Deregulierung freier Berufe

Finanzinvestoren kaufen Tierarztpraxen

Süsel - 04.02.2016, 13:00 Uhr

Immer mehr Tierarztpraxen sind in Fremdbesitz. (Foto: picture alliance/JOKER)

Immer mehr Tierarztpraxen sind in Fremdbesitz. (Foto: picture alliance/JOKER)


Die Regularien für freie Berufe sind vielen Angriffen ausgesetzt - nicht nur bei Apotheken. Ein neuer Aspekt ist der Fremdbesitz bei Tierarztpraxen. Dieser ist in vielen Bundesländern bereits zulässig und Finanzinvestoren beginnen sich, hier einzukaufen.

Im Titelbeitrag der Tierärztezeitschrift „VetImpulse“ vom 15. Januar prognostiziert die Autorin Petra Oehler für 2016 große Veränderungen für die Tierärzte. Denn seit knapp einem Jahr würden schwedische Investoren „bisher noch unauffällig und leise“ deutsche Kliniken und Praxen aufkaufen. Damit setze sich in Deutschland eine Entwicklung fort, die in Großbritannien und Skandinavien begonnen hat. In Schweden seien fünf Jahre nach der Zulassung des Fremdbesitzes bereits mehr als die Hälfte der Praxen im Besitz von Ketten. Diese seien als Arbeitgeber wegen der guten Arbeitsbedingungen und der Fortbildungsangebote interessant. Problematisch seien jedoch die niedrigen Gehälter, wenn Ketten den Markt beherrschen. Außerdem steuere die Zentrale die Angebote der Praxen und Spezialisten würden außerhalb der Ketten nur noch schwer Überweisungen erhalten, heißt es in dem Beitrag in „VetImpulse“.

Kettenbetreiber aus Schweden

Als Interessenten für den Aufbau solcher Ketten in Deutschland werden in „VetImpulse“ die schwedischen Unternehmen AniCura und Evidensia genannt. Nach Angaben auf seiner deutschsprachigen Internetseite verfügt AniCura über 100 Einrichtungen, von denen 8 in Deutschland und Österreich liegen (Stand 23.12.2015), die Suchfunktion zeigt die deutschen und österreichischen Standorte jedoch nicht an. Nach eigenen Angaben gehört das 2011 entstandene Unternehmen einigen Mitarbeitern, einer Stiftung und den beiden Finanzinvestoren Fidelio Capital und Nordic Capital. Evidensia hat keine deutsche Internetseite für das Publikum, wendet sich aber mit einer deutschsprachigen Seite an Tierärzte und ihre Mitarbeiter und bietet Fortbildungen auch in Deutschland an. Nach Angaben auf seiner schwedischen Internetseite wurde das Unternehmen 2012 gegründet und gehört zahlreichen Mitarbeitern, zwei Stiftungen und dem Finanzinvestor EQT. Dort heißt es, das Unternehmen sei auch in Deutschland und der Schweiz vertreten, aber diese Standorte werden nicht angezeigt.

Regularien in Deutschland

In Deutschland ist die tierärztliche Berufsausübung in den Heilberufekammergesetzen der Länder geregelt. Diese können in den Berufsordnungen der Kammern präzisiert werden. Die entscheidenden Fragen sind dabei jeweils, ob sich Nicht-Tierärzte an einer Praxis beteiligen dürfen und ob sie dann die Kapitalmehrheit erwerben dürfen.

Dies ist in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Nach Angaben des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (bpt) gibt es in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland keine Beschränkungen für den Betrieb von Praxen als GmbH und keine Einschränkungen für Nicht-Tierärzte. Dort sind Ketten also zulässig. Dagegen bestünden in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Regeln in den Heilberufekammergesetzen und teilweise in den Berufsordnungen, nach denen die Mehrheit der Kapitalanteile bei Tierärzten liegen muss und ein tierärztlicher Geschäftsführer bestellt werden muss.

Berufspolitischer Hintergrund

In dem Beitrag in der „VetImpulse“ wird der politische Druck beklagt, unter dem die Vorschriften immer mehr aufgeweicht würden. Fremdbesitz würde in immer mehr Bundesländern zugelassen, weil ein Vertragsverletzungsverfahren der EU befürchtet werde. Denn Fremdbesitzverbote gelten als Marktbeschränkungen im Dienstleistungssektor, zu dem die Tierärzte in der EU gezählt werden.

Doch die Konsequenzen könnten viel weiter reichen. Heiko Färber, Geschäftsführer des bpt, äußerte sich gegenüber DAZ.online besorgt über die drohenden Folgen für alle freien Berufe. Auch wenn die Deregulierung bei Tierärzten auf dem Druck der EU beruhe, könnte dieser auf nationaler Ebene eine politische Stimmung gegen die Freiberuflichkeit stärken, fürchtet Färber. Dies würde dann mittelbar auch andere Berufe wie die Apotheker treffen.

Investoren erhalten Zugang zum Arzneimittelmarkt

Doch es lässt sich noch weiter denken. Ein weiteres Problem könnte der Zugang werden, den Finanzinvestoren über die Tierärzte zum Arzneimittelmarkt auf der Endverbraucherebene erhalten. So können Konzerne trotz des bestehenden Fremdbesitzverbots für Apotheken zumindest in einem kleinen Marktsegment zu Konkurrenten für Apotheken werden. Bei Tierarzneimitteln werden die Wettbewerber der Apotheken daher künftig wohl nicht mehr nur Tierärzte als freie Heilberufler, sondern auch internationale Konzerne mit entsprechenden Marketingstrategien sein.

Auch wenn dies derzeit noch Spekulation ist, drängt sich der Gedanke auf, dass Finanzinvestoren ihre Anteile an Tierarztketten, wenn diese erst einmal etabliert sind, an Arzneimittelhersteller verkaufen könnten. Dann käme zur horizontalen auch die vertikale Konzentration.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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