Pandemie Spezial

Die Novavax-Vakzine, der ewige Hoffnungsträger

Warten auf einen „nicht genbasierten“ Impfstoff, der viele Fragen aufwirft

Novavax liefert gute Nachrichten, aber bislang keinen Impfstoff. Was sind die Hintergründe? Ein Blick hinter die Kulissen der Herstellung offenbart, dass auch für den von vielen so herbeigesehnten „nicht genbasierten“ Corona-Impfstoff auf Protein-Basis gentechnische Methoden essenziell sind. Und dann ist da noch die Frage nach der Sicherheit des Adjuvans, auf das dieser Impfstoff angewiesen ist. | Von Frederik Jötten

Immer nur gute Nachrichten vom Impfstoff-Entwickler Novavax – aber bis heute keine zugelassene Vakzine. Zuletzt machte das US-Unternehmen Schlagzeilen damit, in einer kombinierten Phase I/II-Studie eine Doppelimpfung gegen Influenza und COVID-19 testen zu wollen. Den Solo-Corona-Impfstoff NVX-CoV2373 wähnten Medien schon oft kurz vor der Zulassung. Zuletzt zeigten sich aber auch Experten ratlos. So twitterte Florian Krammer, Professor für Impfstoffkunde an der renommierten Icahn School of Medicine in New York: „Weiß jemand, was mit Novavax los ist? Ich habe vor langer Zeit erwartet, dass ihr Impfstoff erhältlich sein wird.“

Hohe Effektivität

Das Gebaren von Novavax erinnert ein bisschen an das des deutschen Unternehmens Curevac – allerdings ist der Fall doch anders gelagert. Denn die bisherigen Studien bescheinigen dem Impfstoff NVX-CoV2373 – anders als es sich bei Curevac zeigte – eine hohe Effektivität. Eine im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie mit 15.000 Probanden in England zeigte eine rund 90 Prozent verringerte Wahrscheinlichkeit, sich mit SARS-CoV-2 anzustecken als in der Kontrollgruppe [1]. Die Studie lief in Großbritannien, als die Alpha-Variante dominierte.

Produktionsprobleme?

Novavax selbst äußert sich zu den Verzögerungen nicht offiziell, es gibt aber übereinstimmenden Medienberichten zufolge wohl Produktionsprobleme [2]. Der Novavax-Impfstoff wird in Sf9-Insektenzellkulturen hergestellt. Hinter Sf9 verbirgt sich eine immortalisierte Zelllinie aus Ovar-Zellen der Nachtfalterart Spodoptera frugiperda,

einer in der Biotechnologie genutzten Zelllinie zur Herstellung rekombinanter Proteine. Diese Sf9-Zellen werden mit Insekteninfizierenden Baculoviren infiziert. Das sind DNA-Viren, denen das Gen für das Spikeprotein eingesetzt worden ist. Daraufhin bilden die Sf9-Zellen viele Spikeproteine auf ihrer Oberfläche. Diese werden geerntet, und es formieren sich bis zu 14 von ihnen zu kugelförmigen Nanopartikeln mit einem Durchmesser von 50 Nanometern (s. Abb.). Für das Immunsystem gleicht das Konstrukt einem Virus, man spricht von Virus-like-Particle. In der Europäischen Union läuft das Zulassungsverfahren im Rolling-Review-Prozess – schon seit Februar diesen Jahres. Japan rechnet in seiner Impfkampagne aber wohl ab Januar 2022 mit dem Impfstoff [3].

Abb.: NVX-CoV2373-Impfstoffherstellung. Die für das Spike-Protein kodierende DNA wird in Insekten-infizierende Baculoviren verbracht (1), die dann im nächsten Schritt Zellen der Insekten-Zelllinie Sf9 infizieren. Die für das Spike-Protein kodierende DNA wird im Sf9-Zellkern transkribiert, die mRNA verlässt den Zellkern (3) und leitet die Produktion des Spike-Protein-Trimers in die Wege (4). Diese verlassen die Zellen, werden mit einem Kern aus Polysorbat 80 (PS80) versetzt, an den sie binden und Nanopartikel bilden (5). Für die Impfstoff-Finalisierung wird noch das Matrix-MTM-Adjuvans ebenfalls in Form von Nanopartikeln zugegeben (6). [Quelle: Novavax]

Noch sieht es also so aus, als ob NVX-CoV2373 der erste nicht genbasierte Impfstoff gegen COVID-19 sein könnte, der in der EU zugelassen wird. Bietet das Vorteile gegenüber den bisher hierzulande verwendeten mRNA- und Vektor-Impfstoffen?

Ohne Erbsubstanz besser?

Dass keine Erbsubstanz enthalten ist, hat Vor- und Nachteile. Denn enthaltene RNA oder DNA verstärkt die Immunantwort – dies ist Teil der natürlichen Infektabwehr, denn Erreger enthalten eben auch Erbsubstanz. „Durch Bindung der RNA an Toll-Like-Rezeptoren innerhalb der Zelle wird das angeborene Immunsystem aktiviert“, erklärt Prof. Dr. Christian Münz vom Institut für experimentelle Immunologie der Universität Zürich. „Das verbessert die Antikörperantwort.“ Andererseits sind die häufigen kurzfristigen Nebenwirkungen, wie Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit und Fieber bei der Impfung mit den Moderna und Biontech/Pfizer-Impfstoffen, wohl auf diese Aktivierung des angeborenen Immunsystems zurückzuführen.

Adjuvans notwendig

Subunit-Impfstoffe, die auf hochgereinigten Erreger-Proteinen basieren, stimulieren das Immunsystem weniger gut. Ihnen setzt man deshalb häufig Wirkverstärker, also Adjuvanzien zu – deren Wirkungsweise nicht endgültig geklärt ist. Das betont auch Prof. Dr. Eberhard Hildt, Leiter Abteilung Virologie am Paul-Ehrlich-Institut (PEI), der deutschen Zulassungsbehörde für Impfstoffe: „Im letzten Detail haben wir noch nicht verstanden, wie Adjuvanzien funktionieren“.

Drei Adjuvanziengruppen

Es gibt drei Gruppen von Adjuvanzien. Die erste Gruppe bilden die Aluminium-Salze – zum Beispiel Aluminiumhydroxid oder Aluminiumphosphat. „Sie fördern einerseits die Antigen-Aufnahme in Antigen-präsentierende Zellen und helfen so bei der Rekrutierung von T-Helferzellen“, erklärt Eberhard Hildt. Außerdem komme es auch zu einer erhöhten Zytokin-Ausschüttung. „Früher hat man angenommen, dass Aluminium-Salze eine Aktivierung der natürlichen Immunantwort über Toll-like-Rezeptoren bewirken, aber das ist wohl nicht der Fall“, so Hildt. „Auch die einst postulierte Depotwirkung durch das Adjuvans ist wohl nicht der Effekt, über den die Aluminiumsalze wirken.“

Die zweite große Gruppe der Adjuvanzien sind die Öl-Wasser-Gemische, zum Beispiel AS03 und MF 59 jeweils mit dem Hauptbestandteil Squalen, einem natürlich, auch im Menschen vorkommenden ungesättigten Kohlenwasserstoff. „Diese Adjuvanzien bewirken indirekt über eine Zytokin-Freisetzung eine Aktivierung der natürlichen Immunität“, sagt Eberhardt Hildt vom PEI. „Außerdem wird der Antigentransport in die Lymphknoten und die Antigenpräsentation wohl verbessert – dem dann eine verstärkte B- und T-Zell-Aktivierung folgt.“ Und dann gibt es eine dritte Gruppe – die neuartigen Adjuvanzien, wie sie etwa von Novavax verwendet werden. „Sie verwenden das sogenannte Matrix-M-Adjuvans, das hauptsächlich aus Saponin besteht – einer Komponente gewonnen aus dem Seifenbaum, die schon länger in anderen Wirkverstärkern verwendet wird“, sagt Hildt.

Matrix-M als Nanopartikel

Neu ist bei dem Novavax-Impfstoff, dass Saponin darin in Form von Nanopartikeln enthalten ist (im Verbund mit Cholesterol und Phospholipiden). Der Impfstoff enthält also zwei verschiedene Nanopartikel, einen bestehend aus Antigen, einen anderen bestehend aus Adjuvans. Das erhöhe die ­neutralisierenden Antikörper und induziere langanhaltende B-Gedächntniszellen“, so Novavax auf seiner Website über Matrix-M. Auch die T-Zell-Immunität werde stimuliert.

Doch Christian Münz erklärt: „Während wir bei den mRNA-Impfstoffen ziemlich genau wissen, wie die Adjuvans-Wirkung zustande kommt, verwendet Novavax einen Wirkverstärker aus einem Seifenbaum-Extrakt, von dem wir nicht genau wissen, worauf seine Wirkung beruht“.

Erfahrungen mit Pandemrix

Könnte daraus ein Risiko für die Geimpften resultieren? Eine Frage die sich derzeit vor dem Hintergrund, dass äußerst seltene Ereignisse, die unter hunderttausend Geimpften nur einmal vorkommen, durch klinische Studien nicht entdeckt werden, derzeit nicht beantwortet werden kann, so ­Eberhardt Hildt. Das falle erst bei einer Massen-Anwendung auf, wie seinerzeit im Falle der Narkolepsie nach Impfung mit dem Influenza-Virus-Impfstoff Pandemrix, der 2009 zur Bekämpfung der H1N1-Pandemie (Schweinegrippe, Neue Grippe) eingesetzt worden war. Narkolepsie ist eine Krankheit, bei der Menschen ständig schläfrig sind und immer wieder plötzlich einnicken. Kinder und Jugendliche entwickelten nach Impfung mit Pandemrix 14-fach häufiger eine Narkolepsie als ihre nicht geimpften Altersgenossen. Diese Reaktion war aber dennoch so selten, dass sie erst nach dem massenhaften Einsatz des Impfstoffs auffallen konnte.

Adjuvans unter Verdacht

Diese unter Pandemrix beobachtete Nebenwirkung wird mit dem verwendeten Adjuvans AS03 in Verbindung gebracht, denn nur dieser H5N1-Impfstoff enthielt das Adjuvans. Eberhard Hildt hat mit seinen Mitarbeitern mögliche zugrunde liegende Mechanismen untersucht. Er stellte fest, dass sich das Adjuvans AS03 von den in den anderen Impfstoffen verwendeten Adjuvanzien nur dadurch unterschied, dass es ­alpha-Tocopherol, also Vitamin E enthielt.

Problematisches Vitamin E?

Es mag überraschend klingen, dass ausgerechnet Vitamin E eine solche Wirkung haben könnte, eine Substanz, die wir aus der Nahrung ständig aufnehmen. Schon länger ist bekannt, dass Vitamin E bestimmte Gene an- und ausschalten kann. „Dabei ist die einmalige Menge, die mit einem Impfstoff als Adjuvans injiziert wird, vergleichsweise groß“, erklärt Eberhardt Hildt. „Es ist zudem durch weitere Zusatzstoffe sehr gut bioverfügbar.“ Zusammen mit der Entdeckung der Wissenschaftler vom PEI, dass Vitamin E ein Gen anschaltet, dass sowohl den Aufbau wie den Abbau des Hormons Hypocretin verstärkt, erhärtete sich die Hypothese, dass AS03 für die Narkolepsie verantwortlich ist. Daraus resultiert eine erhöhte Menge an Hypocretin-Fragmenten, was bei bestimmter genetischer Veranlagung – dem Vorhandensein des Allels HLA DQ0602 – dazu führen könnte dass die Nervenzellen, die Hypocretin produzieren, zerstört werden können [4]. Ein Zugrundegehen dieser Zellen gilt als Ursache der Narkolepsie. Tatsächlich erkrankten nach Pandemrix-Injektion fast ausschließlich Menschen mit jenem HLA-DQ0602-Allel an Narkolepsie.

„Aus unserer Arbeit ergibt sich eine mögliche Erklärung für die seltene Nebenwirkung von Narkolepsie bei Pandemrix-Geimpften“, sagt Hildt. „Aber ein Beweis ist das noch nicht.“ Die Experimente wurden lediglich an Zellkulturen gemacht.

Weitere Hypothesen

Allerdings haben die anderen Hypothesen zur Entstehung zur Narkolepsie ebenfalls Schwächen. Sie postulieren als Ursache molekulares Mimikry – also molekulare Ähnlichkeit. Ein Erklärungsansatz sieht Verunreinigungen durch das N-Protein der Influenzaviren im Impfstoff als Ursache, dieses würde an den Hypocretin-Rezeptor binden und diesen quasi blockieren. „Das würde bedeuteten, dass noch ­Hypocretin vorhanden sein müsste – aber das ist bei Narkolepsie Typ I nicht der Fall“, sagt Hildt.

Die zweite molekulare Mimikry-Hypothese besagt, dass in dem HA-Protein, das dem Schweinegrippen-Impfstoff zugrunde lag, eine Peptid-Sequenz liegt, die Ähnlichkeit mit einem Peptid aus Hypocretin hat. Dieses Fragment ist ein T-Zell-Epitop für Menschen mit dem Allel HLA DQ0602, jener Erbanlage, die mit dem Vorkommen von Narkolepsie nach Pandemrix-Gabe stark assoziiert ist. Da alle Proteine innerhalb der Zelle abgebaut und durch MHC-I-Komplexen auf der Zelloberfläche präsentiert werden, komme es so zum Angriff des Immunsystems nicht nur auf Zellen, in denen das HA-Protein gebildet werde, sondern auch auf solche, die ­Hypocretin bilden. Diese werden durch zytotoxische T-Zellen vernichtet. Die molekulare Ähnlichkeit ist wiederholt nachgewiesen worden [5]. „Nur kommt das HA-Protein auch bei der natürlichen Infektion vor“, sagt Hildt. „Damit fehlt die Erklärung, warum wir die Narkolepsie-Fälle gehäuft nach der Impfung beobachten.“ Es sei noch weitere Forschung nötig, um den Pathomechanismus zu klären.

AS03 derzeit nicht verwendet

Das Adjuvans mit Vitamin E, genannt AS03, wird bei den derzeit in der EU zugelassenen COVID-19-Impfstoffen nicht verwendet. Allerdings befindet sich mit Vidprevtyn ein von Sanofi und GlaxoSmithKline entwickelter SARS-CoV-2-Subunit-Impfstoff im Rolling-Review-Verfahren, bei dem als Adjuvans AS03 eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu wissen, dass bei Menschen über 40 Jahren keine Häufung von Narkolepsie-Fällen gesehen wurden. Da ist das Adjuvans nach Aussagen von Hildt sicher. AS03 war ohnehin zunächst nicht für die saisonalen, sondern nur für pandemischen Influenza-Impfstoffe vorgesehen und diente auch dazu, Antigen einzusparen. „Man brauchte einfach weniger Protein pro Dosis“, so Hildt.

Auch Novavax hat seinen adjuvantierten Impfstoff mit ­diesem Ziel entwickelt. Der Website ist zu entnehmen, dass Matrix-M die Antigen-Menge reduzieren kann, die benötigt wird , um die gewünschte Immunreaktion zu erhalten, was dazu führt, dass die Produktionskapazität erhöht werden kann.

Der Fall Pandemrix legt jedenfalls nahe, dass auch Adjuvanzien Komplikationen hervorrufen können, zumindest theoretisch. Allerdings habe man mit Saponin-basierten Wirkverstärkern auch schon 15 Jahre Erfahrung, ohne Probleme beobachtet zu haben, so Hildt. Auch Immunologe Christian Münz glaubt nicht, dass beim Novavax-Impfstoff vermehrt unerwünschte Wirkungen auftreten. Er vermutet jedoch, dass der Adjuvanseffekt geringer als bei den mRNA-Impfstoffen sein wird. Einen triftigen Grund, mit der Impfung auf die Zulassung des Novavax- oder eines anderen Subunit-Impfstoffs zu warten, gibt es jedenfalls nicht. |

Literatur

[1] Heath PT, Galiza EP, Baxter DN, et al. Safety and Efficacy of NVX-CoV2373 Covid-19 Vaccine [published online ahead of print, 2021 Jun 30]. N Engl J Med. 2021;NEJMoa2107659. doi:10.1056/NEJMoa2107659

[2] https://www.forbes.com/sites/greatspeculations/2021/07/07/can-novavax-rise-to-the-manufacturing-challenge/?sh=6b204d61932c

[3] https://ir.novavax.com/Novavax-Statement-on-Takeda-Agreement-to-Provide-150-Million-Doses-of-NVX-CoV2373-to-the-Government-of-Japan

[4] Masoudi S, Ploen D, Kunz K, Hildt E. The adjuvant component α-tocopherol triggers via modulation of Nrf2 the expression and turnover of hypocretin in vitro and its implication to the development of narcolepsy. Vaccine. 2014;32(25):2980-2988. doi:10.1016/j.vaccine.2014.03.085

[5] Guo Luo, Aditya Ambati, Ling Lin, Mélodie Bonvalet, Markku Partinen, Xuhuai Ji, Holden Terry Maecker, Emmanuel Jean-Marie Mignot, Autoimmunity to hypocretin and molecular mimicry to flu in type 1 narcolepsy. Proceedings of the National Academy of Sciences Dec 2018, 115 (52) E12323-E12332; DOI: 10.1073/pnas.1818150116

Autor

Frederik Jötten ist Biologe und hat im Studium seine Schwerpunkte auf Infektiologie und Molekulargenetik gelegt. Als freier Wissenschaftsjournalist und Reporter schreibt er für eine Vielzahl von Medien, unter anderem spektrum.de und GEO.

Weiterer Beitrag des Pandemie Spezials in DAZ 2021, Nr. 38

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