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Fehler machen alle. Selbst bei einem zu 95 Prozent tadellos arbeitenden Mitarbeiter, der am Patienten täglich 20 Handlungen durchführt, bleibt am Ende für den Patienten nur eine knapp 36-prozentige Chance für einen perfekten Behandlungstag. Sind Fehler schon nicht vermeidbar, sollte wenigstens daraus gelernt werden: „When you repeat a mistake, it is not a mistake anymore: it is a decision“ (Paulo Coelho). Gerade über kritische Ereignisse muss folglich gesprochen werden. Das rieten auch die Apotheker und Ärzte beim CIRS-Gipfel am vergangenen Mittwoch in Düsseldorf.
War „Misslingen“ bis zum späten Mittelalter als „Schicksal“ oder „Gottes Wille“ akzeptiert, hat sich unsere Fehlerkultur seither, nicht zuletzt dank der Aufklärung und Immanuel Kant, der an die Nutzung des eigenen Verstandes appellierte, entwickelt. Mittlerweile wissen wir: Fehler passieren, und zwar durch menschliches oder technisches Versagen oder auch mal mutwillig.
Dr. Markus Klimek vom Uniklinikum Rotterdam brachte es, wenig charmant für das menschliche Ego, beim sechsten CIRS-NRW-Gipfel am vergangenen Mittwoch in Düsseldorf auf den Punkt: „Fehler sind das Resultat der menschlichen Beschränktheit, denn wir haben ein eingeschränktes Denk- und Erinnerungsvermögen“, zusätzlich trügen negative Effekte, wie Stress oder auch ein Tunnel-Blick für bestimmte Prozesse dazu bei, dass Fehler passieren, erklärte der Mediziner. An dieser Fehlbarkeit muss man jedoch nicht verzweifeln, denn Fehler machen alle. Die Frage ist nur: Wie geht man damit um?
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Auch Arztpraxen sollen aus Fehlern lernen
Bereits vor Jahren wurde mit CIRS (Critical Incident Reporting System) die Möglichkeit geschaffen, aus diesen Fehlern, die im Gesundheitswesen schwerwiegende Folgen mit sich bringen können, oder Beinahe-Ereignissen noch das Bestmögliche zu machen – und daraus zu lernen. Als interdisziplinäres Berichtssystem erfasst CIRS kritische Ereignisse im Gesundheitswesen und soll so helfen zu verhindern, dass beispielsweise der falsche Patient geröntgt wird, perorale Arzneimittel intravenös appliziert werden oder wöchentliche Alendronat-Tabletten intravaginal eingeführt werden – was laut CIRS alles tatsächlich passiert ist.
Niederlande: CIRS läuft nicht anonym
In Deutschland geschieht das Melden anonym, in den Niederlanden wird sogar mit Namen gemeldet. Diese Nicht-Anonymität scheint zu funktionieren, immerhin berichtet Klimek von rund 10.000 CIRS-Meldungen im Jahr allein am Universitätsklinikum Rotterdam.
Hierzulande scheinen die Hemmungen größer, CIRS wächst zwar, allerdings nutzen die Deutschen CIRS nicht ganz so emsig, wie die Kollegen in den Niederlanden. So umfasst das CIRS-NRW-Portal mittlerweile insgesamt rund 2.000 Meldungen, diese stammen vor allem aus der Inneren Medizin, der Chirurgie – und der Apotheke.
Apotheker melden
Dr. Oliver Schwalbe (Abteilungsleiter Aus- und Fortbildung, AMTS der Apothekerkammer Westfalen Lippe) erklärte in Düsseldorf im Gespräch mit DAZ.online: „Was mich freut ist, dass so viele Berichte in CIRS-NRW aus der Pharmazie kommen. Hier stehen wir an dritter Stelle. Nach Innerer Medizin und Chirurgie und weit vor der Allgemeinmedizin. Vielen Dank für die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen aus den Apotheken, ihre Medikationsfehler zu teilen.“
„Wie perfekt kannst du funktionieren?“
Warum teilen die Deutschen – trotz Anonymität – ihre Fehler nicht so gerne mit? Klimek erarbeitete in seinem am Nachmittag des CIRS-NRW-Gipfels angebotenen Workshop, dass Mitarbeiter häufig persönliche Nachteile befürchten oder sich sorgen, dass Fehlerberichte als Mittel der Personalpolitik genutzt werden. Hier gelte es, eine noch bessere Fehlerkultur zu entwickeln. Extrem wichtig sei vor allem, dass die Leitungsebene bei eigenen Fehlern mit gutem Beispiel vorangeht, so Klimek. Der Mediziner betonte auch nochmals, dass es bei CIRS weniger um die Person geht, es gehe um die Handlung. Die Frage laute folglich nicht: Wer habe den Fehler gemacht, sondern welcher Fehler sei warum gemacht worden? „Diese Informationen bringen uns weiter und helfen uns.“
Perfekter Behandlungstag unmöglich?
Dass Fehler letztlich unvermeidbar sind, rechnete Klimek den anwesenden Ärzten und Apothekern anschaulich vor. „Wie perfekt kannst du funktionieren?“, fragte Klimek. Bei einem hochzuverlässig arbeitenden Mitarbeiter, der zu 99 Prozent alles richtig macht, und an einem Patienten nur 20 Handlungen pro Tag vornimmt, bleibt für den Patienten letztlich nur die 0,9920 = 81,79-prozentige Chance auf einen perfekten Behandlungstag. Arbeitet der Mitarbeiter sogar „nur“ zu 95 Prozent zuverlässig, sinken die Patientenchancen auf einen perfekten Behandlungstag dramatisch – und liegen nur noch bei 35,85 Prozent.
Warum ist ein Fehler passiert?
Klimek war zudem wichtig, dass nicht nur das Ereignis beziehungsweise das Ergebnis des kritischen Zwischenfalles gesehen wird. Immer spiele auch eine Rolle, welche Umstände vielleicht dazu beigetragen haben und zu hinterfragen: Wie geht man damit um, wenn eine Schwester bei einer Transplantation die Niere fallen lässt? „Viele Dinge, die auf menschliches Versagen hinweisen, haben technische Ursachen“, mahnt Klimek. So könnten Sparmaßnahmen des Krankenhauses dazu geführt haben, dass das OP-Personal weniger griffige Handschuhe hat, gibt Klimek zu bedenken.
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Die AKWL bietet auch ein Online-Seminar zu CIRS und Medikationsfehlern. Dr. Oliver Schwalbe wird am 9. März 2020 konkrete Fallbeispiele aus CIRS-NRW für klassische Medikationsfehler vorstellen und will vor allem bei Apothekern das Bewusstsein schaffen: „Das könnte genauso auch bei uns passieren“. Zudem werden Möglichkeiten der Fehleranalyse vorgestellt und Lösungsstrategien diskutiert. Hier geht es zur Anmeldung.
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