BAH

Pharmaverband verteidigt die Homöopathie

Bonn - 20.06.2017, 13:25 Uhr

Herstellung homöopathischer Präparate. (Foto: dpa)

Herstellung homöopathischer Präparate. (Foto: dpa)


Nachdem die Homöopathie nach Zwischenfällen und Verbotsforderungen in letzter Zeit vermehrt in die Kritik geraten ist, positioniert sich nun der Bundesverband der Arzneimittelhersteller zu dem Thema. Er betont die hohe pharmazeutische Qualität und Unbedenklichkeit wie auch die Bedeutung der Apothekenpflicht. Doch der Verband lässt offen, wo die Homöopathie ihre Grenzen hat. Dass es wenige bis keine Studien zum Nachweis der Wirksamkeit von Homöopathika gibt, sei normal, da Nachweise bei individuellen Therapien nur schwer möglich seien.

Kritik an fehlenden Wirksamkeitsnachweisen, Forderungen gegen Kostenerstattungen und verstorbene Kinder in den USA, Italien oder Belgien, die homöopathisch behandelt worden waren: Die „besondere Therapierichtung“ Homöopathie ist derzeit stark unter Beschuss. Auch von Seiten der Politik werden Forderungen laut, den gesetzlichen Sonderstatus von Globuli & Co. zu ändern, und der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA), Josef Hecken, hatte infrage gestellt, ob Krankenkassen Homöopathika als Satzungsleistung weiterhin erstatten sollten. Bei manchen Pharmaverbänden trifft das verständlicherweise nicht auf Wohlgefallen. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hatte kürzlich eine Umfrage zum Thema durchgeführt – und nun folgt der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) mit einem Positionspapier zum Thema, zu dem auch Homöopathika-Hersteller wie die Deutsche Homöopathie-Union, Heel oder Hevert gehören. 

„Das Grundprinzip in der Therapie mit klassischen homöopathischen Arzneimitteln besteht in der Behandlung von Erkrankungen nach dem Ähnlichkeitsprinzip“, erklärt der Pharmaverband zunächst – und verweist darauf, dass die „Potenzierung“ als „Kraftentfaltung“ zu verstehen sei, die die Homöopathie von allen anderen Heilmethoden unterscheide. Die Symptome des Patienten würden durch den behandelnden Therapeuten erfasst und geordnet, um das im individuellen Fall passende homöopathische Arzneimittel zu finden, erklärt der Verband. Homöopathische Mittel können entweder in der Selbstmedikation oder nach ärztlicher Verordnung angewendet werden.

Die Verkehrsfähigkeit homöopathischer Präparate sei gesetzlich geregelt, betont der BAH. Wie alle anderen Fertigarzneimittel müssten sie auf ihre Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft werden, heißt es in dem Papier zunächst. Doch in Sachen Wirksamkeits-Nachweis fügt der BAH hinzu: „Wenn homöopathische Arzneimittel neben der Qualität und Unbedenklichkeit zusätzlich ihre Wirksamkeit durch Studien oder anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial nachweisen, erhalten sie eine Zulassung für ein konkretes Anwendungsgebiet.“ Denn neben einer „Zulassung“ könnten homöopathische Mittel auch lediglich registriert werden, „der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit ist nicht notwendig“.

In jedem Fall müssten sie die gesetzlichen Anforderungen an eine hohe pharmazeutische Qualität und Unbedenklichkeit und damit Sicherheit erfüllen, betont der Verband – und erklärt: „Homöopathische Arzneimittel sind ein bewährter Bestandteil der Therapievielfalt in der Selbstmedikation mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln“.

BAH benennt keine Grenzen der homöopathischen Therapie

In einem Abschnitt zu „Möglichkeiten und Grenzen der homöopathischen Arzneimittel“ erklärt der Pharmaverband, dass der Gesetzgeber durch den Status der Apothekenpflicht sicherstelle, dass eine sachgerechte und indizierte Anwendung im Rahmen einer heilberuflichen Beratung durch den Apotheker erfolge. „Homöopathische Arzneimittel sind daher besonders gut geeignet, um im Rahmen der apothekengestützten Selbstmedikation bei Störungen des Alltags und leichten vorübergehenden Erkrankungen eingesetzt zu werden“, heißt es. Das könnten sowohl akute Beschwerden als auch wiederkehrende Symptome im Rahmen einer Grunderkrankung sein.

Darüber hinaus würden homöopathische Arzneimittel auch bei Erkrankungen im Rahmen einer ärztlichen Diagnose und Verordnung eingesetzt, erklärt der BAH. „Verantwortungsvolle Apotheker und Ärzte kennen dabei die therapeutischen Grenzen homöopathischer Arzneimittel“, betont der Verband lediglich – ohne dabei die selbst aufgeworfene Frage zu beantworten, wo die Grenzen homöopathischer Therapien eigentlich liegen.

Mehr Platz räumt der Verband hingegen der Frage ein, wie es denn mit der Evidenz von Homöopathika aussieht. Hier erklärt das Papier, dass ein früher Verfechter der evidenzbasierten Medizin, der Epidemiologe David Sackett, neben der wissenschaftlichen Evidenz, die beispielsweise auf Studien beruht, auch Erfahrungen oder Wünsche des Therapeuten oder Patienten berücksichtigt habe. „Bei dem individuellen Therapieprinzip, das hinter der klassischen Homöopathie mit Einzelmitteln steht und bei dem nach systematischen Regeln für jeden Patienten ein für ihn persönlich passendes Arzneimittel bestimmt wird, können keine großen identischen Vergleichsgruppen gebildet werden“, behauptet der BAH – weshalb seiner Ansicht nach Studien „oft nicht möglich“ seien. Bei zugelassenen Arzneimitteln sei dies jedoch anders, erklärt er – ohne jedoch entsprechende Studien aufzuführen.

„Sowohl für Einzelmittel als auch für homöopathische Komplexmittel gibt es eine breite Basis interner Evidenz“, erklärt der Verband. „Diese basiert einerseits auf der Erwartungshaltung und den positiven Erfahrungen der Patienten und andererseits auf den positiven Erfahrungen der Ärzte und Apotheker.“ Er sieht auch eine „steigende Akzeptanz“ als weitere Bestätigung. Die Dokumentation und Beurteilung auftretender Nebenwirkungen generiere außerdem eine externe Evidenz im Hinblick auf Sicherheit und Unbedenklichkeit.

Sollen Kassen für Homöopathie zahlen?

Einige Diskussionen hat in letzter Zeit die Frage verursacht, inwiefern Kassen homöopathische Therapien erstatten sollten – neben Hecken hatte sich beispielsweise auch der Chef der kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, dagegen ausgesprochen.

Mittlerweile bietet über die Hälfte aller Kassen im Rahmen von sogenannten Satzungsleistungen an, ärztlich verordnete Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen – wie auch Homöopathika – bis zu einer bestimmten Grenze zu erstatten, erklärt der BAH. „Damit entsprechen sie dem Wunsch ihrer Versicherten und erkennen an, dass die Expertise des Arztes und die Patientenadhärenz einen bedeutenden Faktor für den Therapieerfolg darstellen.“ 

Die aktuelle Diskussion, Homöopathika sollten wegen fehlender Evidenz nicht mehr im Rahmen von Satzungsleistungen erstattet werden, bezeichnet der Verband als „sachlich falsch“ – er verweist auch hier wieder auf die interne Evidenz sowie auf den „ausdrücklichen Willen“ des Gesetzgebers. Gleichzeitig führe sie zu einer „fahrlässigen Verunsicherung der Patienten“.

Denn: „Oberstes Ziel des BAH in dieser Diskussion ist es, das Vertrauen der Patienten in die Sicherheit und Unbedenklichkeit aller rezeptfreien Arzneimittel und das Vertrauen in den Wert der arztgestützten Empfehlung rezeptfreier Arzneimittel zu erhalten“, erklärt der Verband. Nur so entstehe die „für einen Therapieerfolg unerlässliche Therapieakzeptanz“ der Patienten.

Gleichzeitig betont das Papier, dass der Gesetzgeber durch den Status der Apothekenpflicht sicherstelle, dass eine sachgerechte und indizierte Anwendung im Rahmen einer heilberuflichen Beratung durch den Apotheker erfolgt. Diese stelle – „zum Zwecke einer angemessenen Arzneimittelanwendung“ – den Mehrwert und das Alleinstellungsmerkmal der inhabergeführten öffentlichen Apotheke dar, schreibt der BAH. 



Diesen Artikel teilen:


5 Kommentare

Leidliches Thema ... warum?

von mili am 22.09.2017 um 10:28 Uhr

Hallo Herr Dr. Berndt,
ich respektiere Heilpraktiker und Ärzte gleichermaßen und
ich denke es geht vielen Patienten ebenso.
Der "Ewige Krieg" muß doch nicht sein - einmal geht es um den Heilpraktiker selbst, dann wiederum um seine
Behandlunsmethoden und jetzt um "Heilmittel" ????
Woher kommen denn die Ansätze der modernen Medizin?
Werden nicht (fast Täglich) neue Pflanzen gesucht
/gefunden deren Inhaltsstoffe in der Forschung interessant
sind (Naturheilpflanzen) und dann chemisch Vergewaltigt
werden?
Ist es überhaupt möglich einen Inhaltsstoff 100%ig
chemisch nachzubauen - kommen eventuell dadurch
die teilweise erheblichen Nebenwirkungen?
Auch das alte Sprichwort - "weniger ist manchmal mehr"
(betr. Inhaltsstoffe) wäre in betracht zu ziehen - oder?!
"Wiso wird die zusammenarbeit mit HP`s verboten?"
- weil Sie keine Akademiker sind - ist doch schwachsinn!

Fazit: ich denke beide Parteien könnten durch ein
"miteinader" großes erreichen um Patienten die optimale
Versorgung zu bieten.


» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Pharmaverband verteidigt Homöopathie

von Dr. Edmund Berndt am 21.06.2017 um 14:42 Uhr

Das Geschäft mit dem Placebo
Am 10. April 1755 wurde Samuel Hahnemann geboren
Placebo- bzw. Nocebowirkungen gibt es nicht nur in der Medizin. Diese Wirkungen begleiten uns im täglichen Leben immer und überall und sind an sich nichts Schlechtes. Das Ambiente eines Lokals lässt das Schnitzel besser schmecken und wenn „Kaffee“ und nicht „Café“ in der Getränkekarte steht, wird man den Geschmack kritischer beurteilen. Die Tücke der Placebo- bzw. Noceboeffekte ist, dass es sich nicht um subjektive „Einbildungen“, oder um scheinbare Effekte handelt, sondern es handelt sich um objektiv messbare bzw. beobachtbare Veränderungen. Die Wirkung ist real. Die besondere Tücke dieser Wirkungen in der Medizin liegt darin, dass sie in Medizin und Pseudomedizin gleichermaßen wirkungsvoll positiv wie negativ auftreten.
Nun liegen aber den Placebo- u. Nocebowirkung keine bestimmten Einzelursachen zu Grunde. Es besteht kein kausaler „physikalisch-chemischer“ Zusammenhang. Die Placebo- u. Noceboeffekte sind weder spezifisch stofflich kausal bedingt, noch können sie durch bestimmte Ereignisse oder Handlungen einfach nach Belieben realisiert werden. Die positiven Placebo- u. vice versa negativen Nocebowirkungen resultieren aus dem gesamten Spektrum der Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen jedes Einzelnen vor dem Hintergrund seiner religiösen und weltanschaulichen Ansichten, seiner Bildung inklusive seiner ganz subjektiven Lebens- u. Krankheitserfahrungen. All das konditioniert. Placebo- u. Nocebowirkungen können buchstäblich mit allen hervorgerufen werden, sofern es „psychologisch“ für den Einzelnen bedeutsam ist, oder – salopp formuliert – das Bauchgefühl anspricht.
Wir messen, ob wir wollen oder nicht, bewusst und unbewusst dem gesamten Geschehen, den diversen Arzneimitteln, dem therapeutischen Schauspiel, den beteiligten Menschen, der Umgebung, kurzum allen Dingen und Ereignissen höchst persönliche „Bedeutungen“ bei, die eben zu Placebo- bzw. Noceboeffekten beitragen und führen. Diese beigemessenen Bedeutungen sind subjektive Vorurteile. Gleiche „Umstände“ können daher bei verschiedenen Menschen zu gegenteiligen Effekten beitragen. Man orientiert sich daran und selbstverständlich können diese dann auch im Sinne von Placebo und Nocebo wirksam werden und das passiert auch mitunter sehr spektakulär. Und genau hier setzt die „Werbung“ an. Professionelle Werbepsychologen wissen genau, wie und mit welchen Bildern sie ihr Zielpublikum erreichen und in ihrem Sinne beeinflussen können. Und das passiert auch täglich medienweit.
Der Placeboeffekt ist einer der Hauptdreh- u. Angelpunkte in Diskussionen um Pseudomedizin. Auch der Homöopathie als bekannteste Pseudomedizin macht der Placeboeffekt die Wirkung streitig. Die fehlende naturwissenschaftlich begründete Kausalität bzw. die geistartigen Heilkräfte von einst werden durch modisches pseudowissenschaftliches Geschwurbel ersetzt und je nach Kundschaft auch mit Engeln und dergleichen mehr, wenn man den Wohlfühl- u. Lebenshilfebereich als Randgebiet der Medizin mit einbezieht.
Nun wird der Placeboeffekt als Hoffnungsträger für Pseudomedizin entdeckt und erhält eine völlig irrige Bedeutung. Man schwindelt sich nicht mehr über diesen Effekt hinweg, sondern vermarktet damit gezielt Pseudomedizin und auch Homöopathie. Placebo sei gleich einem Arzneimittel, aber eben sanft und nebenwirkungsfrei. Man muss, vereinfacht gesprochen, nur eine Placebotablette schlucken oder Homöopathie anwenden. Eine naive und unerfüllbare Wunschvorstellung. Wenn eine Anwendung sehr verbreitet ist, oft angewendet wird und das Anwendungsgebiet vornehmlich harmlose, vorübergehende und selbstheilende Beschwerden betrifft, dann wird es auch entsprechend viele und auch sensationelle „Erfolge“ geben. Aber wie beeindruckend auch immer, es sind Placebowirkungen und die Wirkungen sind dementsprechend begrenzt.
Die Entdeckung der Placebowirkung
Franz Anton Mesmer propagierte gegen Ende des 18. Jahrhunderts den „animalischen Magnetismus“. Seine Behandlungen waren spektakulär. Der „Mesmerismus“ boomte. Benjamin Franklin konnte jedoch im Jahre 1784 als Mitglied der königlichen Untersuchungskommission in Paris demonstrieren, dass diese „Behandlungserfolge“ dann und nur dann auftraten, wenn die Versuchspersonen auch wussten, dass tatsächlich „mesmerisiert“ wurde. Wurde das „heilende“ Schauspiel mit den Magneten versteckt, also verblindet, durchgeführt bzw. unterlassen, war es mit den sensationellen Wirkungen vorbei. Benjamin Franklin gelang sozusagen der erste dokumentierte Nachweis der Placebowirkung. Damals nannte man „Imagination“ als Ursache.
Benjamin Franklin zeigte, dass der Erfolg ärztlicher Handlungen auf zwei Ursachenketten beruhte. Die Wirkung kann im Glauben an den Therapeuten bzw. sein therapeutisches Schauspiel, seine Methode und sein Mittel liegen, sowie in der Methode und im Mittel selbst, falls eine stofflich kausal bedingte Wirkung überhaupt existiert.
Evidenz kontra Eminenz und Pseudo
Seit damals wurde zwischen „physischen“ und „psychischen“ Wirkursachen getrennt. Bis dahin stellte sich die Frage nach einer kausalen Wirkung nicht. Man sah nur, dass es wirkte und das genügte. Von nun an entwickelte sich die wissenschaftliche Medizin. Mittel oder Therapien wurden erst dann als „richtig“ wirksam angesehen, wenn nachgewiesen werden konnte, dass ihre Wirkung unabhängig von Erwartungen und Glauben Erkrankter und Ärzte eintrat. Durch bloße „Imagination“ zu wirken bzw. heilen, war damals schon suspekt.
Diese Enttarnung des therapeutischen Schauspiels bzw. des Schauspielers Arzt als wirksame Komponente, der damals als Hysterie bezeichneten Erscheinung, war aber auch eine Bestätigung für Wirkungslosigkeit bzw. Wirkung „jenseitiger“ Heilkräfte in der Medizin.
Man muss sich vor Augen halten, dass Jahrtausende hindurch beim Heilen das Erflehen himmlischen Wohlwollens unerlässlicher Bestandteil der Medizin war. Ein Heilmittel allein konnte gar nicht richtig wirken, wenn es nicht mit entsprechenden Heilsprüchen angewendet wurde. Heilen war immer ein umfangreiches Ritual, das bis ins Jenseits reichte. Der Arzt bzw. seine Heilkunst konnten nicht allein heilen, sie konnten immer nur einen Teil zur Heilung beitragen. Franz Anton Mesmer behauptete nicht, übersinnliche Fähigkeiten zu besitzen, aber sein therapeutisches Schauspiel war gleich wirksam bzw. unwirksam wie ein himmlisches Schauspiel. Das Charisma des Heilers musste nur gleich beeindruckend sein wie die wunderkräftige Reliquie in einer Wallfahrtskathedrale.
Diese Erkenntnis veränderte die Entwicklung der Medizin nachhaltig. Seit dieser Zeit wird in der Medizin zwischen einer Begründung auf Evidenz und Eminenz unterschieden. Lange galt, was Eminenzen für richtig hielten. Heute ist die auf Evidenz basierte Medizin Standard. Sie beruht auf naturwissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine persönliche Beobachtung einfach nicht als Beweis genügt, um eine ursächliche Wirkung bzw. einen ursächlichen Zusammenhang behaupten zu können.
Heute ist es nicht mehr Teil der Medizin bzw. der ärztlichen Heilkunst, überirdische himmlische Mächte anzurufen. Kein Arzt wird seinen Patienten verbieten zu beten, aber er wird ganz sicher nicht das Beten von drei „Vater unser“ verordnen oder gar einen Exorzismus vorschlagen, der ja nach wie vor von der katholischen Kirche praktiziert wird. Und genauso wenig, wie ein himmlisches Schauspiel eine spezifisch wirksame Medizin ersetzen kann, kann es auch ein therapeutisches Schauspiel nicht. Und geistartige Kräfte in Arzneimitteln, wie Hahnemann noch dachte, gibt es nicht.
Aber die nur auf „Eminenz" basierte Medizin, deren Wirksamkeit auf dem guten Ruf beruht, verschwand nicht. Im Gegenteil, sie lebt bis heute in der alternativen, komplementären und so genannten ganzheitlichen Medizin fort. Hier rechtfertigt man sich nach wie vor ausschließlich mit den subjektiven Beobachtungen und Aussagen von Eminenzen, den behandelnden Ärzten und Geheilten. Die Anekdoten werden mit dem Hinweis, dass die Wirksamkeit wissenschaftlich nicht erwiesen ist, juristisch abgesichert. Die Heil-Anekdoten entsprechen den Votivtafeln in Wallfahrtskirchen. Und eine evidente Wirkung ist aber nach wie vor nicht Voraussetzung für eine gesetzliche Zulässigkeit.
Für die auf Heilung hoffenden Erkrankten ist das ohne Bedeutung. Sie vertrauen auf Eminenz. Sie erliegen dem Ruf. Für sie sind einzeln berichtete Heilungen bzw. das Ansehen der Beteiligten beweisend. Die Bedeutung, die Ärzten, medial präsenten Persönlichkeiten und Erzählungen spektakulärer Heilungen beigemessen wird, wiegt schwerer als naturwissenschaftlich begründete Beurteilungen. Das therapeutische Schauspiel, die besondere Fürsorge, die Empfehlung und nicht zuletzt der Ruf ohne Technik, ohne Chemie, biologisch, natürlich etc. zu sein, zählen mehr und wirken als Placebo.
Der von seiner Methode überzeugte Arzt oder Guru sieht die Erfolge bei seinen Patienten und Klienten. Diese bestärken ihre Behandler wiederum in ihrem Glauben, kausal wirksam zu behandeln. Man spricht hier im Fachjargon von einer performativen Täuschung. Die Selbsttäuschung von Patienten und Ärzten verstärkt sich gegenseitig. Und ein guter Arzt wird seinen Patienten Hoffnung machen. Er kann und muss vor den Patienten nur wirksam therapieren. Vom Hoffnung machen für den Patienten ist es aber nur ein kleiner Schritt zum Glauben an eine tatsächliche Wirkung seiner Behandlung auch bei lebensbedrohenden Erkrankungen.
Bekanntestes Beispiel für eine solche „Medizin“ ist die Homöopathie. Die performative Täuschung ist Grundlage und Kennzeichen der Homöopathie. Die homöopathische Art zu arbeiten, ihre Performance begünstigt Selbsttäuschung. Das wirksame therapeutische Schauspiel beginnt mit der Anamnese. Behandelt wird jedes kleine Wehwehchen und entgegen allen Beteuerungen wird die Homöopathie auch bei lebensbedrohenden Erkrankungen anstelle erwiesenermaßen wirksamer medizinischer Behandlung empfohlen. Am Ende heilen Homöopathen ohne Grenzen Ebola mit Zuckerkügelchen in Afrika.
Bis heute fehlt ein valider Wirkungsnachweis. Ja, und es gibt keine Beweise für das Phänomen Homöopathie an sich. Der legendäre Nürnberger Kochsalzversuch anno 1835 und die zahlreichen Metastudien bis heute sind klar negativ. Die Qualität positiver Studien ist meist zweifelhaft und negative Studienergebnisse werden von Homöopathen negiert oder mit eigenwilliger Statistik höchst professionell uminterpretiert. Abgerundet wird mit vorgeblich „wissenschaftlichen“ Erklärungen zur Wirkungsweise der Homöopathie. Diese sind naturwissenschaftlich betrachtet Nonsens. Es wird Science-Fiction-Wirkung erklärt. Derartige Mittel und Methoden lassen sich nicht objektivieren. Die Placebowirkung fußt auch und gerade in der auf Eminenz basierten Medizin und ist damit Bindeglied zwischen Medizin und Pseudomedizin. In der Medizin werden Erfolge und Misserfolge untersucht und aufgeklärt. Das führt zu neuen Erkenntnissen. In der stets dogmatischen Pseudomedizin gibt es nichts aufzuklären. Sie hat daher auch nichts zu unserem heutigen erprobten und bewährten Wissenstand beigetragen. Der alternative Wissensfortschritt ist Null.
Der Zauberstab „Eminenz“ von einst wirkt immer noch.
Franz Anton Mesmer machte seinerzeit weiterhin gute Geschäfte. Seine Patientinnen blieben ihm treu. An diesem Szenario hat sich bis heute nichts geändert. Die Therapien und Mittel haben im Laufe der Zeit alle möglichen und unmöglichen Formen angenommen. Magnete und Hochspannungsfunken wurden von Informationen, Bioresonanzen, Quanten und dergleichen Missbrauch von physikalischen Begriffen abgelöst. Die Evidenz für die Wirkung fehlt. Die postulierten Wirkmechanismen stehen im Widerspruch zu allen gesicherten und erprobten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und viele dieser Universalmittel sind darüber hinaus auch gelegentlich schädlich bis akut lebensgefährlich. Der Bogen reicht von unwirksamen energetischen Kuren bis zur z.B. „Germanischen Neuen Medizin“. Die letzten Seiten von Gratiszeitungen und Bezirksblättern sind voll von Reklame dafür. Einstein ist für eine Gravitationswellentherapie gerade gut genug.
Für eine Unzahl neuerer Mittel und Methoden wird Wirkung mit illustren Persönlichkeiten und eindrucksvoller Reklame erzeugt ohne irgendwelche validen Beweise für eine Wirksamkeit jenseits Placebo vorlegen zu können. Nahezu die gesamte alternative, komplementäre und ganzheitliche Medizin beruft sich bis heute ausschließlich auf die einmalige Eingebung von Gründern und die positiven Berichte der Behandler und der Behandelten. In entsprechenden Sendeformaten wie Dokumentationen, Gesundheitsbeiträgen usw. erscheinen regelmäßig charismatische Persönlichkeiten und verheißen mit stets verblüffend einfachen Therapien oder Mitteln alles heilen zu können bzw. auch geheilt worden zu sein. Kritik ist dabei wenig gefragt. Sie dient meist nur als Feigenblatt für den Anstrich, kritisch und objektiv zu berichten.
Die Homöopathie des Zeitgenossen Hahnemann überlebte bis heute. Und jeder der will, darf seinem pseudomedizinischen Treiben das Etikett „Homöopathie“ verpassen. Mittlerweile werden auch Tiere, Pflanzen und Weltmeere homöopathisch behandelt. Und auch dagegen haben namhafte Homöopathen nichts einzuwenden. Man heilt und sonst nichts.
Realismus als Chance?
Die Zeichen stehen schlecht. Alles, und sei es auch noch so unsinnig, kann und wird etwa als Medizinprodukt zertifiziert. Das heißt, dass Regeln verbindlich festgelegt werden, nach denen produziert und gearbeitet wird. Die Juristen stört es nicht, ob medizinische Produkte oder Methoden, die auf den Markt kommen, unserem bewährten und erprobten naturwissenschaftlichem Kenntnisstand entsprechen sowie auch nachweislich wirksam und sinnvoll sind. Sie dürfen halt nicht „schädlich“ sein und nur von behördlich befugten Personen verkauft oder angewendet werden. Eine Heilpraktikerin unterscheidet sich von einem afrikanischen Schamanen vor allem durch den Besitz einer Registrierkasse und ihrer Mitgliedschaft in der Wirtschaftskammer. Viele approbierte Ärzte sind diplomierte Homöopathen. Die Grundlagen der Pseudomedizin Homöopathie jedoch sind gleich unsinnig wie die Grundlagen der Energetik. Aber die Ärzte sind Mitglied der Ärztekammer und Energetiker der Wirtschaftskammer. Dieser Unterschied ist gravierender.
Alle Fakten sprechen gegen die Homöopathie. Sie ist Pseudomedizin, Aberglauben und Big Business im Gesundheitssektor. Homöopathie ist eine lukrative Gesundheitslotterie. Die Glückslose werden Placebos genannt. Viele Menschen und besonders junge Mütter und Hebammen verbinden Homöopathie mit biologisch, sanft, natürlich und sehen in ihr eine Ergänzung und auch eine Alternative zu Medizin. Dieses Phänomen können Psychologen erklären und Werbefachleute lassen sich für dafür bezahlen. Das lukrative Bauchgefühl fällt nicht vom Himmel.
Die aufgeklärte Gesellschaft muss sich einmal mehr entscheiden, welche Art von Heilung erlaubt ist und dem Patientenschutz in einer zivilisierten Gesellschaft entspricht. Evidenz, Eminenz und auch Pseudo sind für Laien nicht klar erkenntlich getrennt. Will man wirksame Arzneimittel und Therapien mit nachprüfbarer Wirkung oder ist es auch rechtens Heilrequisiten für einen volksmedizinischen Aberglauben und Pseudomedizin in Ordinationen und Apotheken anzubieten?
Am 2. Juli 1843 starb Samuel Hahnemann

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Rumgeiere. Und ein Affront gegen die Ärteschaft.

von 2xhinschauen am 21.06.2017 um 0:13 Uhr

Schön, dass dokumentiert wird, dass die "pöse Pharmamafia" die Homöopathie nicht unterdrückt, sondern unterstützt und verteidigt.

Wobei, wenn man genau hinschaut: Sie verteidigen den Verkauf von Globuli in der Apotheke, nicht wirklich die Homöopathie als Ganzes. Zum Beispiel stehen Dinge wie "Selbstmedikation" in krassem Gegensatz zur reinen Lehre.

Ebensowenig kennt die Homöopathie eine intrinsische Selbstbeschränkung - eher im Gegenteil. Irgendwelche "Grenzen" entspringen der Berufsethik, die also ganz offenbar ebenfalls im Gegensatz zur reinen Lehre steht.

Dieses ganze sprachliche Wenn-und-Aber-Rumgeiere um die fehlende Wirksamkeit der unter Apothekenpflicht abgegebenen homöpathischen Präparate (und damit auch die fehlenden Wirksamkeitsnachweise) ist unerträglich.

Und wenn ich Arzt wäre, würde ich meine Berufsverbände zu einer scharfen Gegenstellungnahme auffordern. Der BAH impliziert hier, dass nur in einer hoomöopathischen Behandlung "für jeden Patienten ein für ihn persönlich passendes Arzneimittel bestimmt wird", diese also nur in der Homöopathie indivduell behandelt würden, während in der Evidenzbasierten (bei mir: "richtigen") Medizin die Patienten stur nach Studienlage und Schema F abgefertigt würden. Ziemlich ungeheuerlich.

Der BAH gibt obendrein zu erkennen, dass er das Wesen medizinischer bzw pharmakologischer Studien nicht so ganz verstanden hat. Dass der Verband, der bedeutende Forschungsfinanzierer in Medizin und Pharmakologie organisiert, einen so nonchalanter Umgang mit Begriffen wie Wirksamkeit und Evidenz pflegt, macht mir wirklich Sorgen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Rumgeiere. Und ein Affront gegen die Ä

von Dr. Edmund Berndt am 21.06.2017 um 8:33 Uhr

Die Argumente des Pharmaverbandes, also von Leuten die doch etwas einschlägige Ausbildung haben sollten, sind erschreckend. Es ist ein interessant erscheinendes Kauderwelsch undefinierter schwammiger Begriffe.
Sie haben vollkommen recht. Dieses sprachliche Herumeiern ist unerträglich verlogen.

Pharmaverband verteidigt Homöopathie

von Dr. Edmund Berndt am 20.06.2017 um 17:44 Uhr

Was sonst bitte sollte ein Interessensverband tun, als die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten? Die Eisenbahnergewerkschaft verteidigt die Interessen der Eisenbahner und nicht die Interessen der Fahrgäste. Die Ärztevereine verteidigen auch nicht Patienteninteressen und ein Pharmaverband verteidigt grundsätzlich auch nicht Patienteninteressen. Man ist bemüht Patientenwünsche und Nachfrage mit möglichst geringem Aufwand zu befriedigen.
Genau aus diesem Grunde gibt es den Konsumentenschutz, den Verbraucherschutz und dergleichen mehr.
Der Adel hat auch sein blaues Blut und die Kirche die Heilwirkung der Reliquien verteidigt.
Aber deutlich ist auch hier zu sehen, welche intelligenten Abstrengungen unternommen werden können, um sich an der Tatsache der Unwirksamkeit vorbei zu schwindeln. Nach der Argumentation der Pharmverbände könnten auch Heilsteine, Affenknochen und anderes Esozeug höchst zertifiziert und ausgestattet mit Unbedenklichkeitsbescheinigung erzeugt und verkauft werden. Nur mit stofflich befingter kausaler Wirkung, hat das nichts zu tun . Die Geschichte der Medizin lehrt, dass es eben eine stofflich bedingte kausale Wirkung gibt und dass es nebenher noch zahlreiche Effekte gibt, die ein solche stoffliche bedingte kausale Wirkung vortäuschen.
Das weiß man heute und selbstverständlich muss und wird das bei allen Wirsamkeitsstudien in Medizin und Pharmazie berücksichtigt.
Erst dann, wenn ein solche eigene Wirksamkeit nachgewiesen werden kann, kann man heute von einer echten Wirksamkeit sprechen. Alles andere ist nur therapeutisches Schauspiel. Langsam sollte es sich doch herumsprechen, dass gerade die Ausübung, das Procedere, die Performance der Homöopathie die Selbsttäuschung von Arzt und Patient überaus begünstigt. Das heißt performative Täuschung.
In diesem Sinne ist Homöpathie ein Betrug und die Schäden dieses Heilglaubens sind weitreichend. Aber Geschäfte kann man damit offenbar mehr als jemals zu vor machen. Patientenschutz ist nachrangig. Geschäft geht vor,

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.