Frankreich

Rechnungshof will mehr als 10.000 Apotheken schließen

Remagen - 03.04.2018, 07:00 Uhr

Bald ein häufiges Bild? Der französische Rechnungshof will den Apothekenmarkt mit Absicht kaput sparen. (Foto: Imago)

Bald ein häufiges Bild? Der französische Rechnungshof will den Apothekenmarkt mit Absicht kaput sparen. (Foto: Imago)


Der französische Rechnungshof hat in einem Bericht zum Sozialsystem empfohlen, dass aus Kostengründen rein mathematisch 10.435 der rund 22.000 bestehenden Apotheken verschwinden müssten. Um das zu erreichen, sollen sich Apotheker unter anderem nur noch auf Rx-Medikamente konzentrieren. Die Apothekergewerkschaft Frankreichs (FSPF) hat nun eine große Aufklärungskampagne gestartet. „Eine Apotheke von zwei wird sterben“, lautet die Ansage an Patienten und Verbraucher.

Im seinem Bericht zur sozialen Sicherheit, der Ende September 2017 vorgelegt wurde, fordert der französische Rechnungshof (Cours des Comptes) vehement Einsparungen bei den Distributionskosten für Arzneimittel. Im Visier hat er dabei vornehmlich die 22.000 Apotheken des Landes. Zum ersten Mal hat der Rechnungshof in dem jährlichen Bericht eine Schätzung der Gesamtkosten der Arzneimitteldistribution zu Lasten der Krankenversicherung im ambulanten Sektor vorgenommen. Hiernach sollen die Ausgaben im Jahr 2015 fast 8,3 Milliarden Euro erreicht haben, wovon 7,4 Milliarden auf die Vergütungen der Apotheken entfielen.

Die meisten verzeichneten eine wachsende Profitabilität, ist in dem Bericht nachzulesen. So sollen die Brutto-Überschüsse der öffentlichen Apotheken zwischen 2009 und 2015 von durchschnittlich 8 auf 8,8 Prozent des Umsatzes angestiegen sein. Trotz der rückläufigen Ausgaben für erstattungsfähige Medikamente (-7,1 Prozent zwischen 2011 und 2015) soll das Gesamthonorar von 5,4 Milliarden Euro im Jahr 2015 in absoluten Zahlen seit 2007 nahezu stabil geblieben sein.

Jenseits ihrer geregelten Vergütungen profitierten die Apotheken von Vergünstigungen durch Pharma-Unternehmen und Großhändler, die der Rechnungshof auf weitere 2 Milliarden Euro schätzt. Eine wichtige Rolle spiele hierbei die Abgabe von Generika, für die die Apotheken nicht nur dieselben Margen wie für das jeweilige Originalpräparat kassierten, sondern auch Rabatte etwa über den Direktverkauf der Firmen.

Alles über das französische Apothekensystem

Überdimensioniertes Apothekennetz

Der stark regulierte Sektor zeichne sich durch ein „überdimensioniertes Netz“ von öffentlichen Apotheken aus, wird weiter moniert. Nach den demographischen und geographischen Kriterien für die Verteilung sei die Anzahl der Apotheken fast doppelt so hoch, wie die gesetzlichen Obergrenzen für die Bedarfsplanung dies zulassen würde, hat der Rechnungshof ermittelt. Konkret seien es rund 10.400 Offizinen zu viel, die sich vor allem in den großen Metropolregionen befinden. Bei dem derzeitigen Tempo der beabsichtigten Reduktion der Abgabestellen werde es wohl ein Jahrhundert dauern, um diese Überzahl abzubauen.

Erstaunliches Maßnahmenpaket

Dagegen schlägt der Rechnungshof nun unter anderem die folgenden drastischen Maßnahmen vor:

  • Eine Schrumpfung des Apothekennetzwerks durch Änderungen der Regeln für Neugründungen und der Besitzregeln. Anfang Januar 2018 wurde zwar bereits eine Verordnung zur „territorialen Vernetzung“ bekannt gemacht, die auf dem Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitssystems von Januar 2016 basiert. Sie enthält jedoch keine nennenswerten Neuregelungen, sondern überwiegend Klarstellungen, unter anderem zur Nachfolgegelungen, zur Zusammenlegung (regroupements) und zum Erlöschen von Erlaubnissen,
  • neue Distributionsformen, wie etwa den Übergang vom „Apothekenmonopol“ zu einem „Apothekermonopol“, das heißt de facto die Erlaubnis des Fremdbesitzes,
  • Unterstützung für eine begrenzte Zahl von Apotheken (400 bis 500), die für die Versorgungssicherheit in einigen ländlichen und stadtnahen Gebieten strategisch wichtig sind. Sie befinden sich zu 98 Prozent in Gemeinden mit weniger als 2.500 Einwohnern,
  • Beschränkung des Apothekenmonopols auf verschreibungspflichtige Medikamente,
  • Lockerung der Regeln für den Vertrieb rezeptpflichtiger Arzneimittel über das Internet.

„Das soll man mal einem älteren Menschen erklären“

„Der Hof rechnet, die Franzosen leiden", hatte die Apothekergewerkschaft als erste Reaktion auf den Bericht gewettert. Man sei ja seit Jahren an die Anwürfe des Rechnungshofes gewöhnt, aber dieses Jahr hätten die „Weisen“ die Grenzen überschritten. Also ob es nicht genug wäre, das Verschwinden von rund 10.400 Apotheken vorzuschlagen, empfehle die Institution doch tatschlich noch weitere Einschnitte, wie etwa die Öffnung des Apothekenbesitzes für Nicht-Apotheker.

Mehr als 10.000 Apotheken zu schließen und dafür einige Hundert zu subventionieren, das solle man mal einem älteren Menschen erklären, der zusehen müsse, wie seine Vor-Ort-Apotheke geschlossen und er statt dessen an eine weit entfernte Apotheke verwiesen werde. „Sie wissen es, ich weiß es, die Franzosen wissen es: das ist großer Unsinn“, schreibt der Präsident des Gewerkschaftsbundes Pharma Philippe Gaertner.

Große Aufklärungskampagne gestartet

Nun hat der FSPF noch einmal nachgelegt, und zwar mit einer breiten Kampagne. Sie soll die Franzosen für eine Situation zu sensibilisieren, die Wirklichkeit werden könnte: das Verschwinden ihrer Vor-Ort-Apotheke. „Es ist die Gesundheit der Franzosen, die auf dem Spiel steht“, warnt die FSPF. Die Apotheker werden dazu angehalten, in ihren Verkaufsräumen Plakate aufhängen. Zwei Modell-Poster stehen zur Verfügung: eines für Großstädte wie Paris, Lyon oder Marseille, auf dem das grüne Apothekenkreuz in Auflösung begriffen ist. Die zweite Version für alle anderen Städte zeigt eine Straße mit einem Schild, dass auf die nächstgelegene Apotheke verweist und das Konzept der Wüstenbildung symbolisieren soll:

(Bild: FSPF)

Übersetzt heißt es dort in der Aufschrift: „In Frankreich wird eine von zwei Apotheken verschwinden! Können Sie sich das vorstellen? ...Wir nicht! Ihre Gesundheit verdient die Nähe eines Angehörigen der Gesundheitsberufe 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche."

In einem anderen Bild heißt es in der Aufschrift: „In Frankreich wird eine von zwei Apotheken sterben! Straßenschild: Nächste Apotheke in 61 km. Können Sie sich sechs Apotheken in Lozère vorstellen? ...Wir nicht! Ihre Gesundheit verdient die Nähe eines Angehörigen der Gesundheitsberufe 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche.“

In 19 Departements könnten nach den Berechnungen der FSPF weniger als 28 Apotheken bestehen bleiben, darunter die Departements Korsika, Hochalpen, Jura, die Hochpyrenäen und die Ardennen. Um die Situation vor Ort individuell abzubilden, soll das Plakat mit dem Straßenschild zahlenmäßig jeweils für die Departements angepasst werden können. Die Kampagne wird auch über die sozialen Netzwerke Facebook, Twitter mit dem Hashtag #1pharmaciesur2vamourir und über eine Web-Site www.1pharmaciesur2vamourir.fr lanciert. Hier können sich die Bürger informieren, wie viele Apotheken nach den anvisierten Einschnitten in ihrem Departement übrig bleiben könnten. Neben der Plakat-Kampagne sollen alle Bürgermeister von Frankreich mobilisiert werden, um ihren politischen Einfluss einzubringen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Das Gleiche wie in Deutschland nur ehrlicher

von Armin Heller am 25.04.2018 um 10:15 Uhr

Natürlich ist dies ein massiver Affront gegen die französische Apothekerschaft. Aber besser eine solche offene Kampfansage, als dieses in Deutschland seit Jahrzehnten betriebene bigotte und menschenverachtende Aushungern der Apotheken. Die Halbierung der Apothekenzahl in Deutschland wurde bekanntermaßen schon vor Jahren auf den Regierungsfluren beschlossen. Aber anstatt den Inhabern - allesamt vollhaftende Einzelkaufleute -.eine klare Ansage zu machen und Ihnen die Möglichkeit zu geben, gemeinsam mit Kollegen - ggf. auch Mitbewerbern - eine Roadmap zu entwickeln, dieses Ziel ohne Privatinsolvenz zu erreichen, wird ein langsamer Todeskampf -jeder gegen jeden- provoziert an dessen Ende es nur Verlierer gibt. Hier werden sehenden Auges hunderte Familien achselzuckend ins Elend gestürzt. Das ist in höchstem Maße widerwärtig. Ich kann daher das offene Vorgehen der französischen Regierung nur begrüßen und würde mir von der deutschen auch wünschen, dass man dort die Eier hätte, mit den Apothekern Klartext zu reden und ihnen Zeit und Gelegenheit zu geben, den persönlichen finanziellen Ruin abzuwenden. Stattdessen macht man sich Sorgen, ob es bei einem Verbot des Rx-Versands zu einer Staatshaftung gegenüber dem ausländischen Großkapital hinter den Versendern käme. Das ist mit Verlaub einfach nur pervers.

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Schicksal Französischer Apotheker?

von Heiko Barz am 03.04.2018 um 11:44 Uhr

Hirnloses Zertreten freiberuflicher Grundsätze.
Wir nähern uns in der EU langsam kommunistischen Idealen. Wann merken diese sogenannten Entscheider, dass ein defektes Rädchen jede Uhr zum stehen bringt. Offensichtlich sollen sozialistische Strukturen - hier bei der Gesundheit - eingezogen werden, dabei hofft man auf kapitalistische Geldströme. Wer glaubt, den Königsweg gefunden zu haben, indem er auf Hedgefonds und andere Kapitalismen setzt, der sollte sich Goethes "Faust" nochmal in Erinnerung rufen: Mephistos gibt es in der Wirtschaft allerorten!
Es ist immer publizistisch wirksam "den Apotheker" an den Pranger zu stellen, der ist ja auch überall mit seinem Gewerk deutlich im Straßenbild sichtbar. Verweigert wird aber, und dabei wird auch gerne die nötige Transparenz unterschlagen, das Mißverhältnis der geldwerten Anteile der Apotheken an den Gesamtkosten der Gesundheit zumindest in Deutschland.

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