Honorar-Gutachten

100 Millionen Euro sollen Landapotheken retten

Süsel - 18.12.2017, 07:00 Uhr

Die Honorar-Gutachter wollen einen Fonds für Landapotheken schaffen, der mit jährlich 100 Millionen Euro gespeist werden soll. (Foto: Sket / DAZ)

Die Honorar-Gutachter wollen einen Fonds für Landapotheken schaffen, der mit jährlich 100 Millionen Euro gespeist werden soll. (Foto: Sket / DAZ)


Die Honorar-Gutachter empfehlen, gefährdete Landapotheken über einen Strukturfonds von 100 Millionen Euro zu unterstützen und den Betrieb als Zweigapotheken zu prüfen. Die 100 Millionen Euro errechnen die Gutachter anhand der Daten von 2015. Doch nach massiven Kürzungen der Honorare sollte eine neue Rechnung fällig werden.

Im Honorar-Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium, das weiterhin nur in nicht veröffentlichten Vor-Versionen vorliegt, geht es auch um die flächendeckende Versorgung. Diese sehen die Gutacher derzeit nicht bedroht. Sie verweisen sogar auf eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes, nach der Apotheken in ländlichen Regionen im Durchschnitt bessere Betriebsergebnisse als in städtischen Regionen erzielen. Um mehr über die flächendeckende Versorgung zu erfahren, schlagen die Gutachter „ein verstärktes Monitoring der tatsächlichen Erreichbarkeit von Apotheken“ vor.

Wie viele ländliche Apotheken sind bedroht?

Doch in ihrer Analyse zur Situation der Apotheken im Jahr 2015 ermitteln die Gutachter, dass 7.600 Apotheken-Unternehmen (Einzelapotheken und Filialverbünde) keinen angemessenen Unternehmerlohn erwirtschaften würden. Davon lägen 2.300 Apotheken-Unternehmen in ländlichen Kreisen gemäß der Definition des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Daraufhin untersuchen die Gutachter die Möglichkeit, diese 2.300 Apotheken über einen Strukturfonds gezielt zu unterstützen.

Dafür müsste die Lücke zwischen dem angestrebten Unternehmerlohn von 99.000 Euro pro Apotheken-Unternehmen und dem im Gutachten angenommenen Betriebsergebnis geschlossen werden. Für Apotheken mit einem Umsatz bis 1 Million Euro gehen die Gutachter von 31.000 Euro Betriebsergebnis und für Apotheken mit Umsätzen zwischen 1 und 2 Millionen Euro von 66.000 Euro Betriebsergebnis aus.

Für 719 Apotheken in ländlichen Kreisen mit Umsätzen unter 1 Million Euro und 1.589 solche Apotheken mit Umsätzen zwischen 1 und 2 Millionen Euro ergeben sich etwa 100 Millionen Euro pro Jahr als Subventionsbedarf. Nur 20 Millionen Euro wären nötig, um das Betriebsergebnis der Apotheken mit Umsätzen unter 1 Million Euro auf das Gehalt eines angestellten Apothekers anzuheben, ermitteln die Gutachter. Dieser könnte die Apotheke als Notapotheke betreiben. 

Wie sollte der Strukturfonds aussehen?

Allerdings wird nicht betrachtet, ob beim Wegfall der Apotheken wirklich eine Versorgungslücke entstünde. Doch auch in ländlichen Kreisen liegen viele Apotheken in Orten mit mehreren Apotheken. Dagegen hatten May, Bauer und Dettling in ihrem wettbewerbsökonomischen Gutachten zum „Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel“ 1.711 Solitär-Apotheken mit einer Alleinstellung im Umkreis von 5 km ermittelt. Möglicherweise wäre der Finanzbedarf zur Unterstützung von bedrohten versorgungskritischen Apotheken daraufhin sogar geringer.

Option oder Empfehlung?

Doch zurück zum Gutachten von 2hm: Während die Gutachter den Strukturfonds im Text des Gutachtens eher als Möglichkeit formulieren, äußern sie in ihrer Zusammenfassung eine Empfehlung: „Empfohlen wird im Rahmen möglicher Reformen der AMPreisV, für die flächendeckende Versorgung relevante Apotheken zu identifizieren und diese gezielt zu unterstützen, z. B. über einen Strukturfonds in Höhe von ca. 100 Mio. €.“

Zweig- und Notapotheken nutzen

Dabei empfehlen die Gutachter auch zu prüfen, ob gefährdete Apotheken als Zweigapotheken geführt werden könnten. Mit der Möglichkeit Zweig- oder Notapotheken einzurichten relativieren sie zudem die Bedrohung, die von ihren Kürzungsplänen ausgehen. Dazu erklären die Gutachter:

„Es wird empfohlen, die Reduktion der Vergütung umzusetzen, da der Gesetzgeber mit den Zweig- und Notapotheken die Sicherung der flächendeckenden Versorgung berücksichtigt. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation vieler Apotheken sollte jedoch sichergestellt werden, dass bei für die Flächendeckung relevanten Apotheken diese Maßnahmen greifen bereits bevor die Apotheken schließen müssen sowie die Finanzierung dieser Maßnahmen zu sichern.“

14 Cent pro Rx-Packung

Zur Finanzierung des Strukturfonds von 100 Millionen Euro schlagen die Gutachter einen Zuschlag von 14 Cent (plus Verwaltungskosten) pro Rx-Fertigarzneimittel nach dem Vorbild des Notdienstfonds vor. Dazu erklären die Gutachter: „Die Berechnung eines Strukturfonds ist vergleichsweise einfach im Vergleich zu der Frage, an welche Apotheken er in Anbetracht der Niederlassungsfreiheit ausgezahlt werden sollte. Die einzige gesetzliche Grundlage für die Finanzierung außerhalb der freien Strukturen ist die Einrichtung einer Notapotheke durch eine Gemeinde. Notapotheken könnten über den Strukturfonds finanziert werden.“

Außerdem erklären die Gutachter: „In diesem Zusammenhang sollten die aktuellen Prozesse und Finanzierungsgrundlagen der Gemeinden für Notapotheken geprüft werden.“

Wie für die Finanzierung des Notdienstes sei auch für den Strukturfonds denkbar, OTC- und Freiwahlartikel zu beteiligen, erklären die Gutachter. Doch gegen diesen Ansatz können dieselben Argumente wie gegen die Kostenverteilung bei der Honorarberechnung angeführt werden. Wiederum würde die Finanzierung einer Gemeinwohlaufgabe von der Solidargemeinschaft auf Einzelne übertragen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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6 Kommentare

Wahrheiten, Teilwahrheiten etc

von Heiko Barz am 19.12.2017 um 8:24 Uhr

Es ist schon erschreckend, wieviele vage Aussagen über dieses seltsame 2h... Gutachten durch die Gegend geschoben werden. Die besonders Geistreichen erfinden dann neue Gesprächsparameter wie Narration und das sogenannte "Durchstecken" das ist ja schon widerlich. Was hat denn da unsere ABDA Vertreterin mit dem

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Notapotheken?

von Andreas Grünebaum am 18.12.2017 um 20:30 Uhr

Sofern sich Gemeinden oder auch Städte für ihre Stadtteile in Zukunft eine unwirtschaftliche Apotheke als "Notapotheke" leisten wollen, müssen sie es gut gegen den Erhalt anderer "lebenswichtiger" Einrichtungen abwägen. Ich fürchte nur, dass der Erhalt des örtlichen Schwimmbades gegenüber der Apotheke den Vorzug erhält.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Wahrheiten, Teilwahrheten etc.

von Heiko Barz am 18.12.2017 um 20:03 Uhr

Es ist schon erschreckend, wieviele vage Aussagen über dieses seltsame 2h... Gutachten durch die Gegend geschoben werden. Die besonders Geistreichen erfinden dann neue Gesprächsparameter wie Narration und das sogenannte "Durchstecken" das ist ja schon widerlich. Was hat denn da unsere ABDA Vertreterin mit dem

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kurzes Hemd

von Christian Giese am 18.12.2017 um 14:40 Uhr

Egal, in welche Richtung man das Hemd auch ziehen mag, es wird nicht länger.

Das noch viel dickere Ei ist doch die Quantifizierung und verminderte Kalibrierung unseres Gemeinwohlbenefits mittels Abwertung gegen Null.
Unser menschliches apothekerliches Zutun abzuwerten, ist mehr als moralisch verwerflich!
So bleibt diese fragwürdige Abwertung hier die entscheidende, übrigbleibende politische Frage an jeden einzelnen Bundestagsabgeordneten.

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So ist das mit den Teilwahrheiten ....

von Reinhard Herzog am 18.12.2017 um 9:19 Uhr

Tatsächlich könnte man mit verhältnismäßig wenig Aufwand - um 100 Mio. € bis 150 Mio. € - schon eine Menge versorgungsrelevante Strukturpolitik betreiben. Das zeigen meine Rechnungen auch. Dies gilt aber bei heutiger Honorierung!

Im Gutachten werden offenkundig die Auswirkungen der selbst vorgeschlagenen Maßnahmen unter den Tisch fallen gelassen. Da kommen noch einmal etwa 3,50 € .. 4 € Rx-Stückertragsverlust obenauf, die ebenfalls kompensiert werden müssten.
Bei geschätzt um 75 Mio. Rx-Packungen dieser 2300 Apotheken wären das nochmals 250 bis 300 Mio. € on top - also in Summe um die 400 Mio. € oder eine Umlage von 0,50 bis 0,60 € je Rx-Packung. Machbar, aber doch schon spürbar mehr ...

Das zeigt auch das Hauptproblem dieses Gutachtens. Es ist nicht allein die Kostenrechnung (die man im Detail hinterfragen kann, aber die Grundaussage, dass die Rx-Packungen das wirtschaftliche Fundament stellen und quasi den Rest hochhalten, stimmt ja), sondern das Ignorieren wesentlicher Teile des Apothekeneinkommens - nämlich die mit belastbaren, offiziellen Zahlen nicht ermittelbaren, aber doch halbwegs bekannten Einkaufsrabatte. Deren Wegfall würde alles ändern und das macht die Zahlen des Gutachtens insoweit zur Makulatur.

Die kolportierten Einkommenseinbußen des Gutachtens kann man nämlich getrost locker verdoppeln.

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AW: So ist das mit den Teilwahrheiten

von Peter Lahr am 18.12.2017 um 10:41 Uhr

Da kann ich nur zustimmen, die Absurdität liegt darin, dass das Betriebsergebnis im Durchschnitt bekannt ist. Ausgeblendet wurde aber wohl, dass das bilanzierte RX Teilbetriebsergebnis sowie das Gesamtergebnis alle Rabatte beinhaltet die gewährt wurden.

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