Juristisches Gutachten

Apotheker müssen nicht beim Suizid helfen

Berlin - 16.01.2018, 17:05 Uhr

In der Schweiz ist Pentobarital-Natrium erhältlich. Was wäre, wenn ein Suizid-Williger mit einer BfArM-Ausnahmegenehmigung in die Apotheke käme? (Foto: Picture Alliance)

In der Schweiz ist Pentobarital-Natrium erhältlich. Was wäre, wenn ein Suizid-Williger mit einer BfArM-Ausnahmegenehmigung in die Apotheke käme? (Foto: Picture Alliance)


Mögliche (strafrechtliche) Konsequenzen für Apotheker?

In dem Teil des Gutachtens, das sich mit der Bindung des BfArM an das Urteil befasst, geht Di Fabio auch auf eine mögliche Strafbarkeit von BfArM-Mitarbeitern und Apotheken ein, sollte das Urteil in der Praxis beachtet werden. Seit Dezember 2015 ist nämlich nach § 217 Strafgesetzbuch (StGB) die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ strafbar. Diese Norm ist laut Di Fabio selbst verfassungsrechtlich umstritten. Nach seiner Auffassung müssen Apotheker sie jedoch nicht fürchten, käme tatsächlich ein Patient mit einer BfArM-Ausnahmeerlaubnis für das tödliche Arzneimittel. Er hält eine Strafbarkeit für nicht vertretbar  – wenngleich er einräumt, dass abweichende Interpretationen der noch recht jungen Norm „auch nicht definitiv ausgeschlossen“ werden können. Er verweist darauf, dass der Gesetzgeber hier bewusst die „geschäftsmäßige“ und nicht die „gewerbsmäßige“ Förderung unter Strafe gestellt habe. Geschäftsmäßigkeit setze voraus, dass der Handelnde die Absicht hat, die tatbestandliche Handlung in gleicher Art zu wiederholen und sie zu einem  wiederkehrenden Bestandteil  seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Betätigung zu machen. Das sieht er bei Apothekern nicht, wenn es um einen Extremfall im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts geht. Sie würden wohl eher nicht wiederholt nach einer letalen Dosis nachgefragt.

Kontrahierungszwang nach ApBetrO?

Di Fabio prüft aber noch weitere Konsequenzen für Apotheker: Besteht für sie vielleicht in Kontrahierungszwang und sie dürfen eine Abgabe einer letalen BtM-Dosis nicht verweigern? § 17 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung  (ApBetrO) normiert einen solchen Zwang bei Vorliegen einer ärztliche Verschreibung. Doch eine Verschreibung liege bei einer Ausnahmegenehmigung des BfArM (nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) gar nicht vor, sodass eine direkte Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht komme. Sehr ausführlich geht der Verfassungsrechtler dann auf die Frage ein, ob eine analoge Anwendung für die hier einschlägige Fallkonstellation in Betracht kommt – die Norm also anzuwenden ist, obwohl sie nicht richtig passt. Das ist nur in Ausnahmefällen möglich. Zunächst müsste eine planwidrige Regelungslücke bestehen. Schon dies nimmt Di Fabio nicht zwingend an. Wenn doch, müssten für eine Analogie zudem die bestehenden Interessenlagen bei einem Kontrahierungszwang nach § 17 Abs. 4 ApBetrO und einem  Kontrahierungszwang bei Vorliegen einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG auf Erwerb einer letalen Dosis eines Betäubungsmittels vergleichbar sein. Di Fabio verweist auf das Berufsethos der Apotheker: Dieses verpflichte ihn zum Schutz der Gesundheit und nicht zum Schutz der Selbstbestimmung eines Suizidwilligen. Deshalb und wegen der grundgesetzlich geschützten Gewissensfreiheit sowie – dann doch! – der Gefahr einer möglichen Strafbarkeit nach § 217 StGB könne der Apotheker nicht rechtlich dazu verpflichtet werden, eine tödliche Dosis eines Betäubungsmittels herauszugeben.

Und nun?

Letztlich rät Di Fabio dem zuständigen Bundesgesundheitsminister einen „Nichtanwendungserlass“ herbeizuführen, bis der Gesetzgeber für eine Klarstellung zu dem Themenkomplex gesorgt hat. Damit würde die Bindungswirkung dieses höchstrichterlichen Urteils für das BfArM entfallen. Minister Gröhe hat den Bundestag laut FAZ bereits aufgefordert, Klarheit bei der Hilfe zur Selbsttötung zu schaffen. Möglich ist laut Di Fabio auch, dass die Bundesregierung  beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Normbestätigung stellt, weil er meint, das Bundesverwaltungsgericht habe die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschritten.

Das BfArM erklärte, es prüfe das Gutachten nun mit Blick auf sein künftiges Verfahren.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Unüberlegt

von Stefan Schritt am 17.01.2018 um 15:32 Uhr

Die gradezu krankhafte Suizidphobie unserer Gesellschaft führt letztlich zu dem Schluss, daß der beste Weg einem unwürdigen Leiden zuvorzukommen nach wie vor der präventive Schienensuizid zu Zeiten noch akzeptabler Gesundheit ist und bleibt.

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