AmTS-Studie im Pflegeheim

Medikationsanalyse: Sind Offizinapotheker so gut wie klinische Pharmazeuten?

Stuttgart - 28.02.2019, 09:00 Uhr

Gerade in der Geriatrie und im Pflegeheim können sich Medikationsanalysen durch Apotheken als nützlich erweisen. ( r / Foto: Ingo Bartussek / stock.adobe.com)

Gerade in der Geriatrie und im Pflegeheim können sich Medikationsanalysen durch Apotheken als nützlich erweisen. ( r / Foto: Ingo Bartussek / stock.adobe.com)


Dass Medikationsanalysen in Alten- und Pflegeheimen sinnvoll sind, wird kaum jemand anzweifeln. Doch wie lässt sich eine solche Medikationsanalyse am besten meistern? Braucht es dafür klinische Pharmazeuten oder führen Medikationsanalysen durch Offizinapotheker zu genauso guten Ergebnissen? Im Februar 2019 hat die Universität Bonn eine Studie veröffentlicht, die sich dieser Fragestellung widmet. Diese zeigt auch, wie viel Arbeit Medikationsanalysen für Apotheken bedeuten.

Was können Offizinapotheker für die Arzneimitteltherapiesicherheit im Altenheimen leisten? Dies dokumentiert eine Studie, die durch die AOK Rheinland/Hamburg und den Apothekerverband Nordrhein e.V. finanziert wurde. Im Rahmen dieses Projekts haben 12 vor-Ort-Apotheken zwischen 2014 und 2016 Medikationsanalysen für 94 geriatrische Langzeitbewohner von Pflegeheimen erstellt. An der Entwicklung der  Studie waren beteiligt: Christina Pehe (AOK Rheinland/Hamburg, Sammlung und Pseudonomisierung der Patientendaten), Kerstin Bitter und Ulrich Jaehde (Institut für Klinische Pharmazie, Universität Bonn, Analyse und Interpretation der Daten, Niederschrift der Publikation), Manfred Krüger (Linner Apotheke, Rheinbabenstraße 170, 47809 Krefeld, Überarbeitung des Manuskripts), Gabriela Heuer und Regine Quinke (Apothekeverband Nordrhein).

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Die Studie setzt voraus, dass der Nutzen von Medikationsanalysen bei geriatrischen Langzeitbewohnern von Pflegeheimen im Gesundheitssystem allgemein anerkannt ist. Viele Studien hätten die Auswirkungen von umfassenden Medikationsanalysen durch spezialisierte klinische Pharmazeuten gezeigt. Dagegen sei jedoch wenig über Medikationsanalysen bekannt, die durch Offizinapotheker durchgeführt werden. Bislang werden die Kosten für Medikationsanalysen durch Krankenkassen in Deutschland nicht übernommen (außer in Studien und Pilotprojekten). Apotheker möchten aber natürlich für ihre Medikationsanalysen vergütet werden. Damit dies irgendwann Realität werden kann, braucht es Studien wie diese, die gegenüber den Kostenträgern belegen, dass sich Medikationsanalysen auch mit Offizinapothekern lohnen. 

Insbesondere bei geriatrischen Patienten ist zu erwarten, dass sie im hohen Maße von Medikationsanalysen profitieren. So wurden in die neue Studie Langzeitbewohner von Pflegeheimen eingeschlossen, die mindestens 65 Jahre alt waren (Durchschnittsalter 84 Jahre) und fünf oder mehr Arzneimittel pro Tag einnehmen mussten (im Schnitt waren es 13 Arzneimittel, inklusive Selbstmedikation). Die Offizinapotheker untersuchten die Patienten auf arzneimittelbezogene Probleme (drug-related problems, DRPs) im Rahmen einer Medikationsanalyse. (Unter einer Medikationsanalyse verstehen die Studienautoren eine strukturierte Evaluation der Medikation eines Patienten, indem DRPs entdeckt und Interventionen empfohlen werden.) Außerdem wurde auch ausgewertet, inwiefern pharmazeutische Empfehlungen in der Folge tatsächlich vom Arzt umgesetzt wurden. Um die Arbeit der Offizinapotheker zu überprüfen, führten parallel zwei erfahrene klinische Pharmazeuten die Medikationsanalysen durch. 

Grafik 4 aus der Studie „Pharmacist-led medication reviews for geriatric residents in German long-term care facilities“ zeigt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Beurteilung von arzneimittelbezogenen Problemen durch Offizinapotheker und klinische Pharmazeuten. (Screenshot)

Insgesamt wurden durch zwölf Apotheken bei 94 Patienten 154 potenzielle DRPs dokumentiert. Am häufigsten waren dabei Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln (40 Prozent), gefolgt von (geriatrisch) potenziell unangebrachter Medikation (potentially inappropriate medication, PIM, 16 Prozent) und unangebrachten Dosierungen (14 Prozent). Die Beurteilung durch die Offizinapotheker entsprach am meisten der durch die klinischen Experten, wenn es sich um potenziell schwerwiegende Arzneimittelwechselwirkungen und PIM (potentially inappropriate medication) handelte (88 und 73 Prozent). Allerdings wurden insgesamt nur 33 Prozent (11-88 Prozent, jede fünfte Intervention unbekannt) der Interventionen durch die Offizinapotheker – mit dem Ziel DRPs zu lösen – erfolgreich umgesetzt. Dabei handelte es sich vor allem um Dosisanpassungen.

Viel Potenzial (nach oben)? Klinische Relevanz?

Die Autoren folgern aus der Studie, dass das Wissen der Offizinapotheker über die Heimbewohner und ihre Beziehung zu den verschreibenden Ärzten für eine erfolgreiche Medikationsanalyse entscheidend ist. Insgesamt sei die Rate an DRPs (drug-related problems) und entsprechenden Interventionen in der vorliegenden Studie geringer als in anderen Studien gewesen, was dem engen Spektrum an nachweisbaren DRP-Kategorien mittels einer einfachen Medikationsanalyse geschuldet sei.

Dass die Umsetzung der pharmazeutischen Interventionen nur selten erfolgreich war, sei den Autoren zufolge einerseits überraschend gewesen - stützte sich die Studie doch auf bereits bestehende Beziehungen zwischen Arzt und Apotheker. Zudem hatten die Offizinapotheker in der Mehrheit ihr Verhältnis zum Arzt zuvor als positiv beschrieben (64 Prozent, 36 Prozent negativ). Auf der anderen Seite habe sich gezeigt, dass in den Apotheken innerhalb einer einfachen Medikationsanalyse oft wichtige Daten fehlen – wie weitere Patientendaten oder Laborwerte. So sei es schwierig, die klinische Relevanz der DRPs richtig zu beurteilen, was sich nicht positiv auf das interprofessionelle Verhältnis auswirken könnte.

Die Autoren vermuten, dass die Ärzte es als ärgerlich empfunden haben könnten, Empfehlungen für alternative Arzneimittel zu erhalten, die aber nicht zur Indikation des Patienten passten; oder Empfehlungen zu einem Therapie-Monitoring zu erhalten, das der Arzt bereits durchgeführt hat. Nur eine der Apotheken in der Studie habe mehr als die Hälfte ihrer Interventionen auch umsetzen können. Diese Apotheke habe gleichzeitig eine große Übereinstimmung mit der Bewertung durch die klinischen Experten gezeigt (78 Prozent). Außerdem kamen die Experten bei dieser Apotheke auch am seltensten zu dem Ergebnis, dass die dokumentierten DRPs von geringer klinischer Relevanz seien. 

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Was auch beachtet werden müsse, sei, dass die Offizinapotheker eventuell Zusatzinformationen über die Patienten und Verschreiber hatten, die den klinischen (Referenz-)Pharmazeuten fehlten. So könnten manche DRPs von den Offizinapothekern erst gar nicht dokumentiert worden sein, weil davon ausgegangen wurde, dass der Arzt entsprechende Empfehlungen gar nicht umgesetzt hätte. (Die Offizinapotheker dokumentierten 154 DRPs, die klinischen Pharmazeuten 235, 84 stimmten überein). Die Autoren schlagen vor, dass eine höhere Übereinstimmung der Empfehlungen der Offizinapotheker mit denen der klinischen Pharmazeuten durch weiteres Training erreicht werden könnte. So seien gerade die Ergebnisse bezüglich PIM (potentially inappropriate medication) in der Studie gut gewesen, wobei PIM eines der Hauptthemen in der Schulung für die Offizinapotheker, die an der Studie teilnahmen, darstellte. 

Hoher Arbeitsaufwand in der Offizinapotheke

Insgesamt haben sich die Ergebnisse zwischen den zwölf Apotheken stark unterschieden. Einen möglichen Grund dafür sehen die Autoren in den verschiedenen Arbeitsbelastungen zwischen den einzelnen Apotheken. Die Patienten wurden so in die Studie eingeschlossen, dass nicht alle Apotheken gleich viele Patienten zu betreuen hatten (drei bis 17 Medikationsanalysen). Manche Apotheken könnten die Medikationsanalysen deshalb unter Zeitdruck durchgeführt haben. Zwei von drei Apotheken, die die meisten Medikationsanalysen durchführten bestätigten auch, dass sie nicht noch mehr hätten durchführen können. Sieben Apotheken zogen sich sogar aus der Studie zurück, die Ursachen waren verschieden: Schließung, hoher Arbeitsaufwand oder Ende der Zusammenarbeit mit der Pflegeeinrichtung.

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Ein weiterer Grund für die großen Unterschiede in den Ergebnissen könnte außerdem die Kompetenz der einzelnen Apotheken sein: Nur eine Apotheke hatte angegeben, dass ihr das notwendige Wissen für Medikationsanalysen fehlt und tatsächlich zeigte diese Apotheke auch eine niedrige Übereinstimmung mit den klinischen Experten (16 Prozent). Gleichzeitig führte diese Apotheke auch die meisten Medikationsanalysen durch (18 Prozent von allen), sodass ihre Ergebnisse das Gesamtergebnis stark beeinflusst haben. Die Apotheke mit der höchsten Übereinstimmungsrate von 100 Prozent führte dagegen nur sechs Prozent der Medikationsanalysen durch.

Die Autoren meinen, dass sich die Ergebnisse insgesamt wahrscheinlich auch auf andere Offizinapotheker in Deutschland übertragen lassen. Jedoch könnten sich die Studienteilnehmer hinsichtlich ihrer Motivation vom durschnittlichen Offizinapotheker unterscheiden. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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