Verräterischer Müll

Entzündungshemmer im EM-Quartier

Berlin - 01.07.2016, 07:00 Uhr

Am besten bewacht: Es gibt keine Chance, sich den Mülleimern des deutschen Teams zu nähern. (Foto: Jannik Jürgens / Correctiv.org)

Am besten bewacht: Es gibt keine Chance, sich den Mülleimern des deutschen Teams zu nähern. (Foto: Jannik Jürgens / Correctiv.org)


Was sagen DFB und Anti-Doping-Behörde?

Am Mittwoch dieser Woche reiste unser Reporter nach Evian zur deutschen Mannschaft, die im dortigen Luxushotel „Ermitage” einquartiert hat. Von den fünf besuchten Mannschaftshotels ist das deutsche Hotel am besten abgeriegelt. Das Hotel ist von großen Sichtschutzwänden umgeben. Die Mülltonnen sind hier noch nicht einmal in Sichtweite.

Bei der Tour de France hatte die französische Anti-Doping-Behörde AFLD vor einigen Jahren noch aktiv die Mülleimer mehrerer Radteams durchsucht. Damals hatten die Dopingfahnder verschiedene Dopingpräparate gefunden. Auf eine Anfrage von correctiv.org, ob die Behörde auch bei der Fußball-EM den Müll der Teams durchsucht, hat die AFLD bislang nicht geantwortet.

Neun verschiedene Arzneimittel vor dem Spiel

Es gibt zahlreiche Hinweise, dass die Einnahme von Arzneimitteln im Fußball weit verbreitet ist. In den vergangenen Jahren haben verschiedene Studien des Weltverbandes Fifa gezeigt, wie exzessiv Fußballer Schmerzmittel und andere Präparate einsetzen.

Bei der WM 2014 in Brasilien schluckten zwei von drei Spielern mindestens einmal im Turnier etwas, davon 40 Prozent vor jedem Spiel. Bei einem Team hatte sogar jeder einzelne Spieler während des Turniers Arzneimittel genommen, darunter auch Ersatzspieler, die nicht eine einzige Minute auf dem Feld standen. In diesem Team hatte jeder Spieler im Schnitt fast fünf verschiedene Wirkstoffe genommen, schreibt die Fifa in einem Bericht. Zwei Spieler hatten sogar neun verschiedene Arzneimittel in den 72 Stunden vor dem Anpfiff genommen. Dabei betreffen diese Statistiken nur die offiziell dokumentierten Mittel, die jede Mannschaft an die Fifa melden muss.

Der DFB antwortet nicht

Am beliebtesten waren dabei mit großen Abstand verschiedene Schmerzmittel und Entzündungshemmer. Jeder zweite Spieler griff zu diesen Präparaten. Je länger das Turnier dauerte, desto mehr Medikamente bekamen die Spieler. Das beliebteste Mittel war Diclofenac. Die Fifa untersucht seit 2002 systematisch, welche Mittel die Spieler bei großen Turnieren nehmen. Selbst bei den Junioren-Weltmeisterschaften, von der U-20 bis runter zur U-17, nahmen 43 Prozent mindestens einmal während des Turniers Schmerzmittel.

Doping-Agentur will nicht eingreifen

Immer wieder wird die Frage diskutiert, ob die Welt-Anti-Doping-Agentur Schmerzmittel nur mit Genehmigung zulassen sollte und alles andere als Doping werten müsste. Schließlich hätten Fußballer ohne Schmerzmittel oft nicht die Chance, über ihre normale Leistungsfähigkeit hinaus zu gehen, oder könnten teilweise vor Schmerzen gar nicht auf dem Platz stehen. Bislang spricht sich die Welt-Anti-Doping-Agentur gegen eine härtere Kontrolle oder ein Verbot von Analgetika aus.

Update 2. Juli: Als Reaktion auf die Recherche von CORRECTIV hat die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) den europäischen Fußballverband (Uefa) kontaktiert. Das bestätigt NADA-Geschäftsführer Lars Mortsiefer auf Anfrage von Correctiv.org. In dem Schreiben fordert die NADA die Uefa dazu auf, eine Stellungnahme vom ukrainischen Fußballverband einzuholen. Spannend ist zum Beispiel die Frage, wer im Team eine Infusion benötigt hat und ob dabei nicht die erlaubte Grenze von 50 Milliliter überschritten wurde. Die Ukraine zählt zu den drei Ländern bei der Euro 2016, mit denen die Uefa keinen Anti-Doping Kooperationsvertrag fürs Turnier unterzeichnet hat, weil die zuständige Behörde vor Ort derzeit umstrukturiert wird.

Die Autoren sind Mitarbeiter des Recherchezentrums CORRECTIV. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: In monatelanger Recherche Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie CORRECTIV unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org.



Jannik Jürgens, Jonathan Sachse, Daniel Drepper / correctiv.org


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