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Pandemie Spezial
Eine Krankheit mit vielen Gesichtern
Was Long COVID für Betroffene bedeutet
Beinahe ein Drittel der aus dem Krankenhaus entlassenen COVID-19-Patienten wird innerhalb von Monaten erneut ins Krankenhaus eingeliefert. Das entspricht etwa dem Vierfachen einer nicht aufgrund von COVID-19 hospitalisierten Kontrollgruppe, wie eine britische Analyse von knapp 48.000 Patientendaten ergab. Etwa 12% der Patienten versterben sogar in den Monaten nach der Krankenhausentlassung. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass etwa jeder zehnte COVID-19-Patient noch zwölf Wochen nach der Infektion andauernde Beschwerden aufweist, auch wenn er nicht hospitalisiert war. In England startet daher mit HEAL-COVID derzeit eine klinische Prüfung, die sich mit Behandlungsansätzen befasst, die Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion reduzieren könnten [1]. Auch das US National Institute of Health (NIH) initiiert eine mit einer Milliarde US-Dollar finanzierte Studie zu post-akuten Folgeerscheinungen der SARS-CoV-2-Infektion. Eines ist offenbar klar: Auch wenn der Aufbau eines weltweiten Immunschutzes gelingt und keine relevanten Escape-Mutationen in Zukunft auftreten, werden wir uns dennoch eine ganze Weile mit COVID-19 und den Langzeiteffekten beschäftigen müssen.
Was weiß man über Long COVID?
Der Begriff Long COVID, der Berichten zufolge erstmals durch einen Twitter-Nutzer geprägt wurde, ist nicht einheitlich definiert. Auf jeden Fall muss man Long COVID von behandlungsbedingten Schädigungen, wie zum Beispiel dem post-intensive care syndrome (PICS), differenzieren. Übergeordnet wird daher auch von Symptomen des post-acute COVID-19 gesprochen, darunter wird ein Andauern der Symptome oder auch das Neuauftreten von Folgeerscheinungen drei bis vier Wochen nach dem Einsetzen der Akutsymptomatik verstanden. Einige Autoren unterscheiden nochmals zwischen subakuter oder andauernd symptomatischer COVID-19-Erkrankung, bei der die Beschwerden noch etwa vier bis zwölf Wochen nach der akuten Erkrankung auftreten, sowie dem chronischen oder post-COVID-Syndrom, bei dem die Beschwerden länger als zwölf Wochen anhalten. Long COVID beeinträchtigt nahezu alle Organsysteme. Für die andauernden Beschwerden werden insbesondere verantwortlich gemacht:
- direkte virale Toxizität,
- Schädigungen der Endothelien,
- Dysregulation des Immunsystems (Stimulation eines hyperinflammatorischen Zustands),
- Hyperkoagulabilität mit resultierenden In-situ-Mikrothrombosen und Makrothrombosen sowie
- eine Fehlanpassung des Angiotensin-Converting-Enzym(ACE)-2-Signalwegs [2].
Fast alle Organe betroffen
Pulmonale Manifestationen spiegeln sich insbesondere wider in Dyspnoe (mit oder ohne chronische Sauerstoffabhängigkeit), einer langfristigen Notwendigkeit einer Beatmung sowie fibrotischen Lungenschäden.
Dyspnoen sind hierbei das häufigste persistierende Symptom, mit einer Prävalenz von bis zu 66% im Zeitraum von zwei bis drei Monaten nach der akuten Erkrankung. Pathophysiologisch liegt eine Verringerung der Diffusionskapazität zugrunde, in der Computertomografie werden häufig diffuse Verdichtungen des Lungengewebes festgestellt, sogenannte Milchglastrübungen.
Venöse Thromboembolien treten bei Patienten mit post-acute COVID-19 in etwas weniger als 5% der Fälle auf. Bedingt durch den akut hyperkoagulablen Zustand treten thrombotische Ereignisse eher während der akuten Phase auf, das Risiko im postakuten Verlauf steigt wahrscheinlich mit der Dauer und dem Schweregrad der Entzündungsreaktion der Erkrankung. Schmerzen im Bereich des Brustkorbs und Herzrasen auch sechs Monate nach der akuten Erkrankung wurden in Studien häufig berichtet. Weitere Daten deuten darauf hin, dass bei bis zu 60% der Patienten nach zwei Monaten der Erkrankung anhaltende Myokardentzündungen festzustellen sind [2]. Schwere akute Nierenschädigungen, die eine Nierenersatztherapie erforderlich machen, treten bei etwa 5% aller hospitalisierten Patienten und bei über 20% der akut kritisch Kranken auf. Dabei sind Patienten mit schwerem Infektionsverlauf und unter mechanischer Beatmung besonders gefährdet.
Neuropsychiatrische Folgeerscheinungen werden ebenfalls häufig festgestellt. Der vielfach beschriebene Geschmacks- und Geruchsverlust besteht bei etwa einem Zehntel der Patienten auch nach Abklingen anderer Symptome bis zu sechs Monate nach der Behandlung fort. Auch bei milderen akuten Verläufen treten mitunter längerfristige Müdigkeitserscheinungen, Merkstörungen, Gedächtnisprobleme oder Wortfindungsstörungen auf. Zudem geht das postvirale Syndrom auch mit chronischem Unwohlsein, diffusen Myalgien, Angstzuständen oder depressiven Symptomen einher.
Long COVID bei Kindern – PIMS
Das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) ist eine entzündliche Multisystemerkrankung bei Kindern, die in seltenen Fällen nach COVID-19-Erkrankungen auftreten kann. Häufig wird auch der Begriff MIS-C (Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) gebraucht. PIMS weist Ähnlichkeiten mit dem Kawasaki-Syndrom auf, das bei Kindern im Zusammenhang mit anderen Infektionskrankheiten beschrieben wurde. An PIMS erkrankte Kinder sind jedoch meist älter als der Altersdurchschnitt der dokumentierten Kawasaki-Syndrom-Fälle. Der Großteil der an PIMS erkrankten Kinder muss intensivmedizinisch versorgt werden. Auch wenn das Krankheitsbild in der Regel gut behandelbar ist, so wird die Sterblichkeit in systematischen Reviews doch mit 1,7 bis 3,5% beziffert [3].
Mögliche Therapieansätze
Der Einsatz von Corticosteroiden erscheint zumindest bei einem Teil der Patienten mit post-COVID-bedingter Lungenentzündung sinnvoll. Eine verlängerte primäre Thromboseprophylaxe, bevorzugt mit direkten oralen Antikoagulanzien oder niedermolekularem Heparin bis etwa sieben Wochen nach der akuten Erkrankung, verbessert vermutlich bei ambulant behandelten Patienten die Prognose.
In der bereits genannten HEAL-COVID-Studie werden Apixaban und Atorvastatin getestet, womit eine Behandlung des überschießenden Gerinnungs- bzw. Immunsystems adressiert werden sollen. Ein drittes, nicht weiter definiertes Mittel könnte in den nächsten Wochen noch in die Studie inkludiert werden.
Neben effektiven medikamentösen Ansätzen hat sich eine intensive Betreuung der Patienten nach Entlassung aus dem Krankenhaus als eminent wichtig erwiesen. Post-COVID-Sprechstunden werden mittlerweile an vielen Kliniken in Deutschland angeboten, um eine individuell optimale Therapie und Rehabilitation sicherzustellen.
Zu Post-COVID wurde in Deutschland ein Leitlinienvorhaben angemeldet, welches Betreuenden von Patienten mit Post-COVID-19 eine Hilfestellung für ein angemessenes diagnostisches und therapeutisches Vorgehen geben soll. Die Fertigstellung der S1-Leitlinie wird in Kürze erwartet [4]. |
Literatur
[1] Brackley P. Cambridge leads HEAL-COVID trial to cut deaths and complications after coronavirus hospital stay. Informationen des Cambridge Independent, www.cambridgeindependent.co.uk/news/cambridge-to-lead-heal-covid-trial-to-cut-number-of-deaths-a-9192897/, Abruf am 3. Mai 2021
[2] Nalbandian A et al. Post-acute COVID-19 syndrome. Nature Medicine 2021;27:601-615
[3] Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Informationen des Robert Koch-Instituts, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=9D0A29845DF5A1C1953A96194ED4D449.internet082?nn=13490888#kj, Abruf am 3. Mai 2021
[4] Angemeldetes Leitlinienvorhaben: S1-Leitlinie zu Post-COVID. www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/020-027.html, Abruf am 3. Mai 2021
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