Große Reform

Dürfen Psychotherapeuten zukünftig verschreiben?

Berlin - 26.09.2017, 10:30 Uhr

Nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums könnten Psychotherapeuten zukünftig auch Psychopharmaka verschreiben. (Foto: Chinnapong / stock.adobe.com)

Nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums könnten Psychotherapeuten zukünftig auch Psychopharmaka verschreiben. (Foto: Chinnapong / stock.adobe.com)


Die Ausbildung von Psychotherapeuten soll in der kommenden Legislaturperiode umfassend reformiert werden: Das Bundesgesundheitsministerium plant, dass gezielt Studiengänge ähnlich wie in der Medizin oder der Pharmazie zukünftig mit der Approbation enden. Neben einem Ausbau des Überweisungsrechts sollen Modellstudiengänge Psychotherapeuten zukünftig erlauben, Psychopharmaka zu verschreiben. Fachärzte warnen vor „erheblichen strukturellen Systemveränderungen“.

Während die Diskussionen im deutschen Gesundheitswesen derzeit auf das Ärztehonorar, die Digitalisierung und die Folgen des EuGH-Urteils fokussiert sind, bahnt sich bei den Psychotherapeuten ohne viel öffentliche Aufmerksamkeit eine grundlegende Reform an: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat Vorschläge für Gesetzesveränderungen vorbereiten lassen, die Studium und Ausbildung erheblich verändern würden. Während zukünftige Psychotherapeuten bislang normalerweise nach einem Psychologie-Studium eine mehrjährige Ausbildung absolvieren und anschließend approbiert werden, sollen zukünftig spezielle Studiengänge mit der Approbation enden.

Erheblichen Streit gibt es, da das Ministerium bislang noch nicht klar definiert hat, wie es nach der Approbation weitergeht – so fürchten manche, Gröhe wolle einen „Labermediziner“ ohne adäquate Ausbildung einführen. „Keine experimentelle Neuordnung des Gesundheitswesens“, fordert beispielsweise der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) in einer Pressemitteilung. Das Ministerium versuche, ein weltweit einmaliges heilkundliches Studium der Psychologie aufzulegen, das „durch Sinnentleerung und beliebige Dehnung des Begriffs Psychotherapie“ den Patienten- und Verbraucherschutz erheblich verletzen werde.

Es führe darüber hinaus „absehbar zu erheblichen strukturellen Systemveränderungen im deutschen Gesundheitssystem“. „Die vorgesehene allumfängliche gesetzliche Zuweisung von Zuständigkeiten an einen neuen psychologischen Beruf in allen Bereichen und Strukturen der Medizin darf sich nicht ohne breit geführte Diskussion unter und mit den Ärzten in den Koalitionsvertrag einschleichen“, erklärt SpiFa-Vorstand Christian Albring.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wollte aufgrund der laufenden Abstimmung gegenüber DAZ.online derzeit keine Stellung zu der Reform nehmen, sondern verwies auf den kursierenden Gesetzesentwurf. Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Dietrich Munz, erklärte auf Nachfrage, die laufenden Veränderungen würden „von vielen falsch dargestellt“. „Zukünftig soll es eine Parallelisierung zur Struktur der ärztlichen Ausbildung mit dem Facharzt geben“, betont er. „Nur wer diese Fachweiterbildung absolviert hat, darf auch eigenverantwortlich gesetzlich krankenversicherte Patienten ambulant und stationär versorgen.“

Psychotherapeuten könnten zukünftig zum Rezeptblock greifen

Bislang ist laut Munz eines der sehr großen Probleme bei zukünftigen Psychotherapeuten, dass sie während der aktuell drei Jahre dauernden Ausbildung ein Jahr lang eine praktische Tätigkeit in der Psychiatrie absolvieren, die nach aktueller Rechtslage praktisch nicht definiert ist. „Bei uns gibt es diese schräge Ausnahmeregelung, dass die Auszubildenden ohne Approbation und fertige Ausbildung Patienten behandeln – das ist rechtssystematisch ein Bruch in dem ganzen System“, erklärt der BPtK-Chef. Auch sei die Finanzierung vollkommen offen. „Die Ausbildungskandidaten finanzieren einen großen Teil der Ausbildung selbst – das ist die große Krux“, betont Munz.

Die Positionierung des SpiFa sieht er als „absolut verkürzte Darstellung“ des aktuellen Arbeitsentwurfes des Gesetzes. Die BPtK setzt sich sogar für eine Verlängerung der ans Studium anschließenden Ausbildung auf fünf Jahre ein. „Die gesamte Ausbildung muss bis zum Ende qualitativ verbessert werden“, erklärt Munz – Kandidaten sollten mindestens zwei Jahre in der stationären Versorgung, und mindestens zwei Jahre in der ambulanten Versorgung weitergebildet werden. Ein erheblicher Vorteil für die Auszubildenden wäre, wenn sie zukünftig tarifrechtlich wie ein Akademiker eingestuft werden.

Arzneimittel-Verordnung stark umstritten

Das Studium könnte beispielsweise mit einem Bachelor in Psychologie beginnen, auf den ein Master in Psychotherapie aufgesetzt wird – mit Studieninhalten, die in der Approbationsordnung festgelegt sind. Hier sieht der Arbeitsentwurf Gröhes eine Veränderung vor, der auch für Apotheker von erheblichem Interesse ist: Modellstudiengänge sollen es manchen Psychotherapeuten erlauben, zukünftig zum Rezeptblock greifen und Psychopharmaka verschreiben zu dürfen. Hierzu müsste zwar noch an zahlreichen Stellen der Arztvorbehalt aufgehoben werden, so im Arzneimittelrecht – beim SpiFa trifft diese Veränderung des Berufes des Psychotherapeuten aber auch so auf erhebliche Kritik. „Er soll über ein umfassendes Überweisungsrecht, zu allem und überall hin, sowie vorerst per Modellstudiengänge über die Kompetenz zur Medikamentenverordnung, zunächst für Psychopharmaka, verfügen“, erklärt der Verband – und nimmt an, dass dies nur der erste Schritt sein soll.

Laut Munz wurde die Frage der Verordnung von Arzneimitteln bereits vor einigen Jahren innerhalb der BPtK diskutiert – jedoch ohne Ergebnis. „Es ist auch innerhalb unserer Profession stark umstritten“, betont er. Natürlich müsse sehr genau überlegt werden, welche Kenntnisse in Physik, Chemie oder Pharmakologie im Modellstudiengang vermittelt werden müssen – und wie die Weiterbildung gestaltet werden soll. „Auch innerhalb der BPtK ist dies noch nicht ausdiskutiert“, erklärt Munz. Die Kammer werde das Thema in der nächsten Zeit nochmal ausführlich diskutieren.

Aktuelle Beschränkungen der Tätigkeit könnten entfallen

Nach Ansicht der BPtK ist eine wissenschaftliche Fundierung der Ausbildung von Psychotherapeuten „dringend erforderlich“. Doch während sie nach der aktuellen Gesetzeslage nur Verfahren ausüben dürfen, die von einem speziellen Gremium – dem „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“ – anerkannt wurden, soll es hier zukünftig Veränderungen geben. „Nach den Plänen von uns und auch dem BMG wird diese Eingrenzung in der Gesetzesdefinition aufgehoben – wie auch bei Ärzten: Sie dürfen alles machen, was sie berufsrechtlich verantworten können“, erklärt Munz. Aktuell würden Heilpraktiker, die gleichfalls psychotherapeutisch arbeiten dürfen, diese Begrenzung „sehr geschickt“ aufgreifen.

Als die derzeitigen Regelungen für Psychotherapeuten in den 1990er-Jahren eingeführt wurden, wurde ein „Heilpraktiker für Psychotherapie“ ins Leben gerufen, damit zuvor ausgebildete Kollegen auch ohne Approbation arbeiten können. Diese Notlösung sei inzwischen unnötig, erklärt Munz – Psychotherapeuten sollten zumindest die normale Heilpraktiker-Prüfung absolvieren. Eine andere Möglichkeit sei, den Berufsstand ganz abzuschaffen. Doch fürchte er persönlich, dass viele ehemalige Heilpraktiker dann in die Illegalität gehen könnten.

Offen ist noch, welche Berufsbezeichnung Psychotherapeuten zukünftig führen werden. Ärzte pochen darauf, dass es bei der Bezeichnung „Psychologischer Psychotherapeut“ bleibt, um sie von Medizinern zu unterscheiden, die beispielsweise als ausgebildete Psychiater auch psychotherapeutisch arbeiten. Munz gibt sich hier kompromissbereit. „Wir erkennen an, dass es für Patienten und alle klar ersichtlich sein muss, auf welchem fachlichen Hintergrund Heilberufler arbeiten“, erklärt er. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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