaßnahmen nicht die Rede sein könne. Den Aufruf des Bestandsmarktes habe nicht die Industrie, sondern der G-BA und mit ihm die Kassen vorangetrieben (siehe AZ 2013, Nr. 45, S. 8). In einer ersten Reaktion auf die Zwischenergebnisse der Arbeitsgruppe spricht vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer von einem „massiven Eingriff in die Grundrechte der Unternehmen“. Auch wenn nominal nur von einem Zwangsabschlag in Höhe von 7 Prozent die Rede sei: „Real sind es jedoch für die Unternehmen 12,5 Prozent, da die Inflationsrate seit 2009 ignoriert wird.“ Die Arzneimittelpreise würden so von der allgemeinen Preisentwicklung abgekoppelt – mit der Folge dass der deutsche Markt für Investoren zunehmend unattraktiv werde. „Dies gefährdet die hohen Investitionen der Branche in Forschung und Arbeitsplätze“, so Fischer.
BPI: Planwirtschaft
Auch beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) verweist man auf den nicht vorgesehenen Inflationsausgleich. Während die Preise für Arzneimittel auf dem Stand von 2009 eingefroren blieben, seien die Kosten in allen anderen Bereichen weit gestiegen. Insbesondere für standortgebundene Unternehmen seien die Belastungen nicht mehr zu schultern, so der BPI. Der Verbandsvorsitzende Dr. Bernd Wegener fühlt sich an Zeiten der Planwirtschaft erinnert. Nach einem Jahr Preismoratorium ab dem Jahr 2000, zwei Jahren ab 2004 und dreieinhalb Jahren ab 2010 solle dieses Instrument der Krisenabwehr auch ohne Krise auf Dauer eingeführt werden. „Mit diesen Regelungen werden die Arzneimittelpreise staatlich nach Kassenlage der Krankenversicherung reguliert, jährlich angepasst und das auch noch mit Rechtssicherheit und Planbarkeit begründet“, kritisiert Wegener. Es stelle sich die Frage, was die Politik eigentlich machen wolle, wenn es tatsächlich wieder eine Krise gibt? Wegener: „Wird dann die Industrie komplett enteignet?“
Für den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Dr. Martin Weiser, entbehrt der Beschluss der AG Gesundheit „jeder Logik“. Die Zwangsmaßnahmen aufrechtzuerhalten könne auch nicht mit Spekulationen zu in ferner Zukunft drohenden Defiziten in der GKV gerechtfertigt werden. Weiser gibt nicht auf und appellierte erneut an die Politik: „Jetzt ist die Stunde für die Politik, das Preismoratorium sowie den Herstellerzwangsabschlag endlich zurückzunehmen.“
Noch ist nicht alles klar
Ob sich in der Pharmaindustrie am Ende tatsächlich so viel Widerstand regt, dass die geplanten Maßnahmen rechtlich angegriffen werden, ist jetzt noch nicht zu sagen. Die politische Erwartung ist jedenfalls, dass sich die Industrie zurückhalten wird. Immerhin erhalte sie über diesen Kompromiss mehr Planungssicherheit. Unklar ist überdies, wie die künftigen Koalitionäre die nun anvisierten Maßnahmen so schnell gesetzlich umsetzen wollen. Dass ihnen bis Jahresende ein Gesetz gelingt, scheint unwahrscheinlich. Dann müsste sich die Politik eine Variante überlegen, wie die Zwangsmaßnahmen rückwirkend zum 1. Januar 2014 wirksam werden können.
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