Arzneimittelfälschungen in der ARD

Geben Apotheker gefälschte Arzneimittel ab?

Berlin - 18.05.2017, 11:50 Uhr

Fälschungen in deutschen Apotheken? Einer ARD-TV-Doku zufolge landen über viele Umwege auch hierzulande gefälschte Arzneimittel. (Screenshot: DAZ.online)

Fälschungen in deutschen Apotheken? Einer ARD-TV-Doku zufolge landen über viele Umwege auch hierzulande gefälschte Arzneimittel. (Screenshot: DAZ.online)


Am gestrigen Mittwochabend hat sich die ARD in mehreren Sendungen dem Thema „Arzneimittelfälschungen“ gewidmet. Ausgangspunkt war der pharmakritische Film „Gift“, auf den eine Dokumentation folgte, in der die Frage gestellt wurde, ob auch in deutschen Apotheken gefälschte Medikamente landen. Die Antwort der TV-Autoren: Ja! Die ABDA und Pharmaverbände halten dagegen.

Anfang Mai hatte der pharmakritische Film „Gift“ Premiere in einem Berliner Kino. Grimme-Preisträger Daniel Harrich erzählt in dem Film eine fiktive Geschichte, die sich um illegale Machenschaften von Herstellern und Verflechtungen der Arzneimittelbehörden dreht. Am gestrigen Mittwochabend wurde „Gift“ erstmals im Fernsehen ausgestrahlt. Anschließend folgte eine TV-Dokumentation, die ebenfalls von Harrich stammt. Angekommen in der Realität, will Harrich in seiner TV-Doku wissen, ob auch in den europäischen Lieferketten Arzneimittelfälschungen auftauchen.

Aus Apothekersicht könnte der Einstieg in den Beitrag nicht drastischer sein. Eine ehemalige Interpol-Agentin behauptet: „Auch Apotheker sind bestechlich.“ Es folgt ein ehemaliger Polizist und Fälschungs-Ermittler, der später als Sicherheitsberater in der Pharmaindustrie arbeitete. Und auch er ist der Meinung: „Apotheken sind relativ sicher. Aber auch da kann man mal eine gefälschte Packung bekommen, das haben Fälle in den letzten Monaten bewiesen.“ Um zu beweisen, dass auch hierzulande gefälschte Präparate über den HV-Tisch gereicht werden, erzählt der Beitrag die Geschichte einer Patientin, die an Nierenkrebs leidet. Sie nimmt Sutent (Sunitinib) von Pfizer ein, das sie aus einer deutschen Apotheke bezieht. Nach einer Folgeverordnung des Tyrosinkinase-Inhibitors tauchen auf einmal wieder Metastasen auf, die Nebenwirkungen verschwinden. Der Arzt vermutet, dass es eine wirkungslose Fälschung war, und gibt dem Pharma-Unternehmen Pfizer die Schuld. „Das ist ein billigendes Töten zur Maximierung eigener Profite.“

Apotheker Glaß vermutet Fälschungen auch in deutschen Apotheken

Nur eine Ausnahme? Nein, meint Apotheker Detlef Glaß. „Wenn meine Kinder an Krebs erkranken, vertraue ich den Vertriebswegen in Deutschland nicht mehr. Und wenn der Apotheker kein Vertrauen mehr in die Qualität der Arzneimittel hat, sieht es aus meiner Sicht schlecht aus.“ Glaß berichtet von den „zwielichtigen“ Teilen der Arzneimittel-Lieferkette. Für ihn gehören alle Akteure im System dazu: „Alles, was einen weißen Kittel trägt, Ärzte und auch Apotheker“ sei an diesen Geschäften beteiligt. Aber auch andere Akteure, die die Arzneimittel an den offiziellen Vertriebswegen vorbei billiger in den Markt brächten. Die treibende Kraft sei der kaufmännische Grundsatz „Im Einkauf liegt der Gewinn“, erklärt der Pharmazeut.

Aber wo kommen die gefälschten Präparate her? Eine Zollfahnderin aus Essen berichtet über einen großen Coup der Ermittler, bei dem gefälschte Arzneimittel im Wert von mehreren Millionen Euro sichergestellt wurden. Der Drahtzieher habe in den Niederlanden gesessen. Der Mann habe seine indischen Wurzeln genutzt, um in seiner Heimat gefälschte Präparate einzukaufen. Nun gerät der indische Pharmamarkt in den Fokus des Beitrages. Ein Mitarbeiter des indischen Pharmakonzerns Ranbaxy, der als „Pharma-Whistleblower“ gilt, erklärt, dass sich die Pharmakonzerne so sehr auf die Kosten und Ausgaben konzentrierten, dass die Qualität vernachlässigt werde. Aber weil auch die meisten Pharmahersteller aus den europäischen Staaten für die Herstellung ihrer Präparate (Generika und Originale) günstigere Anbieter in Asien beauftragten, betreffe dieses Qualitätsproblem auch uns, heißt es im Beitrag weiter. Das Problem: Die beauftragten Hersteller beauftragen ihrerseits wieder andere Subunternehmen, die sich dann nicht mehr an die Good Manufacturing Practices (GMP) halten.

Fälschungen kommen aus Indien

Der Vorwurf des ehemaligen Pharma-Mitarbeiters wiegt schwer: Seiner Meinung nach stellen indische Behörden den europäischen Abnehmern Dokumente aus, aus denen die Einhalt der GMP-Richtlinien hervorgeht, ohne dass die Behörden jemals die jeweiligen Produktionsstätten gesehen hätten. Gefälscht würden nicht nur die GMP-Zertifikate, sondern auch Zulassungsstudien für neue Medikamente. In letzter Zeit gab es immer wieder Fälle, in denen Zulassungen aufgrund von Zweifeln an den in Indien durchgeführten Studien ruhen mussten. Professor Karl Broich, Chef des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), spricht davon, dass nun „verstärkt inspiziert“ werde und Unregelmäßigkeiten „konsequent verfolgt würden.“ Erzählt wird auch die Geschichte des Krebsmedikamentes Bicnu (Carmustin) des indischen Herstellers Emcure. Das Arzneimittel sei über mehrere Zwischenhändler und Umwege auch in Europa gelandet und sogar Patienten verabreicht worden. Nun ermittelt die irische Arzneimittelbehörde, weil der Verdacht besteht, dass mehrere Chargen des Medikamentes gefälscht sein könnten.

„Kommen so gefälschte Medikamente auch in deutsche Apotheken?“, will der Autor des Beitrages wissen. Interviewt wird nun Professor Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK). Mehr als 8000 Verdachtsfälle habe es im vergangenen Jahr gegeben. Auch Schulz berichtet von einer „aufgeweichten, komplexen, unübersichtlichen und intransparenten“ Lieferkette. Der Sprecher berichtet davon, dass Apotheker dazu verpflichtet sind, mindestens einmal am Tag eine Arzneimittelpackung auf ihre Qualität hin zu überprüfen. Apotheker Glaß dazu: „Auch da tauchen schon Auffälligkeiten auf.“

Aber zurück zu Pfizer. Laut TV-Dokumentation hatte der US-Konzern Privatdetektive beschäftigt, um herauszufinden, ob das Krebsmedikament Sutent wirklich gefälscht nach Europa eingeführt werde. Nach ersten Verdachtsfällen der Detektive habe Pfizer die Ermittlungen aber spontan wieder eingestellt, heißt es im Beitrag. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass Pfizer und andere Pharmaunternehmen eine Zeit lang die Fälschungs-Ermittler von Interpol finanziell unterstützten.

Konflikt zwischen ABDA und Pro Generika

Die ABDA wollte sich zu dem Beitrag nicht äußern. Eine Sprecherin verwies auf ein Faktenblatt, das die Interessenvertretung der Apotheker am gestrigen Mittwoch veröffentlicht hatte. Dort heißt es unter anderem, dass Apotheker Teil der legalen Lieferkette seien und ihre Arzneimittel nur von Großhändlern und Herstellern beziehen dürften. Außerdem seien die Pharmazeuten dazu verpflichtet, Fertigarzneimittel zu überprüfen. Und: Laut Arzneimittelgesetz würden auch die Apotheken selbst überprüft. In dem Papier wird auch über die Prüfungen der AMK berichtet. 2016 habe es beispielsweise 16 Verdachtsfälle gegeben, wobei sich keiner davon bestätigte.

Wie funktioniert die Lieferkette? (Grafik: Pro Generika)

Der Branchenverband Pro Generika reagierte gleich mit mehreren Veröffentlichungen auf den ARD-Themenabend. Auf einer Info-Grafik des Verbandes wird die Arzneimittel-Lieferkette abgebildet. Außerdem veröffentlichte Pro Generika einen Faktencheck auf der Internetseite des Verbandes. Darin geht der Verband mit den Recherchen hart ins Gericht. Unter anderem heißt es dass die Fälschungs-Problematik schon länger bekannt sei und dass der Generika-Verband schon vor längerer Zeit auf die Problematik mit der Produktionsstättenverlagerung hingewiesen habe. Pro Generika weist auch darauf hin, dass sich Patienten in den allermeisten Fällen ihr Präparat aufgrund der bestehenden Rabattverträge nicht aussuchen können. Auch die Behauptungen, dass eine „Profitgier“ und keine Transparenz im Markt vorherrschten, seien falsch.

Inzwischen hat sich zwischen Pro Generika und der ABDA ein kleiner Konflikt zu dieser Thematik entwickelt. Mit Bezug auf die untersuchten Verdachtsfälle der AMK teilte Pro Generika am gestrigen Mittwoch, also noch vor Ausstrahlung der Sendung, mit, dass es „null“ gefälschte Arzneimittel aus Apotheken in 2016 gegeben habe. Die ABDA widerspricht dieser Darstellung. Eine Sprecherin sagte gegenüber DAZ.online: „Eine solche Aussage wurde von Seiten der AMK nicht getätigt. Die AMK hat lediglich bestätigt, dass ihr im Jahr 2016 insgesamt 14 Verdachtsfälle vorgelegt wurden, von denen sich keiner als tatsächliche Fälschung erwiesen hat. Die AMK hat keine Einschätzung zur Häufigkeit von Fälschungen bei den insgesamt 1,4 Mrd.  durch Apotheken abgegebenen Packungen abgegeben.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


Diesen Artikel teilen:


4 Kommentare

Anreize

von Holger am 23.05.2017 um 8:26 Uhr

Es gibt doch verschiedene Anreize, die Straftäter(!) dazu bewegen, gefälschte Arzneimittel zu produzieren und in den Markt zu bringen. Wenn man dagegen vorgehen will, muss man alle diese Anreize minimieren.

1. Gewinnspanne
Wenn man mit Arzneimitteln mehr Geld verdienen kann, als mit illegalen Drogen, ist doch kein Wunder, wenn sich zwielichtige Subjekte auf diesen Markt stürzen? Nirgendwo ist die Gewinnspanne so groß, wie beim Unterschied zwischen Produktionsaufwand und Verkaufspreis von Arzneimitteln - zumindest für Monopolprodukte. Erst wenn diese Gewinnspanne deutlich sinkt, wird das Interesse abnehmen.

2. B2B-Lieferkette
Je mehr Beteiligte in diesem Prozess, desto höher wird das Risiko dafür, dass "irgendwer" sich illegal betätigt. Mich stimmt allein schon die in den letzten zehn Jahren dramatisch gestiegene Zahl der AM-Großhandelserlaubnisse kritisch. Den meisten davon vertraue ich ja, aber wenn es immer mehr gibt, reicht eben auch ein kleiner Anteil an nicht-vertrauenswürdigen, um Schaden zu verursachen.

3. Versandhandel
Der Kunde hat KEINE Chance, da können wir noch so viele Siegel und ähnliches konstruieren, einen vertrauenswürdigen Versender von einer zwielichtigen Quelle zu unterscheiden. Ich verweise da gerne immer wieder auf die unterhaltsamen Studien von Prof. Schweim aus Bonn. Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gehört verboten, weil er für den Patienten gefährlich ist. Punkt.

Schlussbemerkung:
Das mit den Fertig-AM-Prüfungen in den Apotheken ist ja nett gemeint, aber glauben wir ernsthaft, wir könnten so gut gemachte Fälschungen enttarnen?? Höchstens, wenn die Sekundärverpackung laienhaft produziert ist. Dieses Instrument ist doch eher geeignet, moderate Schlampigkeit im Konfektionierungsprozess "normaler" Hersteller zu entdecken.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Anreize

von Clara am 25.05.2017 um 15:15 Uhr

Ich möchte gezielt auf die Schlussbemerkung von Holger eingehen, der völlig Recht hat: die Chance, bei einer visuellen Prüfung vor Ort in der Apotheke etwas zu finden ist wirklich sehr überschaubar!
Wenn - wie die Webseite www.pharmacrime.de der ARD zeigt - insgesamt von 349 Produkten von 22! Pharmaunternehmen (allen voran mit 105 Produkten die Firma Pfizer) die originalen! reprofähigen Druckdateien im Internet frei verfügbar sind, kann ich mir als Apotheker die visuellen Kontrollen ganz schenken.
Qualität kann ich nur erzeugen - nicht erkontrollieren!
Ich bewundere die stoische Ruhe der deutschen Apothekerverbände, deren alleine für mich erkennbare Reaktion bisher darin besteht, der Öffentlichkeit die Beruhigungspille "so schlimm ist es nicht" zu verabreichen.
Angesichts der von der ARD aufgedeckten Fakten müssten die Apothekerverbände aus meiner Sicht Sturm laufen gegen Pfizer, die das Ganze angerichtet haben und gegen das Gesundheitsministerium, das jahrelang genauso versäumt hat, angemessen zu kontrollieren wie das Umweltministerium beim Dieselskandal.
Wenn Konsumenten zum Apotheker ihrer Wahl kein Vertrauen mehr haben können, entziehen die Auslöser dieser Situation der deutschen Medikamentenversorgung den ideellen Boden und den betroffenen Apothekern in ohnehin schweren Zeiten damit die wirtschaftliche Grundlage.
Pfizer hat mit dem Nichtmelden der Sutent Erkenntnisse und dem Wissen um das Datenleck seiner internen Verpackungsdateien in 2011 nicht nur eklatant gegen die eigenen Pfizer Compliance Richtlinien verstoßen, sondern schadet den deutschen Apothekern damit möglicherweise in nie dagewesenem Ausmaß.
Wann fangen die Apotheker endlich an, sich angemessen zu wehren und Pfizer für das skandalöse Verhalten zur Verantwortung zu ziehen statt „öffentliches Pfeifen im Walde“ zu praktizieren.

Schmidt hat die Lieferketten wissentlich gebrochen

von Ratatosk am 19.05.2017 um 9:10 Uhr

Die unsellige Ulla wollte die sog. verkrusteten Ketten ja brechen, das hat sie geschafft und damit für die todbringende Entwicklung den Weg gebahn.
Leider sind die SPD, FDP und die Grünen immer noch völlig lernresistent.
Es ist natürlich die Abwägung, wieviel Schaden gegen den Nutzen des Großkapitals.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

AMK, ZL, Apotheken ... bitte zur "Front" ...

von Christian Timme am 18.05.2017 um 14:07 Uhr

Und noch eine Gelegenheit vor "der Wahl". Jetzt heißt es "mitmischen" und zwar "richtig & schnell & gezielt". Auf die "Gesamtdosierungen" achten ... und noch was, die "Gift-Hauptdarsteller" zum DAT/expopharm einladen ... der Termin stimmt und jetzt ran an "die Themen" ... der Sommer kann kommen ...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.