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Arzneimittel und Therapie
Prostatakrebs und das Mikrobiom
Bestimmte Darmbakterien könnten den Therapieerfolg gefährden
Mit ca. 65.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland (Stand 2017, Quelle: Robert Koch-Institut) steht das Prostatakarzinom an erster Stelle der soliden bösartigen Erkrankungen. Dank der guten Diagnostik werden Prostatakarzinome heute oft in frühem, organbegrenztem Stadium entdeckt und können kurativ behandelt werden. Eine häufig genutzte Therapieoption bei fortgeschrittener Erkrankung ist der Androgen-Entzug, auch Androgen-Deprivationstherapie genannt. Das kann nichtmedikamentös mithilfe einer Orchiektomie, also einer Entfernung des Hodens, erfolgen. Meist wird die Androgen-Deprivationstherapie jedoch medikamentös durchgeführt. So soll das Androgen-bedingte Wachstum der Prostatakarzinomzellen eingedämmt werden. Androgene – deren Hauptvertreter Testosteron ist – werden zum Großteil in den Hoden unter dem Einfluss des luteinisierenden Hormons (LH) gebildet. Daher werden für die Androgen-Deprivationstherapie neben LH-RH(Luteinisierendes-Hormon-Releasing-Hormon)-Analoga auch LH-RH-Antagonisten und/oder Antiandrogene eingesetzt (s. Tabelle).
Wirkstoffklasse | Wirkstoffbeispiele | Wirkmechanismus |
---|---|---|
LH-RH-Analoga | Buserelin (z. B. Profact®), Gonadorelin (z. B. Lutrepulse®) | durch Dauerstimulation der Hypophyse kommt es zur sogenannten medikamentösen Kastration: Die LH-RH-Rezeptorzahl der Hypophyse nimmt ab, sie wird unempfindlich für LH-RH, LH fällt ab, und die Androgen-Spiegel sinken |
LH-RH-Antagonisten | Cetrorelix (Cetrotide®), Degarelix (Firmagon®) | blockieren LH-RH-Rezeptoren an der Hypophyse, wirken etwas schneller als die LH-RH-Analoga, weil sie nicht zu einem initialen Androgen-Anstieg führen |
Antiandrogene | Cyproteronacetat (z. B. Androcur®) | blockieren die Rezeptoren der Androgene an den Zielzellen und verhindern so ihre Wirkung |
LH: Luteinisierendes Hormon; LH-RH: Luteinisierendes-Hormon-Releasing-Hormon |
Wenn der Tumor nicht mehr anspricht
Nach einem oft guten initialen Ansprechen auf die Therapie entwickeln viele Patienten jedoch eine gewisse Resistenz gegen die Androgen-Deprivation, was häufig zu einer Tumorprogression führt. Man spricht dann von einem kastrationsresistenten Prostatakarzinom, die Prognose ist meist schlecht. Neben der Suche nach neuen Therapieoptionen für solche Patienten ist ein weiterer Ansatz, zu versuchen, die Entstehung der Hormonresistenz hinauszuzögern.
Die Rolle des Mikrobioms
Das menschliche Mikrobiom besteht aus etwa 100 Billionen Bakterien, die eine wichtige Rolle bei vielen Prozessen wie der Verdauung und der Abwehr von Krankheitserregern spielen. In den letzten Jahren wird dem Mikrobiom und dessen Einfluss auf unsere Gesundheit wachsende Bedeutung zugeschrieben. Auch kristallisiert sich heraus, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms Einfluss auf viele Erkrankungen, darunter auch Krebs, hat. Beispielsweise ist bekannt, dass Mikroorganismen durch die Freisetzung von Toxinen die Tumorentstehung und das Tumorwachstum beeinflussen können. Auch ein Effekt auf die Wirkung von Chemotherapie und Immun-Checkpoint-Inhibitoren wird vermutet. Bisherige Ergebnisse aus Mausmodellen und humanen Tumorproben geben Hinweise darauf, dass bestimmte Mikroorganismen das Wachstum von Prostatakarzinom-Zellen beschleunigen können, indem sie chronische Entzündungen fördern. Ein Forschungsteam aus Großbritannien und der Schweiz ging nun der Frage nach, ob die individuelle Darmflora einen Einfluss auf den Therapieerfolg bei Prostatakrebs hat, und untersuchte dafür verschiedene Mausmodelle sowie die Stuhlproben von Patienten. Tatsächlich kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass bestimmte Darmbakterien an der Entstehung der Hormonresistenz beteiligt sein können.
Darmbakterien als Hormonproduzenten
Wie gelingt es den Darmbakterien, Einfluss auf die Hormontherapie zu nehmen? Die Untersuchung der Bakterienkulturen ergab, dass einige Bakterienstämme, die sich besonders dann ausbreiten, wenn die Androgen-Spiegel niedrig sind, selbst in der Lage sind, Androgene aus Vorstufen zu synthetisieren. Den Krebszellen wird damit also eine alternative Hormonquelle zur Verfügung gestellt. Entsprechend wuchsen die Tumoren im Mausmodell bei den Tieren langsamer, bei denen diese Darmbakterien durch Antibiotika-Gabe beseitigt wurden. Darüber hinaus führte sogar eine Stuhltransplantation von hormonresistenten Tieren in Tiere mit niedrigen Androgen-Spiegeln, die aber noch keine Hormonresistenz entwickelt hatten, zu verstärktem Tumorwachstum. Um eine Übertragbarkeit vom Mausmodell zum Menschen zu schaffen, wurden auch Stuhltransplantationen von Männern mit hormonresistentem Prostatakrebs auf Mäuse, deren Prostatatumoren noch nicht unempfindlich geworden waren, durchgeführt – mit dem gleichen Ergebnis: Das Tumorwachstum wurde verstärkt.
Mehr Wissen zum Mikrobiom
Wir sind nicht allein! Unzählige Bakterien, Viren und Pilze leben mit uns auf und in unserem Körper zusammen, oft zu gegenseitigem Nutzen. Doch leider nicht immer. Was wissen wir bis heute über unsere Mitbewohner, über unser Mikrobiom? Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Robert Fürst vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt werden hier Licht ins Dunkel bringen. Besonders spannend sind die Interaktionen des Darmmikrobioms mit dem Gehirn. Welche Bedeutung hat das für die psychische Gesundheit und wie wirken sich Psychopharmaka auf das Mikrobiom aus? Den Wissensstand dazu wird Dr. Susanne Michels vom Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmazie der Universität Marburg zusammenfassen.
Vollständiges Programm und Tickets unter: www.interpharm.de
Mikrobiologische Fingerprints
Eine genaue Untersuchung der Zusammensetzung der Darmflora der Männer zeigte gewisse „Fingerprints“. Auffallend stark vertreten war zum Beispiel Ruminococcus gnavus, ein Bakterium, das in kleineren Mengen auch in der gesunden Darmflora des Menschen vorkommt. Auf der anderen Seite war das Bakterium Prevotella stercorea mit einem günstigeren klinischen Verlauf assoziiert. Sicherlich sind weitere Untersuchungen nötig. Doch die speziellen Bakterienzusammensetzungen bei Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakrebs könnten zukünftig als potenzieller minimalinvasiver Biomarker dienen, um frühzeitig zu entscheiden, welche Patienten von einer das Mikrobiom beeinflussenden Therapie – wie Antibiotika-Therapie oder Stuhltransplantationen – profitieren können. Es lässt sich festhalten, dass die Androgen-Deprivationstherapie zu einer veränderten intestinalen Bakterienflora führt. Die Mikroorganismen sind in der Lage, durch ihren Einfluss auf den Androgen-Metabolismus Einfluss auf den Krankheitsverlauf zu nehmen. Da subtile Variationen in den Testosteron-Spiegeln die Prognose der Erkrankung signifikant beeinflussen können, können diese Ergebnisse bedeutend für neue Therapieansätze sein. |
Literatur
Pernigon N. et al. Commensal bacteria promote endocrine resistance in prostate cancer through androgen biosynthesis. Science 2021;374:216-224
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