Interview DHL

Wann übergibt die DHL Arzneimittel-Pakete an Kinder?

Berlin - 20.09.2017, 12:00 Uhr

Lieferung von der Versandapotheke: Wenn Versandapotheken nicht ausdrücklich dafür bezahlen, dürfen DHL-Boten Arzneimittel-Lieferungen auch an Kinder übergeben. (Foto: dpa)

Lieferung von der Versandapotheke: Wenn Versandapotheken nicht ausdrücklich dafür bezahlen, dürfen DHL-Boten Arzneimittel-Lieferungen auch an Kinder übergeben. (Foto: dpa)


Vor einigen Wochen sorgte ein Fall in Nordrhein-Westfalen für Aufsehen, bei dem ein 9-jähriges Kind eine Arzneimittel-Lieferung einer Versandapotheke entgegennahm, weil seine Eltern beschäftigt waren. DAZ.online hat beim Logistik-Konzern DHL nachgefragt: Ist es wirklich möglich, dass Kinder solche Pakete annehmen? Die erschreckende Antwort ist: Ja. Aber nur, wenn die Versandapotheken das zulassen.

Die Ruhr Nachrichten berichteten vor einigen Wochen über den Fall eines 9-jährigen Jungen, der für seine Eltern ein Arzneimittel-Paket der Versandapotheke Medpex entgegennahm. Dem Bericht zufolge sei der Vater nicht anwesend und seine Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen Baby beschäftigt gewesen. Auf dem Paket stand deutlich aufgedruckt, dass es sich um Arzneimittel handle. Der DHL-Bote gab die Lieferung trotzdem bei dem Jungen ab. Der Vater reagierte erzürnt und beschwerte sich bei DHL.

Auch die ABDA reagierte auf den Fall und teilte in einer Pressemitteilung mit: „Wenn Paketboten Arzneimittel an Kinder abgeben, können wir das nicht gutheißen. Die wohnortnahen Apotheken handeln hier verantwortungsvoller und sorgen damit für Arzneimittelsicherheit.“ Aber woran liegt es, dass es zu solchen Fällen kommt? Liegt die Schuld wirklich bei DHL? Zur Erklärung: Der Logistikkonzern DHL ist für die meisten großen Versandapotheken wie etwa DocMorris, die Europa Apotheek Venlo, Mycare, Aponeo oder die Shop Apotheke der Logistikdienstleister Nummer eins. DocMorris beispielsweise erklärt auf seiner Internetseite, dass die Pakete nur an Erwachsene abgegeben werden, bei Medpex fehlt so ein Hinweis.

DAZ.online hat daher beim Pressesprecher von DHL, Rainer Ernzer, nachgefragt, welche Sicherheitsvorkehrungen es beim Arzneimittel-Versand gibt und was die Versandapotheken unternehmen oder eben nicht unternehmen, damit die Abgabe sicher verläuft.

DHL-Pressechef Rainer Ernzer

DAZ.online: Kürzlich soll es Medienberichten zufolge dazu gekommen sein, dass ein 9-jähriger Junge die Lieferung einer Versandapotheke entgegennahm, weil die Eltern die Tür nicht öffnen konnten. Der Vater war unzufrieden mit Ihrer Erklärung dazu. Aber warum kann es überhaupt dazu kommen, dass Sie Arzneimittel-Pakete an Kinder übergeben?

Ernzer: Die hier zitierte Aussage unseres Kunden, dass wir als DHL einen Fehler zugestanden hätten, weil eine Aushändigung von Paketen an Jugendliche unter 14 Jahren unzulässig sei, ist für uns nicht nachvollziehbar und auch nicht korrekt. Vielmehr ist es richtig, dass unsere Zusteller grundsätzlich Pakete auch an Kinder aushändigen dürfen, wenn diese selbstständig genug sind, alleine zu Hause zu bleiben, so wie es der DHL Mitarbeiter über Facebook ja richtigerweise auch erläuterte.

Versender müssen Extra-Service buchen

DAZ.online: Wenn aber auf dem Paket eindeutig „Arzneimittel-Lieferung“ steht, muss der Paketbote dann nicht besonders vorsichtig sein?

Ernzer: Hierbei gilt: Grundsätzlich sind unsere Mitarbeiter angehalten, Aufdrucke auf Paketen, wie „nicht an Jugendliche abzugeben“ oder auch „nicht werfen“, „Vorsicht Glas!“ etc. nicht zu beachten. Dies hat den Hintergrund, dass wir in einem auf Standardisierung ausgerichteten Massen-Geschäft nicht gewährleisten könnten, dass kundenindividuelle Vorgaben entlang der Prozesskette in einem hoch automatisierten Prozess berücksichtigt werden. Individuelle Aufdrucke würden es außerdem einer nicht durch Technik oder Arbeitsanweisungen unterstützten Interpretation des Zustellers überlassen, wie der jeweilige Hinweis konkret gemeint ist. Dies entspräche unter den Gesichtspunkten der Kundenzufriedenheit, Sicherheit und Qualität nicht den DHL-Standards.

DAZ.online: Gibt es denn gar keine Möglichkeit sicherzustellen, dass Arzneimittel-Pakete nicht in den falschen oder zu jungen Händen landen?

Ernzer: Doch. DHL Paket stellt seinen Kunden, also den Versendern, Versandservices zur Verfügung. Hierbei gilt es zu unterscheiden, ob es sich um eine Sendung eines Geschäftskunden oder eines Privatkunden handelt, da für diese beiden Kundengruppen unterschiedliche Services bereit stehen. Für Geschäftskundensendungen (und um die ging es im hier vorliegenden Fall), stehen drei verschiedene Services zur Verfügung, die dafür sorgen, dass eine Sendung nicht in die „falschen Hände“ gelangt.

99 Cent für die Alterssichtprüfung - Medpex verzichtet

DAZ.online: Die wären?

Ernzer: Der Service „Alterssichtprüfung“ für 99 Cent pro Paket sorgt dafür, dass ein Paket nur an eine Person zugestellt und übergeben wird, die die vom Versender vorgegebene Altersgrenze überschritten hat. Je nach Kundenvorgabe bieten wir die Altersstufen 16 und 18 an. Annahmeberechtigt ist grundsätzlich jede in diesem Sinn empfangsberechtigte Person im Haushalt des Empfängers. Wenn eine Sendung unabhängig vom Alter nur an den eigentlichen Empfänger übergeben werden soll, kann der Service „Persönliche Übergabe“ für 99 Cent gebucht werden. Der Service „Ident-Check“  für 2,99 Euro bietet eine dokumentierte Zustellung ausschließlich an den bezeichneten Empfänger, der sich legitimieren muss.

Für Privatkunden steht der Service „Alterssichtprüfung“ in der Onlinefrankierung ebenfalls zur Verfügung. Da wir sendungsbegleitende Daten benötigen, diesen Prozess zuverlässig zu unterstützen, ist eine Beauftragung der „Alterssichtprüfung“ zum Beispiel in einem DHL Paketshop leider nicht möglich.

Medpex hat auf die Alterssichtprüfung verzichtet

DAZ.online: Zurück zu dem Fall mit dem 9-jährigen Jungen. Hatte die Versandapotheke Medpex denn einen solchen Service gebucht?

Ernzer: Aus Sicht von DHL Paket ist der Prozess der Zustellung und die Übergabe des Pakets nach allen uns vorliegenden Informationen regelkonform und korrekt abgelaufen, da der Sendung keiner der zur Verfügung stehenden Versandservices zu gebucht worden ist, die eine Übergabe an eine Altersprüfung geknüpft hätten. Ob es in der Kommunikation mit dem Versender zu Missverständnissen in der Beratung gekommen ist, können wir dabei nicht nachvollziehen. Wir bedauern, dass eine Sendung, die wohl sicherlich nicht in die Hände eines Kindes gelangen sollte, nun an einen 9-Jährigen übergeben wurde und hoffen, dass der Inhalt so beschaffen war, dass dabei niemand  zu Schaden gekommen ist.

DAZ.online: Werden Sie denn Ihre Geschäftspolitik mit Blick auf Arzneimittel-Lieferungen ändern?

Ernzer: Wir können, wollen und dürfen nicht wissen, ob der Inhalt eines Pakets sensibel ist und ob es Einschränkungen bezüglich zulässiger Empfangsberechtigter gibt, so lange uns der Versender eine solche Einschränkung nicht im Rahmen unseres Portfolios mitteilt, indem er den passenden Service auswählt.

Wie läuft es in der Apotheke vor Ort?

Auch in der Apotheke vor Ort ist eine Abgabe von Arzneimitteln an Kinder und Jugendliche grundsätzlich nicht verboten oder ausgeschlossen. Die ABDA teilt hierzu mit:

Grundsätzlich geben Apotheker Kindern Medikamente nur unter Vorbehalt mit. Thomas Benkert, Vize-Präsident der Bundesapothekerkammer, empfiehlt Eltern deshalb, nur Erwachsene als Boten in eine Apotheke schicken. Wer auf sich allein gestellt, bettlägerig oder gehbehindert ist, kann in der Apotheke anrufen und einen Botendienst bestellen.

Das Gesetz verbietet Apothekern zwar nicht grundsätzlich, Arzneimittel an Kinder abzugeben. Dagegen spricht jedoch einiges: Auch vermeintlich ‚harmlose‘ rezeptfreie Medikamente können bei falscher Anwendung der Gesundheit schaden oder werden von Jugendlichen absichtlich missbräuchlich verwendet. Benkert: „Wie soll ein Apotheker einen erwachsenen Patienten umfassend beraten, wenn er dies über ein Kind als Boten tun soll? Kinder können beispielsweise Einnahmehinweise nicht verstehen und deshalb auch nicht übermitteln." Auch wenn der Apotheker Fragen zu anderen Medikamenten des Patienten hat, beispielsweise um mögliche Wechselwirkungen zu beurteilen, kann er sie nur mit einem Erwachsenen verlässlich besprechen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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