Erreger mit dringendem Forschungsbedarf

Ebola, Zika und jetzt Nipah?

Stuttgart - 22.05.2018, 14:30 Uhr

Über Flughunde und Früchte soll sich das Nipahvirus in Indien ausbreiten. (Foto: wideeyes / stock.adobe.com)

Über Flughunde und Früchte soll sich das Nipahvirus in Indien ausbreiten. (Foto: wideeyes / stock.adobe.com)


In Indien sind mindestens zwei Brüder an einer Nipahvirus-Infektion gestorben. Das meldete die Nachrichtenagentur dpa am vergangenen Wochenende. Vier weitere Todesfälle würden derzeit noch untersucht, darunter der Tod einer Krankenschwester, die die Brüder behandelt hatte. Es gibt weder eine Impfung, noch eine wirkungsvolle Behandlung gegen eine Nipahvirus-Infektion. DAZ.online hat recherchiert, was man bislang über das Nipahvirus weiß.

Nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört das Nipahvirus zu den Erregern, die am dringendsten erforscht werden müssen: Zusammen beispielsweise mit Ebola und Zika, sei bei diesen Erregern die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass sie in naher Zukunft schwere Krankheitsausbrüche verursachen. 

Im November 2003 erschien in Deutschland das Themenheft 18 des RKI (Robert Koch Institut) mit dem Titel: „Neu und vermehrt auftretende Infektionskrankheiten“. Anlass für das Themenheft war unter anderem, dass seit einigen Jahrzehnten übertragbare Krankheiten auch in Industrieländern wieder eine größere Rolle spielen. Das ist beispielsweise auf die Resistenzentwicklung gegen Antibiotika zurückzuführen, aber auch auf Faktoren wie die Globalisierung. Dabei erlangen nicht nur bereits bekannte Erreger wieder neue Bedeutung, sondern auch neuartige Erreger und Krankheitsbilder werden wichtig, auch wenn sie häufig erst mit zeitlicher Verzögerung in den Industrieländern auftreten. So wird auch das Nipahvirus im Themenheft von 2003 erwähnt. Man findet es in einer Liste mit seit 1972 indentifizierten Erregern wieder, die beispielsweise auch das Ebolavirus aufführt (1977). 

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Erstmals nachgewiesen wurde das Nipah-Virus 1998 in Malaysia. Im Epidemiologischen Bulletin 21 aus dem Jahr 1999 lautete auch in Deutschland ein Thema „Nipah Virus: Neuer Infektionserreger verdient Aufmerksamkeit“. Im entsprechenden Artikel wurde geschildert, dass das Gesundheitsministerium des südostasiatischen Staates Malaysia im April und Mai 1999 über 258 Erkrankungsfälle von febriler Enzephalitis berichtet hatte. Die Infektionen hatten in 100 Fällen einen tödlichen Ausgang. 

Die Erkrankungen wurden durch Fieber (drei bis 14 Tage), Kopfschmerzen, Somnolenz und Orientierungslosigkeit bis hin zum Koma charakterisiert. Die meisten Betroffenen hatten auf Schweinefarmen gearbeitet. In einigen Fällen sollen etwa ein bis zwei Wochen vor Erkrankungsbeginn bei den Arbeitern schon bei den Schweinen Krankheitssymptome beobachtet worden sein (verstärktes, schweres Atemgeräusch, unproduktiver Husten und neurologische Veränderungen). Um den Krankheitsausbruch zu stoppen, wurden mehr als eine Millionen Schweine getötet. Daher rührt schließlich auch der Name des Nipah-Virus: Sungai Nipah ist ein Dorf auf der Malaiischen Halbinsel, wo die Schweinefarmer an Enzephalitis erkrankten.

Über Erkrankungsfälle von Pflegepersonal oder Ärzten wurde damals noch nicht berichtet. Als beunruhigend bezeichnete man aber die Beobachtung, dass die sonst relativ artspezifischen und weitgehend respiratorisch übertragenen Paramyxoviren im Fall der Nipahvirus-Infektionen eine scheinbar hohe Pathogenität für verschiedene Säugetierarten aufwiesen. Heute schreibt die WHO, dass Nipah-Virus-Antikörper zeigen, dass sowohl Hunde, als auch Katzen, Ziegen und Pferde infiziert wurden, jedoch nur wenn sie Kontakt mit infizierten Schweinen gehabt hatten. Ihre Rolle bei der Übertragung auf den Menschen wurde nicht bestimmt.

Das Nipahvirus ...

ist der Familie der Paramyxoviridae zuzuordnen. Paramyxoviren sind eine große Gruppe von Viren, die sowohl humanpathogene (Parainfluenza-, RS-, Mumps- und Masern-Virus) als auch tierpathogene Erreger umfasst. Gemeinsam mit dem Hendravirus bildet das Nipahvirus die Gattung Henipavirus.

Weil die Verwandtschaft zum Hendravirus früh bekannt war, kam schnell der Verdacht auf, dass Fledermausarten als natürliches Reservoir dienen. Schließlich wurden Flughunde (Pteropus und andere Arten) als solches identifiziert.

Schon 1999 stellte man sich also auch in Deutschland so manche Frage zum Nipahvirus: Welches Risiko besteht bezüglich der Übertragung von Mensch zu Mensch? Wie groß ist die Kontagiosität des Virus? Wo befindet sich das natürliche Reservoir des Nipahvirus? Für Deutschland und Europa spielt das Gefahrenpotential des Nipahvirus wohl eine untergeordnete Rolle, in der Differential-Diagnositk müsse laut RKI-Bulletin von 1999 jedoch vor allem bei Risikopersonen an eine Nipahvirus-Infektion gedacht werden (Veterinäre, Metzger, Tierzüchter, Entwicklungshelfer, Abenteuertouristen aus Südostasien).

Was man über das Nipahvirus weiß

Heute wird davon ausgegangen, dass das Nipahvirus durch direkten Kontakt auf den Menschen übertragen wird – entweder über infizierte Flughunde, infizierte Schweine oder andere infizierte Menschen. Ein üblicher Übertragungsweg in Indien sei der Verzehr von rohem Dattelsaft, der mit Ausscheidungen von Flughunden kontaminiert wurde. Das Virus kommt in den Ausscheidungen, aber auch im Speichel der Flughunde vor. Symptome zeigen die Flughunde nicht. Unter Schweinen ist das Nipahvirus hochansteckend und wird durch Husten übertragen.

Nach Kontakt dauert die Inkubationszeit des Nipahvirus zwischen fünf bis 14 Tage. Die Krankheit äußert sich dann mit Fieber und Kopfschmerzen, gefolgt von Benommenheit und Verwirrtheit. Diese Symptome können innerhalb von 24 bis 28 Stunden bis zum Koma fortschreiten. Bei manchen Patienten sind im frühen Verlauf der Erkrankung die Atemwege betroffen. Zudem zeigten die Hälfte der Patienten, die schwere neurologische Symptome zeigen, auch pulomonale Symptome.

Als Langzeitfolgen wurden sowohl Krämpfe als auch Persönlichkeitsveränderungen bemerkt. Zudem wurde über latente Infektionen mit Reaktivierung des Nipahvirus berichtet – Monate und sogar Jahre nach Exposition. Die Behandlung kann nur symptomatisch erfolgen. Der Wirkstoff Ribavirin sei in vitro zwar wirksam gegen Nipah, der klinische Nutzen sei jedoch nicht bekannt. Eine passive Immunisierung in der Postexpositionstherapie wurde im Frettchenmodell untersucht.

Vor allem in Bangladesch und Indien ein Problem

Alle bekannten Nipahvirus-Ausbrüche sind in Südasien aufgetreten. Im aktuellen Fall aus Indien wurden die Blutproben von 64 Menschen, die mit den verstorbenen Brüdern Kontakt hatten, zur Untersuchung in ein Labor geschickt. Neun der Kontaktpersonen, sollen Symptome einer Nipah-Infektion gezeigt haben und auf Isolierstationen behandelt werden. Zwei der Erkrankten seien in kritischem Zustand.

Seit dem Ausbruch von 1999 wurden bis heute weder in Malaysia noch in Singapur neue Nipahvirus-Ausbrüche beobachtet. 2001 kam es jedoch zu einem Ausbruch in Bangladesch und in Siliguri (Indien), wo auch über Mensch-zu-Mensch-Übertragung im Krankenhaus berichtet wurde. Im Gegensatz zu Malaysia treten die Ausbrüche in Bangladesch fast jährlich auf.

Auch ein Dokument der WHO zeigt die geografische Häufung und das fast jährliche Auftreten des Nipahvirus in Bangladesch. (Screenshot)

Seit 1998 hat das Nipahvirus insgesamt 477 Menschen infiziert und 252 getötet. Die Sterberaten variieren zwischen 40 bis 70 Prozent, haben aber auch schon 100 Prozent betragen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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