Juristisches Gutachten

Apotheker müssen nicht beim Suizid helfen

Berlin - 16.01.2018, 17:05 Uhr

In der Schweiz ist Pentobarital-Natrium erhältlich. Was wäre, wenn ein Suizid-Williger mit einer BfArM-Ausnahmegenehmigung in die Apotheke käme? (Foto: Picture Alliance)

In der Schweiz ist Pentobarital-Natrium erhältlich. Was wäre, wenn ein Suizid-Williger mit einer BfArM-Ausnahmegenehmigung in die Apotheke käme? (Foto: Picture Alliance)


Vor einem knappen Jahr sorgte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für Aufsehen: Demnach darf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einem unheilbar kranken und suizidwilligen Patienten in einer extremen Notlage ein tödliches Betäubungsmittel nicht verwehren. Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, kommt nun in einem Gutachten zu dem Schluss: Dieses Urteil ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Er befasst sich zudem mit der Frage, welche Konsequenzen das Urteil für Apotheker hat.

Der Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung ist grundsätzlich nicht erlaubnisfähig. In einer extremen Ausnahmesituation schließt das Betäubungsmittelgesetz jedoch nicht aus, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen solchen Erwerb erlaubt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht am 2. März 2017 entschieden. Die Richter leiteten dies aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz) ab: Dieses umfasse auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll – vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.

Worum ging es in dem Fall?

Eine Frau war seit einem Unfall im Jahr 2002 vom Hals abwärts gelähmt. Sie musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Hinzu kamen schmerzhafte und häufige Krampfanfälle. Die Frau empfand ihre Lebenssituation als unerträglich und entwürdigend. Sie wollte aus dem Leben scheiden und besprach diesen Wunsch unter anderem mit ihrem Ehemann, der gemeinsamen Tochter, den behandelnden Ärzten und einem Geistlichen. Im November 2004 beantragte sie beim BfArM ihr den Erwerb von 15 g Natrium-Pentobarbital zu erlauben, um einen begleiteten Suizid durchzuführen. Das BfArM lehnte den Antrag ab. Die Begründung: Eine Erlaubnis mit dem Ziel der Selbsttötung sei nicht vom Zweck des Betäubungsmittelgesetzes gedeckt. 2005 nahm sich die Frau mithilfe des Schweizer Sterbehilfeverein Dignitas das Leben. Ihr Ehemann stritt für sie daraufhin mit dem BfArM lange Jahre vor Gericht. Am Ende stand das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.

Unter anderem Mediziner hatten die Entscheidung heftig kritisiert. Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery sprach von unverantwortlicher „Bürokratieethik“. Und auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) erklärte seinerzeit, dass eine staatliche Behörde wie das BfArM „nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung werden“ dürfe. Denn das würde jedes Bemühen untergraben, Selbsttötung durch Hilfe und Beratung zu verhindern. Bis heute ist verfassungsrechtlich und ethisch umstritten, inwieweit bei einer erstrebten Selbsttötung der Staat durch die Erlaubnis zum Erwerb letal wirkender Mittel Hilfe leisten darf oder gegebenenfalls sogar leisten muss.

BfArM will mit Rechtsgutachten für mehr Klarheit sorgen

Auch das BfArM blieb kritisch – zumal sich in der Folge die Anträge auf eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital häuften. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung (FAZ) haben sich bislang 83 Sterbewillige gemeldet. Beschieden habe das BfArM bislang keinen. Es bat vielmehr den renommierten Verfassungsrechtler und ehemaligen Bundesverfassungsrichter Professor Udo Di Fabio ein Rechtsgutachten zu erstellen. Dieses sollte Aufschluss geben über die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Urteils und die Anforderungen an das künftige Verwaltungshandeln im BfArM. Denn eigentlich sind höchstrichterlich ergangene Urteile bindend – das ergibt sich aus dem wichtigen Grundsatz der Rechtsklarheit.

Di Fabio: Verfassungsrechtlich nicht haltbar

Am gestrigen Montag hat die Arzneimittelbehörde das fertige Gutachten vorgestellt. Di Fabio kommt darin zudem Ergebnis, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts „verfassungsrechtlich nicht haltbar“ sei. Er ist überzeugt, dass es schon an einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Sterbewilligen fehlt, wenn das BfArM die Befreiung vom gesetzlich angeordneten Erwerbsverbot verweigert. „Es besteht darüber hinaus auch keine verfassungsrechtliche Schutzpflicht, dem Sterbewilligen die für den Freitod notwendigen Mittel zu verschaffen oder ihm dem Zugang zu ermöglichen.“ Aus Sicht des Verfassungsrechtlers hat das Bundesverwaltungsgericht durch seine Interpretation der einschlägigen Verbotsnorm im Betäubungsmittelgesetz seinen eigenen rechtspolitischen Willen an die Stelle des Willens des Gesetzgebers gesetzt. Dies sei ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip und den Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes. Der Gesetzgeber sei auch berechtigt, die Mittel zu verweigern, wenn er in einer Hilfe zur Selbsttötung die Gefahr sehe, künftig routinemäßig tödlich wirkende Substanzen ausgeben zu müssen, sobald ein Sterbewilliger danach frage.

Mögliche (strafrechtliche) Konsequenzen für Apotheker?

In dem Teil des Gutachtens, das sich mit der Bindung des BfArM an das Urteil befasst, geht Di Fabio auch auf eine mögliche Strafbarkeit von BfArM-Mitarbeitern und Apotheken ein, sollte das Urteil in der Praxis beachtet werden. Seit Dezember 2015 ist nämlich nach § 217 Strafgesetzbuch (StGB) die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ strafbar. Diese Norm ist laut Di Fabio selbst verfassungsrechtlich umstritten. Nach seiner Auffassung müssen Apotheker sie jedoch nicht fürchten, käme tatsächlich ein Patient mit einer BfArM-Ausnahmeerlaubnis für das tödliche Arzneimittel. Er hält eine Strafbarkeit für nicht vertretbar  – wenngleich er einräumt, dass abweichende Interpretationen der noch recht jungen Norm „auch nicht definitiv ausgeschlossen“ werden können. Er verweist darauf, dass der Gesetzgeber hier bewusst die „geschäftsmäßige“ und nicht die „gewerbsmäßige“ Förderung unter Strafe gestellt habe. Geschäftsmäßigkeit setze voraus, dass der Handelnde die Absicht hat, die tatbestandliche Handlung in gleicher Art zu wiederholen und sie zu einem  wiederkehrenden Bestandteil  seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Betätigung zu machen. Das sieht er bei Apothekern nicht, wenn es um einen Extremfall im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts geht. Sie würden wohl eher nicht wiederholt nach einer letalen Dosis nachgefragt.

Kontrahierungszwang nach ApBetrO?

Di Fabio prüft aber noch weitere Konsequenzen für Apotheker: Besteht für sie vielleicht in Kontrahierungszwang und sie dürfen eine Abgabe einer letalen BtM-Dosis nicht verweigern? § 17 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung  (ApBetrO) normiert einen solchen Zwang bei Vorliegen einer ärztliche Verschreibung. Doch eine Verschreibung liege bei einer Ausnahmegenehmigung des BfArM (nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) gar nicht vor, sodass eine direkte Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht komme. Sehr ausführlich geht der Verfassungsrechtler dann auf die Frage ein, ob eine analoge Anwendung für die hier einschlägige Fallkonstellation in Betracht kommt – die Norm also anzuwenden ist, obwohl sie nicht richtig passt. Das ist nur in Ausnahmefällen möglich. Zunächst müsste eine planwidrige Regelungslücke bestehen. Schon dies nimmt Di Fabio nicht zwingend an. Wenn doch, müssten für eine Analogie zudem die bestehenden Interessenlagen bei einem Kontrahierungszwang nach § 17 Abs. 4 ApBetrO und einem  Kontrahierungszwang bei Vorliegen einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG auf Erwerb einer letalen Dosis eines Betäubungsmittels vergleichbar sein. Di Fabio verweist auf das Berufsethos der Apotheker: Dieses verpflichte ihn zum Schutz der Gesundheit und nicht zum Schutz der Selbstbestimmung eines Suizidwilligen. Deshalb und wegen der grundgesetzlich geschützten Gewissensfreiheit sowie – dann doch! – der Gefahr einer möglichen Strafbarkeit nach § 217 StGB könne der Apotheker nicht rechtlich dazu verpflichtet werden, eine tödliche Dosis eines Betäubungsmittels herauszugeben.

Und nun?

Letztlich rät Di Fabio dem zuständigen Bundesgesundheitsminister einen „Nichtanwendungserlass“ herbeizuführen, bis der Gesetzgeber für eine Klarstellung zu dem Themenkomplex gesorgt hat. Damit würde die Bindungswirkung dieses höchstrichterlichen Urteils für das BfArM entfallen. Minister Gröhe hat den Bundestag laut FAZ bereits aufgefordert, Klarheit bei der Hilfe zur Selbsttötung zu schaffen. Möglich ist laut Di Fabio auch, dass die Bundesregierung  beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Normbestätigung stellt, weil er meint, das Bundesverwaltungsgericht habe die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschritten.

Das BfArM erklärte, es prüfe das Gutachten nun mit Blick auf sein künftiges Verfahren.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Unüberlegt

von Stefan Schritt am 17.01.2018 um 15:32 Uhr

Die gradezu krankhafte Suizidphobie unserer Gesellschaft führt letztlich zu dem Schluss, daß der beste Weg einem unwürdigen Leiden zuvorzukommen nach wie vor der präventive Schienensuizid zu Zeiten noch akzeptabler Gesundheit ist und bleibt.

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