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Apothekenketten und Versand-Verträge
Was sagen die Apotheker zu den Ketten-Forderungen der Krankenkassen?
Der GKV-Spitzenverband und der AOK-Bundesverband stürzen sich mit massiven Deregulierungs-Forderungen in den Bundestags-Wahlkampf. Die Kassenverbände wollen das Fremd- und Mehrbesitzverbot kippen, den Versandhandel per Selektivvertrag befördern und das Apothekenhonorar transparenter machen. DAZ.online hat bei einigen Apotheker-Funktionären nachgefragt: Wie ernst muss man die Drohungen der Kassen nehmen?
Friedemann Schmidt, ABDA-Präsident und Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer
DAZ.online: Herr Schmidt, wie kommentieren Sie die Positionspapiere der Kassenverbände zur Bundestagswahl mit Blick auf die Forderungen zum Apothekenmarkt?
Schmidt: Einige gesetzliche Krankenkassen wollen nach der Bundestagswahl massiv in das Apothekenwesen und damit in das Gesundheitssystem eingreifen. Ihre Forderungen für die nächste Legislaturperiode offenbaren ein völliges Unverständnis für die tägliche Arbeit der Apothekerinnen und Apotheker als heil- und freiberufliche Leistungserbringer. Dass die Apotheken die Rabattverträge umsetzen, die Zuzahlungen weiterleiten und damit Milliardeneinnahmen für die Krankenkassen sichern, wird offenbar komplett ausgeblendet.
DAZ.online: Sollte es nicht eigentlich die Aufgabe der Krankenkassen sein, sich in erster Linie für das Wohl ihrer Versicherten einzusetzen?
Schmidt: Wer ausländische Versandhändler fördern und das deutsche Fremdbesitzverbot abschaffen will, stellt die flächendeckende Arzneimittelversorgung seiner eigenen Versicherten zur Disposition. Die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für Apotheken müssen gestärkt, nicht geschwächt werden. Schon heute können viele Apotheker keine geeigneten Nachfolger finden, weil es an langfristiger Planungssicherheit mangelt. Statt immer wieder gleiche, untaugliche Vorschläge zu machen, sollten die Krankenkassen besser auf ihre Versicherten hören, die ihre Apotheke vor Ort schützen und stärken wollen.
Was sagt Hans-Peter Hubmann (Bayern)?
Dr. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes
DAZ.online: Herr Hubmann, warum sind Apothekenketten keine nachhaltige Lösung für die Arzneimittelversorgung?
Hubmann: Ich habe kein Verständnis für die Forderungen der großen Kassenverbände. Einerseits will der AOK-Bundesverband den Wettbewerb für sich selbst im Kassenlager minimieren. Andererseits fordert er maximalen Wettbewerb in einigen Versorgungsbereichen. Was die Forderungen nach Apothekenketten betrifft, ist es schlichtweg eine falsche Annahme, dass der Einfluss des Fremdkapitals keine Auswirkungen auf die Versorgung hat. Ganz im Gegenteil, die Krankenkassen würden sich wundern, wie schnell kleine, aber für die Versorgung immens wichtige Apotheken wegbrechen. Dann würden sich die Versicherten sicherlich als Erstes beschweren.
DAZ.online: Wie gefährlich für die Apotheke vor Ort ist denn der Wunsch der Kassen nach Direktverträgen mit den Holland-Versendern?
Hubmann: Selektivverträge zwischen großen, ausländischen Versendern und den Krankenkassen sind eine riesige Gefahr für die Apotheke vor Ort. Natürlich wollen die Kassen an allen Ecken sparen, es geht aber nicht, dass sich Versandapotheken hier in Deutschland die Rosinen herauspicken und wir Apotheker die Arbeit auf dem Land leisten. Selektivverträge sind also mitnichten eine Antwort auf die drängenden Probleme, die wir im Apothekenmarkt haben. Jede Packung, die von der Apotheke vor Ort in den Versand wandert, ist eine weitere Schwächung des Systems.
DAZ.online: Glauben Sie, dass die Spitzenverbände mit diesen Forderungen wirklich die Rückendeckung der einzelnen Mitgliedskassen haben?
Hubmann: Es ist schon bemerkenswert, dass die beiden Verbände solche Forderungen ohne Reflektion und Erklärung abgeben. Ich frage mich auch, ob die einzelnen Mitgliedskassen das Vorgehen dieser Verbände wirklich unterstützen. Ich habe in den Gesprächen mit der AOK Bayern jedenfalls eine andere Meinung vernommen. Dort ist man überzeugt von der Apotheke vor Ort.
Was sagt Peter Froese (Schleswig-Holstein)?
Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein
DAZ.online: Herr Froese, Die Begründung der Kassen für die Forderung nach Apothekenketten ist äußerst spärlich. Was meinen Sie, was hinter dieser Forderung steckt?
Froese: Was die Kassenverbände derzeit präsentieren, das sind keine neuen Ideen, das ist ein tiefer Griff in die Mottenkiste. Was soll denn für die Kassen rauskommen wenn es Ketten gibt? Wir leben und arbeiten in einem GKV-System, in dem fast alle Preisregulierungsmaßnahmen zu Gunsten der Kassen laufen. Wir müssen mit hochwirksamen Rabattverträgen leben, bei denen die Hersteller zugunsten der Krankenkassen hohe Rabatte gewähren. Wo sollten sich Kettenkonzerne in einem solchen Markt noch etwas abschneiden? In anderen Ländern mit weniger Sparinstrumenten sind Ketten vielleicht möglich, bei uns machen sie schlicht und einfach keinen Sinn. Sinnloses zu beschließen nur um etwas zu beschließen ist auch nicht grade zielführend.
DAZ.online: Insbesondere der AOK-Bundesverband will die Arzneimittelversorgung vermehrt über Selektivverträge steuern. Wäre nicht ein Selektivvertrag zwischen einer großen Kasse und einer EU-Versandapotheke, beispielsweise zur Diabetes-Versorgung, viel schlimmer für die Apotheker als der 1-Euro-Bonus der SPD?
Froese: Die Krankenkassen sollten sich endlich darüber klar werden, dass Selektivverträge grundsätzlich nicht in die Arzneimittelversorgung passen. Grundversorgung ist und bleibt Kollektivvertragssache. Wenn Direktverträge mit einzelnen Versendern kommen, dann ist die Flächendeckung definitiv tot. Und sie sind überflüssig. Es gibt auch so schon genügend wirksame Mechanismen zur Kontrolle der Arzneimittelausgaben.
DAZ.online: Der GKV-SV fordert seit Jahren neue Daten zum Verdienst der Apotheker. Haben DAV und die Verbände nicht ausreichend Zahlen geliefert?
Froese: Die stetige Forderung des GKV-Spitzenverbandes nach mehr Daten ist nicht nachzuvollziehen. Die ABDA und der DAV bieten jedes Jahr aufs Neue eine breite Datenbasis an, wir stellen unsere Zahlen hochtransparent vor. Es ist aber offenbar so, dass die Zahlen den Kassen ganz einfach nicht passen. Auch beim Honorar-Gutachten wird das so sein. Wenn es sauber gerechnet ist, wird es die chronische Unterfinanzierung belegen.
DAZ.online: Man hört ja, dass Kassen auf regionaler Ebene häufiger und besser zur Apotheke vor Ort stehen als die Spitzenverbände in Berlin. Erleben Sie das auch so im Norden?
Froese: Ich habe das Gefühl, dass die einzelnen, regionalen Krankenkassen grundsätzlich näher an der Versorgung dran sind als die Verbände in Berlin. Es ist jedenfalls so, dass wir ins unserer Zusammenarbeit mit den Kassen hier auf Landesebene zumindest manchmal Wertschätzung bekommen, weil die Verhandlungspartner hier wissen, welche Rolle Apotheken für die flächendeckende Versorgung spielen. In Schleswig-Holstein versorgen Apotheken teilweise Landgebiete, die so groß sind, wie die Stadt Hamburg.
DAZ.online: Können sich solche Forderungen auf das Verhältnis zwischen Kassen und Apothekern in der Zukunft auswirken?
Froese: Wenn man das, was die Kassen da so im Apothekenmarkt tun wollen, auf die Kassen selbst überträgt, käme etwa Folgendes heraus: Ausländische oder deutsche private Versicherungsunternehmen dürfen Selektivverträge mit GKV-Versicherten schließen und dabei die Prämien frei festsetzen - natürlich ohne Kontrahierungszwang. Aus sozialen Gründen haben die Versicherten, die sich auf solche Policen einlassen, aber im Krankheitsfall ein sofortiges Rückkehrrecht in für deutsche GKV. Das wäre doch mal was oder?
Was sagt Lutz Engelen (Nordrhein)?
Lutz Engelen, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein
DAZ.online: Herr Engelen, wie bewertet ein Kammerpräsident die Forderungen der Krankenkassen? Was sagt das beispielsweise über die Wertschätzung der Kassen des Apothekerberufs aus?
Engelen: Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass grundsätzlich die Verbände für den Kontakt mit den Krankenkassen zuständig sind. Aus meiner persönlichen Sicht ist es aber so, dass das Verhalten der großen Kassenverbände derzeit auf reine Machtpolitik zurückzuführen ist. Es geht den Kassen darum, die Versorgung für sie besser steuerbar zu machen. Bei Apothekenketten haben sie einen Ansprechpartner und erhoffen sich da die größerer Einflussmöglichkeit was Rabatte und Preise betrifft.
DAZ.online: Welche Vorteile hat denn die Versorgung durch unabhängige Freiberufler aus Ihrer Sicht?
Engelen: Der Vorteil der freien Berufe ist ja gerade die Heterogenität, die uns von großen Kettenanbietern unterscheidet. Apotheker beraten unabhängig, das steht für Qualität. Natürlich bringt diese Heterogenität auch Probleme mit sich, wie etwa die Evaluierbarkeit der Versorgung. Aber gerade in einem Markt mit ganz vielen kleinen Anbietern gibt es doch einen lebendigen Wettbewerb.
DAZ.online: Meinen Sie, dass die Jagd nach Rabatten und niedrigen Preisen den Kassen inzwischen wichtiger ist als die Versorgungsqualität?
Engelen: Ich sehe hinter den Forderungen der Krankenkassen auch ein grundsätzlicheres, gesellschaftliches Problem. Ich sehe in unserer Gesellschaft einen Werteverfall: jeder denkt immer mehr an sich, das Prinzip ‚Leben und leben lassen‘ wird immer unwichtiger. Es geht heutzutage immer häufiger nur noch um die Effizienz, die Qualität und die Erhaltung bestehender Werte sind nicht mehr gefragt. Auch in Kassenverbänden arbeiten Menschen, die beweisen müssen, dass sie schnelles Geld und hohe Einsparungen erreichen können. Diese Entwicklung hat in anderen Bereichen schon große Schäden angerichtet. Schauen Sie sich die Innenstädte an, da gibt es kaum noch privat geführte Läden. Was bleibt, sind Imbisse und große Ketten. Jeder einzelne Verbraucher sollte sich bei seinem Kaufverhalten daher selbst hinterfragen. Ist es richtig, sich in der Apotheke beraten zu lassen und dann im Internet zu bestellen? Ich möchte da an Wolfgang Bosbach erinnern, der auf einer Veranstaltung unser Kammer sagte: ‚ Den Wert eines Systems erkennt man erst dann, wenn es dieses System nicht mehr gibt.‘
6 Kommentare
Ketten
von Michael Zeimke am 05.07.2017 um 17:10 Uhr
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Das übliche 08/15 BlaBla
von Anita Peter am 05.07.2017 um 14:16 Uhr
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Pflicht zum Widerspruch?
von Christian Giese am 05.07.2017 um 13:37 Uhr
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Um Patientenwohl kümmern...
von Pharmi am 05.07.2017 um 13:19 Uhr
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Weichgespült?
von Reinhard Rodiger am 05.07.2017 um 12:37 Uhr
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Reicht das?
von Ulrich Ströh am 05.07.2017 um 12:08 Uhr
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