Europa, deine Apotheken (Irland)

Apotheken in der Finanzkrise und ein Nicht-Abgabe-Honorar

Berlin - 08.09.2017, 07:00 Uhr

Mehr Einzelinhaber als Ketten: Obwohl es in Irland keine Regulierungen zum Besitz von Apotheken gibt, halten Kettenunternehmen nur zwischen 20 und 30 Prozent des Marktes. (Foto: dpa)

Mehr Einzelinhaber als Ketten: Obwohl es in Irland keine Regulierungen zum Besitz von Apotheken gibt, halten Kettenunternehmen nur zwischen 20 und 30 Prozent des Marktes. (Foto: dpa)


Irland gehörte einst zu den Sorgenkindern Europas, heute ist es ein wirtschaftlich florierendes Land. Die Finanzkrise von 2009 bekamen auch die Apotheken zu spüren: Der Gesetzgeber senkte das Apothekenhonorar mehrfach ab, um Geld zu sparen. Jetzt wollen die Apotheker die Sparmaßnahmen wieder zurückdrehen. Alles über einen traditionell deregulierten Apothekenmarkt, der schwierige Zeiten gut überstanden hat.

In der Republik Irland gibt es derzeit rund 1800 Apotheken. Damit liegt Irland, was die Apothekendichte betrifft, über dem EU-Durchschnitt. Im Schnitt kommen in Europa 31 Apotheken auf 100.000 Einwohner, in Irland sind es 39 (Deutschland: 25 Apotheken/100.000 Einwohner). Der Apothekenmarkt Irlands war nie stark reguliert, es gab nie ein Fremd- und/oder Mehrbesitzverbot. Trotzdem kontrollieren die Kettenbetreiber noch nicht den Markt: Etwa ein Drittel des Marktes liegt in Unternehmenshänden.

Ein Blick in die interessante Geschichte des irischen Apothekenmarktes: Eine der wichtigsten und bis heute geltenden Gesetze für Apotheker ist immer noch der „Pharmacy Act“ von 1875. Mit dem Gesetz wurde die Apothekerkammer des Landes (Pharmaceutical Society) als Aufsichtsbehörde über die Apotheker etabliert. Seitdem müssen sich Apotheker bei der Kammer registrieren, wenn sie ihren Beruf ausüben wollen. Derzeit sind in Irland knapp 6000 Apotheker bei der Kammer registriert (s. Grafik). Ein Fremdbesitzverbot hat es im Pharmacy Act nie gegeben. 1890 wurde allerdings ein Passus angefügt, nach dem in jeder Apotheke ein Pharmazeut anwesend sein muss, der das tägliche Geschäft leitet.

(Quelle: PSI Annual Report 2016)


Bis in die 1950er-Jahre gab es neben dem Pharmaziestudium noch die Ausbildung zum „Apothecary“, eine Art Drogist. In den 1950er-Jahren verloren diese Drogisten das Recht, eine Apotheke zu leiten. Heute gibt es diese Ausbildung nicht mehr, „Apothecaries“ dürfen aber rein theoretisch bis heute Arzneimittel dispensieren. 1962 wurde die Liste der „autorisierten Personen“, die eine Apotheke eröffnen dürfen, erneuert. Seitdem dürfen registrierte Apotheker, registrierte Ärzte mit einer Fachausbildung in Pharmazie sowie Unternehmen Apotheken gründen. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ein registrierter Apotheker oder Arzt mit Fachausbildung ständig anwesend ist.

Apotheker brauchen einen Liefervertrag

Irland hat traditionell den größten Anteil an Privatversicherten: Heutzutage sind noch etwa 40 Prozent aller Iren zumindest mit einer Krankenversicherung privatversichert. Die Arzneimittelversorgung für Bürger, die beim gesetzlichen irischen Gesundheitsdienst (HSE) versichert sind, wurde 1996 neu geregelt: Seitdem müssen Apotheker, die Arzneimittel an gesetzlich Versicherte abgeben wollen, einen Vertrag mit dem Gesundheitsdienst haben. In der Regel verhandelt der Apothekerverband diesen Vertrag mit dem HSE, einzelne Apotheker können aber auch die Preise einzelner, besonderer Leistungen selbst mit dem Gesundheitsdienst vereinbaren. Die HSE-versicherten Patienten wiederum benötigen, ähnlich wie in Deutschland, eine Gesundheitskarte (Medical Card), um ein Recht auf Kostenerstattung zu haben.

Bedarfsplanung für sechs Jahre

Weil die Apothekenzahl in den 1990er-Jahren angestiegen war, erließ der Gesetzgeber 1996 außerdem ein Gesetz, das erstmals eine Bedarfsplanung für den Apothekenmarkt vorsah. In Städten mussten Apotheker mindestens 250 Meter Abstand zum nächsten Konkurrenten einhalten, auf dem Land mussten mindestens fünf Kilometer Abstand dazwischen sein. Neben den geografischen Kriterien wurden auch demografische eingeführt: Eine neue Stadtapotheke musste mindestens 4000 Menschen versorgen, um eine Lizenz zu erhalten, eine Landapotheke mindestens 2500 Menschen.

Außerdem mussten die Apothekenbetreiber einen Wirtschaftsplan vorlegen, der bewies, dass die Apotheke langfristig existenzfähig ist. Die letzte wichtige Entwicklung für die Struktur des Marktes gab es dann im Jahr 2002: Der Gesetzgeber nahm die gesamte, sechs Jahre zuvor beschlossene Bedarfsplanung zurück. Grund dafür war die Klage der irischen Apothekenkette McSweeney, die gegen die Niederlassungsbeschränkungen klagte und Recht bekam.

Die Gehe entdeckt den irischen Apothekenmarkt

Zur Zeit des Bedarfsplanungs-Verfahrens stieg auch der erste große, ausländische Investor in den irischen Apothekenmarkt ein. Wie in vielen anderen Ländern, war es auch hier die Gehe, die die ersten Pionierschritte in einem für das deutsche Großhandelsunternehmen fremden Apothekenmarkt wagte. Die Gehe übernahm zuerst eine einzige Apotheke in Dublin und holte ein Jahr später dann zum großen Schlag aus: Der deutsche Großhändler unter der damaligen Leitung von Fritz Oesterle kaufte Unicare auf, ein irisches Pharmahandelsunternehmen mit Großhandlung und einer 52-Standort-starken Apothekenkette. Die Wettbewerbsbehörde untersuchte die Übernahme zunächst, hatte dann aber keine Bedenken.

Die Gehe übernahm in den darauf folgenden Jahren weitere Apotheken und eröffnete auch einige neue Standorte. 2009 begann der Stuttgarter Pharmahändler dann damit, die Kette umzuflaggen: Die Apotheken wurden auf einen Schlag zu DocMorris-Apotheken. 2012 trennte sich Celesio von DocMorris und so verloren auch die ausländischen DocMorris-Standorte ihren Namen, darunter auch Irland. Celesio glich seine irische Kette später an die aus England bekannte „Lloydspharmacy“ an. Heute gibt es etwa 100 „Lloyds-Apotheken“ in Irland. Eigenen Angaben zufolge beschäftigt Celesio in Irland etwa 1000 Menschen. Der Celesio-Großhändler in Irland heißt United DrugSales und ist eigenen Angaben zufolge Marktführer.

Obwohl es in Irland mehrere Kettenbetreiber und keine Niederlassungsbeschränkungen mehr gibt, ist der Apothekenmarkt bunt durchmischt. Die Celesio-Kette Lloyds ist mit ihren knapp 100 Apotheken der größte Anbieter im Markt. Zweitgrößter Anbieter ist die Apothekenkette Boots des Multikonzerns Walgreens Boots Alliance mit etwa 80 Standorten. Es folgen mehrere kleinere irische Ketten. Genauere Zahlen gibt der Apothekerverband nicht bekannt, der Kettenanteil soll dem Vernehmen nach aber zwischen 20 und 30 Prozent liegen. Der Rest des Marktes liegt in den Händen unabhängiger Apotheker. So wie in Deutschland gibt es aber auch in Irland große Kooperationen und Franchise-Modelle, Beispiele dafür sind die Apotheker-Genossenschaft Uniphar (Allcare), Careplus-Apotheken oder Haven.

Finanzkrise macht Irland zum Bittsteller

Nach 2007 wurden die gesamte Branche und der Rest der irischen Wirtschaft durch die Finanzkrise erschüttert. Wie schwer die Krise Irland traf, zeigt ein Blick auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP): Lag das reale BIP-Wachstum 2006 noch bei ca. 170 Milliarden Euro pro Jahr, sackte der Wert bis zum Jahr 2009 auf etwas mehr als 25 Milliarden Euro ab (s. Grafik 1). Zwischen 2007 und 2012 steigerte sich die Arbeitslosenquote im Land von etwa sechs auf knapp 15 Prozent (s. Grafik 2). Laut Apothekerverband haben zwischen 2008 und 2012 etwa 46.000 Menschen im Retail- und Großhandelssektor ihren Job verloren.

(Grafik 1, Bundeszentrale für pol. Bildung)

Angetrieben von der EU setzte die damalige irische Regierung zahlreiche Sparmaßnahmen durch. 2009 verabschiedete das Parlament den sogenannten „Public Interest Act“, der es den einzelnen Ministerien unter anderem ermöglichte, per Verordnung die Vergütungen in ihren jeweiligen Berufsgruppen zu senken. Auch die Apotheker bekommen seitdem weniger Geld: Durch eine Absenkung des Abgabe-Fixhonorars und der prozentualen Marge, die pro Packung gezahlt wird, verdonnerte der Staat die Apotheker laut irischem Apothekerverband zu Einsparungen von 456 Millionen Euro pro Jahr.

(Grafik 2, Bundeszentrale für pol. Bildung)

Genauer gesagt führte das Gesundheitsministerium eine komplett neue Vergütung für Apotheker ein. Vor der Finanzkrise erhielten die Apotheker pro abgegebener Packung eine prozentuale Marge von 50 Prozent des Abgabepreises. Seit 2009 gibt es in Irland nun ein Fixhonorar, das je nach Anzahl der pro Apotheke dispensierten Packungen sinkt: Für die ersten 1667 Packungen erhalten die Apotheker 5,00 Euro, für die nächsten 833 Packungen 4,50 Euro und für alle darüber hinaus dispensierten Medikamente 3,50 Euro pro Packung. Zusätzlich wurde die Prozent-Marge von 50 auf 20 Prozent abgesenkt. Die Großhandelsmarge wurde von 17,66 Prozent auf zehn Prozent heruntergenommen. 2011 gab es dann ein weiteres Sparpaket, mit der Margen noch weiter zurückgefahren wurden.

In den ersten Wochen der Sparmaßnahmen spielten sich teilweise chaotische Szenen im irischen Gesundheitssystem ab. Mehrere hundert irische Apotheker schlossen im August 2009 im Rahmen eines Streiks ihre Pforten. Die Krankenversicherung zog vor Gericht und erwirkte im Eilverfahren Streik-Verbote gegen 35 Apotheken. Die Apothekenkette Boots kritisierte die Apotheker seinerzeit für ihre Aktion und versorgte weiter.

Apotheker wollen Rückabwicklung der Sparmaßnahmen

Das erste und wichtigste Lobby-Ziel des Apothekerverbandes war es in den vergangenen Jahren, die Sparmaßnahmen wieder zurücknehmen zu lassen. In einem aktuellen Papier des Verbandes an den Gesundheitsminister heißt es, dass 2016 erstmals wieder ein starkes Wachstumsjahr für die irische Wirtschaft gewesen sei. Das derzeitige Vergütungsniveau sei daher nicht mehr zu rechtfertigen. Insgesamt seien seit 2009 mehr als 2,6 Milliarden Euro im Apothekenmarkt eingespart worden. Der Apothekerverband schlägt nun vor, dass die einzelnen Stufen des Fixhonorars wieder abgeschafft und ein einheitliches Fixum von 5,00 Euro eingeführt wird. So würden sich Mehreinnahmen von ca. 60 Millionen Euro für die Apotheker ergeben. Trotz der herben Einsparungen ist der Apothekenmarkt in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen: 2010 gab es noch rund 1400 Apotheken in der Republik, heute sind es etwa 1800 – damit gehört Irland auch zu einem der am schnellsten wachsenden Apothekenmärkte Europas.

Immerhin konnten die Apotheker an einer anderen Front ein wichtiges Ziel erreichen: 2011 ermöglichte der Gesetzgeber, dass Apotheker in der Republik Grippe-Impfungen verabreichen und dafür ein Extra-Honorar abrechnen dürfen. Schon im ersten Jahr impften die Apotheker mehr als 9000 Menschen, in der Saison 2013/2014 waren es schon mehr als 40.000 Irinnen und Iren. Laut Apothekerverband verbessert der neue Service die Gesundheit im Land. Schließlich habe ein Viertel der Patienten, die sich in der Apotheke impfen ließen, angegeben, vorher noch nie eine Impfung bezogen zu haben. Je nach Vertrag erhalten die Apotheker bis zu 15 Euro pro Impfung.

Apotheker können Nicht-Abgabe-Honorar abrechnen

Außerdem gibt es in Irland noch ein ganz besonderes Extra-Honorar, für das viele Länder die Iren beneiden: die Nicht-Abgabe-Vergütung. Hintergrund dieses Honorars ist der Gedanke der Krankenversicherung, dass Apotheker dafür vergütet werden sollen, wenn sie Doppel-Verordnungen oder unnötig verordnete Arzneimittel aufdecken und diese dann nicht abgeben. Die Apotheker müssen die Abrechnung dieser Sonderziffer aber pharmazeutisch begründen können, das Nicht-Abgabe-Honorar beträgt derzeit 3,27 Euro.

Eine weitere Dienstleistung, die Apotheker in Irland zusätzlich vergütet bekommen, ist die Beratung bei Notfall-Kontrazeptiva. Der Apothekerverband fordert zudem, dass die Apotheker sich an einem sogenannten „Minor Ailment Scheme“ beteiligen können. Dabei würden Apotheker Patienten mit leichten Erkrankungen, wie etwa einer Erkältung auch ohne Arzt-Rücksprache selbst beraten und in einigen Fällen auch Rx-Präparate, wie etwa Antibiotika, abgeben dürfen. Der Verband hat dem Ministerium dafür ein Pilotprojekt vorgeschlagen, das bald starten könnte.

Was die Digitalisierung im Apothekenmarkt betrifft, hinken die Iren, gemeinsam mit Deutschland, hinterher. Der Datenfluss zwischen Apotheken und Großhändlern ist zwar bereits digitalisiert. Allerdings sind elektronische Rezepte bis auf wenige Pilotprojekte noch die große Ausnahme. Ein Programm zur Einführung von E-Rezepten ist aber bereits gestartet worden.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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