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„hart aber fair“
Gibt es bei Grippeimpfstoffen eine Zwei-Klassen-Medizin?
Unter anderem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der Pharmazeut Gerd Glaeske waren am gestrigen Montag zu Gast bei „hart aber fair“. Das Diskussionsthema: die Zwei-Klassen-Medizin. Gibt es eine Zwei-Klassen-Medizin auch bei der Grippeimpfung? Der sonst so kritische Professor Gerd Glaeske sieht das nicht so. Auch DAZ.online ist dieser Frage nachgegangen.
„hart aber fair“-Moderator Frank Plasberg trifft mit den Themen Ärztemangel und Terminen bei Fachärzten bei dem CDU-Mann Jens Spahn voll ins Schwarze: Denn insbesondere die flächendeckende ärztliche Versorgung, inklusive langer Wartezeiten der Patienten auf Sprechstundentermine, gehören zu den drei großen Themen des neuen Ministers, die er sich für die kommenden Jahre als Gesundheitsminister vorgenommen hat. Dies erklärte Spahn in der vergangenen Woche bei der Amtsübergabe durch Ex-Minister Hermann Gröhe.
Stein des Anstoßes im deutschen Gesundheitssystem: Die Versicherten fühlen sich ungleich behandelt, gesetzlich versicherte Patienten monieren immer wieder eine schlechtere medizinische Versorgung. Auch bei Arzneimitteln. Aufwind hat dieser Vorwurf während des ganzen Winters durch die Grippeimpfung bekommen. Patientenverbände gehen auf die Barrikaden. Ihre Beschwerde: GKV-Patienten erhielten ausschließlich den schlechteren dreifachen Grippeimpfstoff, während privat Krankenversicherte mit der „besseren“ Vierfach-Influenzaimpfung geschützt würden. Besonders unglücklich in der aktuellen Grippesaison 2017/18: Vor dem hauptsächlich, zu 72 Prozent, kursierenden Stamm Influenza B Yamagata schützt direkt nur die tetravalente Grippevakzine.
In dieses Horn bläst auch Frank Plasberg: „Der Dreifach-Impfstoff hat nichts gebracht,“ konstatiert er. Und weiter: Die Krankenkassen hätten sich in der Versorgung ihrer Versicherten auf den dreifachen Grippeimpfstoff eingeschossen, Privatpatienten hingegen versorgten die Ärzte mit der wirksamen Vierfachen-Influenzaimpfung. Das findet Anette Dowideit, Investigativjournalistin mit den Spezialgebieten Gesundheits- und Pflegebranche besonders skandalös. Die These der für „Die Welt“ arbeitenden Journalistin lautet: „Gesetzlich Versicherte sterben eher an Grippe“, seien es doch alte Menschen und Geringverdiener, die sich eine private Krankenversicherung nicht leisten könnten, und denen somit der Vierfachimpfstoff vorenthalten werde. Junge, gesunde und privatversicherte Menschen hingegen zählten nicht zum Risikokollektiv für schwere Influenzaerkrankungen, so Dowideit.
Grippewelle auf Rekordhoch
In der Tat kämpft die Bundesrepublik seit Wochen mit einer schweren Grippewelle, und noch ist nicht überstanden. Die Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) am Robert-Koch-Institut (RKI) meldet aktuell 46.382 Neuinfektionen für die zehnte Kalenderwoche. Zum Vergleich: In der letzten Grippesaison 2016/17 lagen für den gleichen Zeitraum „nur“ 3623 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle vor.
Doch: Dass die Dreifach-Grippeimpfung vollständig versagt hat, so wie es in der gestrigen TV-Sendung suggeriert wurde, ist so nicht korrekt. Die Grippeexperten des RKI können Bedenken, nach denen der primär verabreichte Dreifach-Grippeimpfstoff die dominierenden B-Yamagata-Viren nicht „erwischt“, zumindest etwas zerstreuen. Aufgrund einer Kreuzimmunität biete auch die im dreifachen Impfstoff enthaltene B-Komponente einen gewissen Schutz vor der Yamagata-Linie. Zusätzlich könnten „Wiederholungstäter" bei der Influenza-Impfung belohnt werden.
Frühere Impfungen könnten sich außerdem im Nachhinein noch einmal auf den aktuellen Grippeschutz positiv auswirken. Selbst wenn der Patient die Impfkomponente gegen den hauptsächlich zirkulierenden Yamagata-Stamm in dieser Saison nicht erhalten hat. Warum? Die B-Yamagata-Linie im Dreifachimpfstoff war bereits in den Impfstoffen früherer Grippesaisons enthalten. Auch hier besteht laut RKI zumindest rein „theoretisch" die Möglichkeit, „dass Menschen, die sich damals haben impfen lassen, noch zu einem gewissen Teil immun sind“. Dies scheint sich zum Teil zu bewahrheiten: Die Wirksamkeit der Grippeimpfung liegt nach vorläufigen Daten bei 46 Prozent.
Grippeschutzimpfung kein Beispiel für Zwei-Klassen-Medizin
Wahrscheinlich auch deswegen kommt auch Gerd Glaeske zu dem Schluss, dass die Grippeschutzimpfung „kein gutes Beispiel für die Zwei-Klassen Medizin“ sei. Und: „Die Grippeimpfung ist deswegen so ein schwieriges Beispiel, weil der Nutzen der Grippeimpfung per se relativ schlecht ist – und sich weniger als 50 Prozent impfen lassen“.
Aber stimmt das auch? Die Impfraten bei der Grippeschutzimpfung sind in der Tat nicht gut. Anstelle der von der WHO angestrebten und von einer Empfehlung des Europäischen Rats aufgegriffenen 75 Prozent Durchimpfung bei älteren Menschen (bis 2010!), liegt die Impfquote bei den Bundesbürgern gerade einmal bei 34,8 Prozent (aktuellste Daten: Influenzasaison 2016/17). Umso unverständlicher ist es, dass sich so viele Menschen über die Grippeimpfung aufregen. Denn wenn man sich gar nicht impfen lässt, wirkt weder die dreifache noch die vierfache Influenzaimpfung.
GKV setzt hohe Maßstäbe an Wirksamkeit von Arzneimitteln
Dass GKV-Patienten schlechter medizinisch versorgt sind, bestreitet auch Dr. Andreas Gassen vehement. Gassen ist Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Rheumatologie und Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). „Wir legen bei gesetzlich Versicherten besonders hohe Maßstäbe an die Wirksamkeit von Arzneimitteln.“ Was Gassen meint: Bevor ein Arzneimittel oder eine Behandlung erstattungsfähig für die Krankenkassen wird und somit in die GKV-Versorgung einfließen kann, bedarf es eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Doch die Diskussion rund um den Dreichfach- und Vierfachimpfstoff bei Influenza dürfte ohnehin bald ausgestanden sein. Mittlerweile hat die STIKO sich explizit für eine Vierfach-Grippe als Standard-Impfung ausgesprochen. Glaeske ist überzeugt: „Der G-BA wird alles darin setzten, dass dieser künftig auch für Kassenpatienten bezahlt wird“.
Ohnehin findet Glaeske Privatpatient zu sein, sei nicht zwingend ein Vorteil: „Privatpatienten sind Testpatienten für GKV-Patienten, Sie erinnern sich an Vioxx?“, fragt er in die Runde. Zur Erklärung: Damals dachten die Ärzte, sie täten ihren Patienten mit dem selektiven COX-2-Hemmer etwas Gutes. Verordnet hatten sie es laut Glaeske aufgrund des hohen Arzneimittelpreises vor allem Privatpatienten. 2004 wurde Rofecoxib wegen einer erhöhten Rate an Schlaganfällen und Myokardinfarkten wieder vom Markt genommen.
Und der Minister? Jens Spahn entzog sich zumindest bei den Grippeimpfstoffen der Debatte.
2 Kommentare
Glaeske
von Alexander Zeitler am 21.03.2018 um 1:23 Uhr
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Immer wieder der sog. Experte Glaeske
von Ratatosk am 20.03.2018 um 18:59 Uhr
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