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„Apotheker ohne Grenzen“ in Buenos Aires
Apotheke sichert Arzneimittelversorgung der Ärmsten
Die pharmazeutische Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen e.V. (AoG) unterhält seit 2008 eine kleine Apotheke in einem Elendsviertel in Buenos Aires. Angeschlossen an ein ebenso kleines staatliches Gesundheitszentrum sichert das Team von AoG eine kontinuierliche und langfristige Arzneimittelversorgung von bis zu 30.000 Menschen. Projektkoordinatorin Dr. Carina Vetye berichtet DAZ.online von den Herausforderungen, Zielen und Ergebnissen des Projektes.
Im Jahre 2000 wurde die pharmazeutische Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen e.V. (AoG) mit Sitz in München gegründet. Seitdem engagiert sich AoG weltweit, finanziert durch Spenden und die Mitgliedsbeiträge der mehr als 2000 Mitglieder, sowohl kurzfristig in der Nothilfe im Katastrophenfall als auch längerfristig und nachhaltig in der Entwicklungszusammenarbeit in verschiedenen Projektländern.
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Apotheker ohne Grenzen (AoG)
Eines dieser Projektländer ist Argentinien. In dem südamerikanischen Land ist AoG seit 2002 tätig. Seit 2008 kooperiert die Hilfsorganisation mit einem Gesundheitszentrum in dem Elendsviertel Villa Zagala in Buenos Aires und hat dort eine kleine Apotheke eingerichtet. Projektkoordinatorin Dr. Carina Vetye berichtet DAZ.online von dem Hilfsprojekt – und den Schwierigkeiten der Gesundheitsversorgung ihrer Patienten.
Projektkoordination – Brücke zwischen den Kulturen wichtig
Carina Vetye ist bereits seit dem Jahre 2000 Mitglied bei Apotheker ohne Grenzen. Die argentinisch-deutsche Apothekerin erklärt, warum sie einen besonderen Zugang zu dem AoG-Hilfsprojekt in Villa Zagala hat. Ein Grund sei, dass sie von 2002 bis 2008 bereits ein ähnliches Hilfsprojekt in Buenos Aires geleitet habe, bevor sie dann ab 2008 die Koordination des Projektes in Villa Zagala übernommen habe. Dies habe ihre Glaubwürdigkeit gegenüber den Ärztinnen des Gesundheitszentrums und auch gegenüber den Bewohnern des Viertels erhöht. „Normalerweise hätten sie uns nicht geglaubt, weil in Argentinien immer sehr viel versprochen und dann nichts eingehalten wird. Aber ich kam aus dem Vorprojekt und die Ärztinnen kannten mich“, so Vetye.
Sehr wichtig sei auch ihre besondere Verbindung sowohl zur argentinischen als auch zur deutschen Kultur. „Ich kenne beide Kulturen – ein bisschen anders ist es in Argentinien schon als in Deutschland. Ich bin somit prädestiniert für ein Projekt, in dem man eine Brücke zwischen beiden Ländern herstellen muss“, erläutert sie. Insbesondere sei es wichtig, die Besonderheiten vor Ort zu kennen und die Reaktionen der Menschen interpretieren zu können. Anders gesagt, auch im übertragenen Sinne deren Sprache zu sprechen.
AoG-Apotheke versorgt 30.000 Menschen
Die Kooperation zwischen AoG und dem staatlichen Gesundheitszentrum in Villa Zagala besteht seit dem Jahr 2008. Seitdem leitet Vetye dieses Projekt. Die Apothekerin berichtet, dass es in Argentinien in Gesundheitszentren dieser Art üblicherweise nicht vorgesehen sei, pharmazeutisches Personal zu beschäftigen. Es gebe zwar eine lokale Arzneimittelausgabe, die könne aber den tatsächlichen Bedarf an Medikamenten nicht decken. Mit ihrem Team aus ehrenamtlichen Apothekerinnen baute Vetye eine kleine AoG-Apotheke in dem Zentrum auf, die die Bereitstellung von Arzneimitteln mit der lokalen Ausgabestelle koordiniert und professionalisiert.
Bis zu 30.000 Menschen leben im Einzugsbereich des kleinen Gesundheitszentrums, das – bis auf die Medikamente der AoG-Apotheke – überwiegend vom Staat finanziert wird. Klein ist auch das Stichwort. Vetye beschreibt die Bedingungen, unter denen im Zentrum gearbeitet wird: „Das Ganze kann man sich als ein Sechszimmer-Appartement vorstellen, mit kleinen Behandlungszimmern, die kleiner als zehn Quadratmeter sind.“ Weiterhin gebe es einen Miniwartebereich und eine klitzekleine Zahnarztpraxis. Die Apotheke sei auf knapp 14 Quadratmetern beschränkt. 2008 habe es nicht einmal Türen zu den Behandlungsräumchen gegeben, nur Vorhänge. Inzwischen seien Türen eingebaut. Im Gegenzug zu einigen Infrastrukturverbesserungen sei ihnen der Platz für die Apotheke zur Verfügung gestellt worden, so Vetye.
Schwerpunkt – Versorgung chronisch Kranker
Die AoG-Apotheke hat den Schwerpunkt in der Versorgung chronisch Kranker gelegt. Der Grund liege in der Tatsache, dass in diesem Bereich die Bereitstellung mit Arzneimitteln durch die lokale Arzneimittelvergabe besonders schlecht laufe. Der Staat schaffe es nur, ungefähr ein Drittel der tatsächlich benötigten Medikamente für chronische Krankheiten bereitzustellen. Zudem handele es sich um Standardlieferungen ohne wirklichen Bezug zum Bedarf.
„Arzneimittelmangel ist in Argentinien ein langfristiges Problem, mit dem man sich „arrangiert“ hat“, erläutert die Apothekerin. Bisher hätten sich die Ärztinnen – in dem Gesundheitszentrum arbeiten nur Frauen – unter anderem mit Medikamentenmustern und den unzureichenden staatlichen Arzneimittelabgaben über Wasser gehalten. Das sei insbesondere bei Chronikern ein Problem. Wie können unter diesen Bedingungen Krankheiten wie Bluthochdruck erfolgreich eingestellt und eine Therapietreue erreicht werden, stellt Vetye als Frage in den Raum. Die AoG-Apotheke habe inzwischen erreicht, dass die Medikamente für die hauptsächlich auftretenden chronischen Krankheiten zuverlässig vorhanden seien. Das sei bereits ein großer Erfolg – und etwas völlig Neues für die Menschen von Villa Zagala.
Arzneimittelspenden ungeeignet – Nachhaltigkeit fehlt
Die Arzneimittel der AoG-Apotheke würden in erster Linie über Spenden aus Deutschland finanziert. Aber auch lokale Partner seien an der Finanzierung beteiligt. „Wir haben versucht, das Projekt auf sehr vielen Schultern zu verteilen, weil es immer die Frage ist, wie die Nachhaltigkeit zu gewährleisten ist“, so Vetye. Sie ergänzt: „Die Medikamente werden im Land eingekauft. Wir kaufen Krankenhauspackungen. Es gibt sehr oft die Frage, ob die Medikamente aus Deutschland kommen. Natürlich nicht, weil Arzneimittel zu exportieren und zu importieren, überhaupt keinen Sinn macht – ein viel zu großer Aufwand für die Apotheke eines Slum-Gesundheitszentrums.“ Als Hilfsorganisation sei es ihnen zudem möglich, Preisnachlässe bei den lokalen pharmazeutischen Unternehmen auszuhandeln.
Ein Punkt ist Vetye sehr wichtig: Arzneimittelspenden, so gut sie auch gemeint seien, könnten meist nicht zielführend eingesetzt werden. „Es bringt mir gar nichts, wenn mir jemand sagt, ich habe da eine Spende von 50.000 Tabletten, die in drei Monaten verfallen“, erläutert Vetye. Große Mengen mit nur kurzer Haltbarkeit oder kleine Mengen, die gespendet würden, nur weil sie gerade irgendwo anfielen, seien für eine langfristige Versorgung ungeeignet. „Genauso wie bei einem HIV-Positiven, dem ich nicht sagen kann, jetzt bekommst du für sechs Monate die Therapie und wie es dann weitergeht, ist nicht mein Problem, so muss ich beim Diabetiker Typ II auch eine langfristige Zusage machen“, beschreibt die Apothekerin die Problematiken.
Villa Zagala – Perspektivlosigkeit dominiert
Carina Vetye liebt Argentinien. Sie kennt ihr Land sehr gut – und weiß auch viel über Villa Zagala und seine Bewohnern zu berichten. So habe sich der Staat fast komplett aus dem Viertel zurückgezogen. Es fehle an entsprechender Infrastruktur. Die Menschen reagierten häufig entsprechend misstrauisch. Hilfe und Interesse seien sie nicht gewöhnt. So hätten sie auch erst lernen müssen, dass das Gesundheitszentrum und das Team von AoG tatsächlich zuverlässig für sie da seien. „Das Leben in den Slums ist hart. Es ist diese Perspektivlosigkeit, diese fehlende Zukunft. Dieses Missachtetwerden, weil man Slumbewohner ist. Es ist alles nicht etwas, was hilft, gerade bei einer chronischen Krankheit auf sich aufzupassen“, erläutert Vetye.
Das Gesundheitszentrum leiste deshalb mit all seinen Angeboten eine wertvolle Arbeit. So seien auch Hausbesuche wichtiger Bestandteil, um die Lebensbedingungen besser kennenzulernen. Das sei notwendig, damit die Menschen Vertrauen fassen könnten und lernten, sich für ihre Gesundheit zu engagieren. Ein wichtiger Bestandteil sei somit auch die Präventionsarbeit: „Wenn die Menschen anfangen, Fragen zu stellen, wenn sie anfangen, nachzudenken, dann sind wir angekommen und dann ändert sich auch etwas.“
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