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BGH-Urteil zu GroßhandelsKonditionen
Gesetzgeber hätte klarer formulieren müssen
Die Urteilsgründe des Bundesgerichtshofs im sogenannten „Skonto“-Streit liegen vor. Tatsächlich befassen sich die Bundesrichter darin nicht einmal am Rande mit der Frage, ob Skonti etwas anderes sind als Rabatte. Das Urteil ist vielmehr ist ein Lehrstück, wie Gesetze beziehungsweise Verordnungen auszulegen sind – und eine Schelte für jene, die bei der Formulierung von Normen ungenau sind.
Der Streit zwischen der Wettbewerbszentrale und dem Großhändler AEP hat die Apotheker über lange Zeit in Atem gehalten. Die Wettbewerbszentrale war gegen die ungewöhnlich transparente Rabatt- und Skonto-Bündelung von AEP vorgegangen. Und damit standen die Großhandelskonditionen insgesamt auf dem juristischen Prüfstand. Manch ein Apothekenleiter bangte bereits um seine fest eingeplanten Skonti. Würden wenigstens derartige „Belohnungen“ für eine vorfristige Zahlung erhalten bleiben? Auch wenn sie zu Rabatten hinzutreten, die bereits an der Grenze des prozentualen Großhandelszuschlags von 3,15 Prozent auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Herstellers liegen? Es wurde über echte und unechte Skonti diskutiert, ebenso über sonstige „Funktionsrabatte“ des Großhandels.
Am Ende war dies müßig. Der Bundesgerichtshof kam gar nicht dazu, sich mit der genaueren Natur „handelsüblicher Skonti“ zu befassen, der Frage wie hoch diese sein dürfen und welcher Art von Gegenleistung sie bedürfen. Aus Sicht der Richter des 1. Zivilsenats am Bundesgerichtshof war der Antrag der Wettbewerbszentrale so zu verstehen, dass AEP verboten werden sollte, Rabatte und Skonti zu gewähren, die dazu führen, dass bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimitteln an Apotheken der in der Arzneimittelpreisverordnung festgesetzte Festzuschlag von 70 Cent nicht erhoben wird. Denn diese 70 Cent waren aus Sicht der Klägerin zwingend zu erheben. Also ging es allein um die Frage, ob diese Annahme stimmt oder nicht.
Wechselvoller Zug durch die Instanzen
Die erste Instanz, das Landgericht Aschaffenburg hatte die Klage der Wettbewerbszentrale abgewiesen. Die Berufungsinstanz – das Oberlandesgericht Bamberg – meinte hingegen, die Wettbewerbszentrale habe Recht. Der Bundesgerichtshof entschied bekanntlich am 5. Oktober im Sinne von AEP und ließ das Aschaffenburger Urteil wieder aufleben. Seitdem wartete man auf die Begründung der Entscheidung.
In den jetzt vorliegenden Urteilsgründen prüfen die Richter genau die einschlägigen Regelungen der Arzneimittelpreisverordnung. Zunächst den Wortlaut, dann blicken sie auf die Systematik der Regelungen und am Ende gehen sie auch auf den Willen des Gesetzgebers ein.
Dreh- und Angelpunkt ist § 2 Abs. 1 Satz 1 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Danach darf bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln durch den Großhandel an Apotheken oder Tierärzte auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne die Umsatzsteuer höchstens ein Zuschlag von 3,15 Prozent, höchstens jedoch 37,80 Euro, zuzüglich eines Festzuschlags von 70 Cent sowie die Umsatzsteuer erhoben werden.
Sprachlich eindeutige Regelung
Der Senat führt in seinem Urteil genauer aus, worauf die Arzneimittelpreisverordnung fußt und was genau sie regelt. Dabei kommt er zu dem klaren Ergebnis: Die oben genannte Norm zu den Großhandelszuschlägen legt lediglich eine Preisobergrenze und nicht eine Preisuntergrenze fest. Der Wortlaut biete keinen hinreichenden Anhaltspunkt, dass es unzulässig ist, wenn Großhändler Apotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln beliefern, deren Preise unter dem Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers zuzüglich des Festzuschlags von 70 Cent liegen.
Die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV sei „sprachlich eindeutig“, heißt es im Urteil – und hebt auf die Worte „darf“ und „höchstens“ ab. „Diese Regelung stellt die Erhebung von Zuschlägen in das Ermessen des Großhandels“, schreiben die Richter. Einwände aus dem juristischen Schrifttum weisen sie zurück. Auch das Arzneimittelmarktordnungsgesetz (AMNOG), mit dem die Großhandelsvergütung neu gestaltet wurde, habe die Struktur der Vorschrift nicht angetastet – lediglich die Zuschläge hätten sich hierdurch geändert. Hätte der Gesetzgeber einen Mindestpreis festlegen wollen, so hätte er „Begriffe verwenden müssen, aus denen sich ergibt, dass der Großhandel auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ‚mindestens‘ den genannten Festzuschlag aufschlagen ‚muss‘“, so der Senat.
Auch aus dem Wort „Festzuschlag“ ist aus Sicht des Gerichts nicht zu schließen, dass dieser Zuschlag stets zu erheben ist. Mit der Beschreibung des Zuschlags von 70 Cent als „fest“ werde vom Wortlaut her lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es sich um einen Zuschlag in Höhe eines festen Betrags handele, der im Gegensatz zu dem variablen Aufschlag von 3,15 Prozent vom Preis des jeweiligen Arzneimittels unabhängig sei.
Andere Begrifflichkeiten bei Apothekenzuschlägen
Bei der systematischen Auslegung verweist der Senat auf die
Regelungen der Arzneimittelpreisverordnung zu den Apothekenzuschlägen (§ 3 Abs.
1 Satz 1 AMPreisVO). Hier „sind“ bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln ein
Festzuschlag von 3 Prozent zuzüglich 8,35 Euro zuzüglich 0,16 Euro zur
Förderung des Notdienstes sowie die Umsatzsteuer zu erheben. Durch die Wendung
im Imperativ werde deutlich, dass Apotheken bei der Abgabe von
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln keinen preislichen Spielraum haben. Der
Wortlaut weiche deutlich von der Regelung für die Großhandelszuschläge ab.
Wille des Gesetzgebers kommt im Wortlaut nicht zum Ausdruck
Last not least geht der Bundesgerichtshof auf den Einwand ein, aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe sich ein ersichtlich anderer Wille des Gesetzgebers. Tatsächlich heißt es in der Begründung des AMNOG-Gesetzentwurfs und später in der Beschlussempfehlung eindeutig, dass der preisunabhängige Bestandteil des Großhandelszuschlags (der ausdrücklich auch für direkt vertreibende Hersteller gelten soll) „nicht rabattfähig“ sein soll.
Der 1. Zivilsenat erkennt an: Die Verfasser des Gesetzesentwurfs haben das Ziel verfolgt, dem Großhandel eine für seine Funktionsfähigkeit erforderliche Mindestvergütung zu sichern. Schließlich haben Betreiber von Arzneimittelgroßhandlungen eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung von Arzneimitteln sicherzustellen. Da dieser Auftrag unabhängig vom Preis eines Arzneimittels zu erfüllen ist, sollte der Großhandel eine Vergütung erhalten, die ausreichend ist, eine angemessene und flächendeckende Belieferung der Apotheken zu gewährleisten.
Dennoch: Dieses gesetzgeberische Ziel könne es nicht rechtfertigen, § 2 Abs. 1 Satz 1 AMPreisV so auszulegen, dass der Großhandel zwingend 70 Cent erheben muss. Denn dieser Wille sei im Wortlaut der Norm nicht zum Ausdruck gekommen. Für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift sei aber „der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgeblich, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist“. Nicht entscheidend sei dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe.
Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den Preisvorschriften um Berufsausübungsregelungen handelt, die die Berufsfreiheit einschränken. Derartige Regelungen müssten aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit das verbotene Handeln unzweideutig beschreiben. Es sei den von der Regelung Betroffenen jedenfalls nicht zumutbar, den Umfang der sie treffenden Pflichten aus den Gesetzesmaterialien zu ermitteln.
Zum Schluss geht der Bundesgerichtshof auch noch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016 zur Rx-Preisbindung ein – allerdings mit der klaren Aussage, dass dieses für die hier zu entscheidende Frage ohne Bedeutung ist. Es geht hier nämlich zum einen um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt ohne grenzüberschreitenden Bezug. Zum anderen nicht um die Frage, ob einheitliche Abgabepreise in Deutschland mit der unionsrechtlichen Waren- und Dienstleistungsfreiheit vereinbar sind.
Letztlich ist mit diesem Urteil nun eines für die Apotheker klar: Die Großhändler dürfen ihnen weiter Rabatte und Skonti gewähren, selbst, wenn sie dadurch an ihrer 70-Cent-Marge knabbern müssen. Ob dieses Urteil für den Großhandel wirklich erfreulich ist, steht auf einem anderen Blatt.
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Oktober 2017, Az.: I ZR 172/16
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