Multiresistente Erreger

Antibiotikaforschung in den Medien: Es könnte mehr sein!

Stuttgart - 13.09.2019, 15:45 Uhr

Laut NDR-Recherche ziehen sich immer mehr Pharmaunternehmen aus der Antibiotikaforschung zurück. Dass sich die Forschungslandschaft bei Antibiotika verändert hat, erklärt auch der vfa. (s / Foto: BillionPhotos.com /stock.adobe.com)

Laut NDR-Recherche ziehen sich immer mehr Pharmaunternehmen aus der Antibiotikaforschung zurück. Dass sich die Forschungslandschaft bei Antibiotika verändert hat, erklärt auch der vfa. (s / Foto: BillionPhotos.com /stock.adobe.com)


Die WHO zählt multiresistente Keime zu den zehn größten globalen gesundheitlichen Gefahren – dennoch ziehen sich mehr und mehr Pharmafirmen aus der Antibiotikaforschung zurück. Der Grund: Das Geschäftsfeld ist nicht profitabel. Das ist zumindest das Ergebnis von NDR-Recherchen. Die Tagesschau berichtete auch darüber. Zeitgleich bekräftigt der Pharmaverband vfa auf seiner Homepage, dass forschende Pharma-Unternehmen weltweit an neuen Antibiotika arbeiten.

„Eine Katastrophe mit Ansage“ – diese droht laut NDR, wenn sich Pharmaunternehmen trotz der zunehmenden Ausbreitung von multiresistenten Erregern aus der Antibiotikaforschung zurückziehen. Und genau dies geschieht nach den Ergebnissen einer Recherche des NDR in den letzten Jahren mehr und mehr. Die Tagesschau berichtete am gestrigen Donnerstag ebenfalls darüber.

Pharmaunternehmen: Rückzug aus Antibiotikaforschung

Nachdem sich zuletzt 2016 Astra Zeneca aus der Antibiotikaforschung zurückgezogen hatte, gefolgt 2018 von Novartis und Sanofi, bestätigte nun laut NDR-Recherche auch Johnson & Johnson, „der größte Gesundheitskonzern weltweit“, dass auch seine Pipeline mit neuen Antibiotika leer ist. 

Johnson & Johnson reiht sich nun, zumindest nach Angaben des NDR, in eine lange Liste von Arzneimittelforschern, die die Sparte „Neuentwicklung von Antibiotika“ mittlerweile hinter sich gelassen hat. Allerdings dementiert der Konzern dies: „Wir engagieren (...) uns weiterhin in der Forschung im Bereich multiresistenter Infektionen und gegen Antibiotikaresistenzen", erklärt Janssen, Teil des globalen Gesundheitsunternehmens Johnson & Johnson, in einer Mitteilung am heutigen Freitag. Hauptsächlich geht das Unternehmen in seiner Stellungnahme auf seine Forschung im Bereich Tuberkulose ein, man erforsche aber „auch neue Wege zum Schutz vor multiresistenten Krankheitserregern durch die Entwicklung neuartiger Impfstoffe". Ziel sei es, den Bedarf an Antibiotika durch Prävention deutlich zu reduzieren.

Laut NDR hatten bis in die 1990er-Jahre fast noch alle großen Pharmakonzerne Antibiotika entwickelt. Bayer, Bristol-Myers Squibb (BMS) und Eli Lilly zogen sich jedoch bereits vor mehr als zehn Jahren aus diesem Bereich zurück.

Heiße Luft

Wie auf der Homepage der Tagesschau zu lesen ist, hatten jedoch just die besagten Unternehmen Johnson & Johnson, Novartis, Sanofi und AstraZeneca mit zahlreichen weiteren Konzernen erst 2016 eine „Industrie-Allianz“ (AMR Industry Alliance) unterzeichnet, um sich dem Kampf gegen resistente Erreger zu stellen. Doch: „Die NDR -Recherchen zeigen, dass fast die Hälfte der Firmen, die unterzeichnet und damals zu Antibiotika geforscht haben, mittlerweile nicht mehr in dem Bereich aktiv ist“. Auch Pfizer und Allergan – ebenfalls Teil der AMR Industry Alliance – forschen wohl nicht mehr an neuen antibakteriellen Wirkstoffen.

Antibiotika: nicht profitabel

Das Problem ist, dass die Antibiotikaforschung auf die Struktur großer Pharmakonzerne angewiesen ist, denn kleine Unternehmen können die Entwicklungskosten nicht stemmen und diese, wie Großkonzerne, durch andere lukrative Präparate querfinanzieren. Die Tagesschau erklärt: „Die Entwicklung eines neuen Antibiotikums kostet mehrere Hundert Millionen Euro. Bei einer erfolgreichen Zulassung des Mittels kommen die Ausgaben für Herstellung, Vertrieb und Vermarktung hinzu. Kleine Unternehmen, die keine zusätzlichen Einnahmen etwa durch lukrative Arzneimittel aus anderen Bereichen haben, können diese Kosten in der Regel allein nicht stemmen. Auch deshalb ist es aus Sicht vieler internationaler Experten fatal, wenn sich die großen Konzerne zurückziehen.“

Neues Antibiotikum: Reserve!

Hinzu kommt: Selbst wenn ein innovativer antibiotischer Wirkstoff erfolgreich die Zulassung meistert, kommt dieser nicht breit zum Einsatz, sodass sich Entwicklungskosten rasch amortisieren würden. Er landet für schwere Infektionen mit multiresistenten Keimen auf der „Reservebank“. Das ist auch das Fazit der NDR-Journalisten. Antibiotika werden – ungleich Arzneimitteln bei chronischen Erkrankungen oder Tumortherapien – nur wenige Tage eingesetzt und neue Mittel nur im Notfall.

Weltweite Forschung bei Antibiotika

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) veröffentlichte noch am selben Tag ebenfalls einen Report zu Antibiotikaresistenzen und -forschung. Auch wenn der vfa erklärt, „viel mehr neue Antibiotika werden gebraucht“, malt er kein ganz schwarzes Bild von der antibiotischen Forschungslandschaft. So liest man: „Neue Antibiotika gegen Problemkeime werden dringend gebraucht. Forschende Pharma-Unternehmen arbeiten weltweit an solchen Medikamenten und bringen seit einigen Jahren auch wieder mehr davon auf den Markt.“ Gegenüber der Deutschen Presseagentur dpa äußerte sich vfa-Geschäftsführer Siegfried Throm, dass es dennoch insgesamt zu wenige Forschungsprojekte gibt und die Aktivitäten in diesem Bereich auf zu niedrigem Niveau stagnierten.

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Das Ärzteblatt zitiert den vfa, dass sich die Forschungslandschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe. So seien im 20. Jahrhundert insbesondere Großunternehmen darauf konzentriert gewesen, Antibiotika zu entwickeln, die gegen möglichst viele Bakterien wirkten. In den letzten Jahren hätten sich dagegen vermehrt kleine und mittlere Unternehmen – von rund 50 ist die Rede – mit der Entwicklung von Antibiotika beschäftigt, vor allem mit Problem­keimen. Doch auch große Pharmafirmen forschten noch an antibakteriell wirksamen Medikamenten, mit dabei sind laut vfa-Homepage Roche, MSD, Janssen (Johnson & Johnson), GSK.

Neue Antibiotika der letzten Jahre und die Pipeline

Der vfa gibt eine Übersicht darüber, was in den letzten Jahren an Antiinfektiva (gegen bakterielle Infektionen) auf den Markt kam sowie was in den nächsten Jahren zu erwarten ist. So wurden laut vfa seit 2012 insgesamt zwölf neue Antibiotika zugelassen: Ceftarolin (unter anderem gegen MRSA), Fidaxomicin (CD), Bedaquilin und Delamanid (Tbc), Telavancin (MRSA, Marktrücknahme aus wirtschaftlichen Gründen), Ceftobiprol (unter anderem gegen MRSA), Tedizolid (MRSA), Ceftolozan plus Tazobactam (multiresistente gramnegative Keime), Oritavancin (grampositive Bakterien, auch MRSA), Dalbavancin (MRSA), Ceftazidim plus Avibactam (gramnegative Bakterien mit bestimmten Betalactamase-Resistenzen oder mit Klebsiella pneumoniae-Carbapenemase inkl. Pseudomonas) und Bezlotoxumab. Mit Bezlotoxumab kam ein monoklonaler Antikörper heraus (CD), der zusätzlich zu einem Antibiotikum gegen den Darmkeim Clostridium difficile angewendet werden kann und dessen Toxin neutralisiert.

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In der Pipeline – EU zugelassen, jedoch noch nicht auf dem Markt – sind Eravacyclin und Meropenem plus Vaborbactam. Des weiteren hängen einige Wirkstoffe in der Zulassungsschleife bei der EMA: Delafloxacin, Imipenem plus Cilastatin plus Relabactam, Omadacyclin, Plazomicin, Cefiderocol, Lefamulin.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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