Trotz EuGH-Urteil von 2016

DocMorris darf Herstellerabschläge behalten

Berlin - 20.01.2020, 17:45 Uhr

Der Importeur Kohlpharma will von EU-Versendern Herstellerrabatte zurück. In erster Instanz hatte er vor Gericht keinen Erfolg. (c / Foto: VAD)

Der Importeur Kohlpharma will von EU-Versendern Herstellerrabatte zurück. In erster Instanz hatte er vor Gericht keinen Erfolg. (c / Foto: VAD)


Der EU-Versender DocMorris muss die millionenschweren gesetzlichen Herstellerrabatte, die er zwischen Januar 2010 und August 2016 von Kohlpharma erhalten hat, nicht zurückzahlen. Das hat das Sozialgericht Saarbrücken entschieden. Der Arzneimittelimporteur hatte gegen DocMorris geklagt, weil er meinte, für EU-Versender bestehe nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Rx-Boni vom Oktober 2016 keine Anspruchsgrundlage mehr, diese Rabatte einzufordern.

Ende 2016 hat Kohlpharma sowohl gegen DocMorris als auch gegen die Europa Apotheek (mittlerweile aufgegangen in der Shop Apotheke) Klage vor dem Sozialgericht Saarbrücken erhoben. Anlass gab das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016, wonach die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 78 AMG in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung) im grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel gegen Europarecht verstößt. Dieses Urteil gab den Versendern bekanntlich einen Freibrief für Rx-Boni, der von der Politik bis heute nicht einkassiert wurde. 

Nach dem Luxemburger Urteilsspruch wurde darüber diskutiert, ob und inwieweit der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung die ausländischen Versender möglicherweise doch an Festpreise bindet. Denn wer dem Vertrag beitritt, unterwirft sich eigentlich den Regelungen des Arzneimittelpreisrechts. Der GKV-Spitzenverband wies die Forderung von Apothekern und Anwälten, Rx-Boni-gewährende EU-Versender aus dem Vertrag auszuschließen, allerdings entschieden zurück. Eine Basis für Sanktionen gegen die Versender, weil sie den Rahmenvertrag missachteten, sah der Verband nicht. Zudem stellte er Anfang 2017 klar, dass die Pflicht der EU-ausländischen Versender zur Abführung der gesetzlichen Herstellerabschläge (§ 130a SGB V) fortbesteht.

Mehr zum Thema

Rechtsverstöße und Rahmenvertragsverletzungen

GKV-Spitzenverband vertraut DocMorris

Kohlpharma ist dennoch überzeugt, dass DocMorris und die Europa Apotheek mit ihren Rx-Boni gegen den Rahmenvertrag verstoßen. Und damit hätten sie auch keinen Anspruch auf die Erstattung der gesetzlichen Herstellerrabatte. Der Importeur sieht das EuGH-Urteil also weit wirken: Es führe auch dazu, dass der Rahmenvertrag auf EU-Versandapotheken nicht anwendbar sei. 

Das saarländische Unternehmen machte daher einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend und forderte allein von DocMorris rund sieben Millionen Euro zurück. Der Grund: Zwischen Januar 2010 und August 2016 habe man die gesetzlichen Herstellerrabatte ohne Rechtsgrund an den EU-Versender geleistet. Der Versender sah das anders: Mit dem Beitritt zum Rahmenvertrag im November 2008 habe man die Voraussetzungen für die Erstattung der Herstellerrabatte geschaffen. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte bereits 2008 entschieden: Ohne Rahmenvertrag kein Erstattungsanspruch. Dieses BSG-Urteil war es übrigens, das gemeinsam mit einem Urteil des Bundesgerichtshof dazu geführt hat, dass sich der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes mit der Frage der Preisbindung für EU-Versender befassen musste – die beiden Obergerichte hatten hierzu nämlich unterschiedliche Auffassungen. Der Ausgang ist bekannt: 2012 entschied der Gemeinsame Senat im Sinne des BGH, dass diese Preisbindung besteht – und auch nicht europarechtswidrig ist.

Kein vergleichbarer Sachverhalt zum EuGH-Fall

Während die Kohlpharma-Klage gegen die Europa Apotheek bei einer anderen Kammer des Sozialgerichts Saarbrücken anhängig ist (die derzeit unbesetzt ist), wurde die Entscheidung gegen DocMorris bereits im März 2019 verkündet. Die Urteilsgründe sind allerdings erst jetzt bekannt geworden.

Ausführlich setzen sich die Saarbrücker Sozialrichter in ihrer Entscheidung mit dem Rahmenvertrag, den Voraussetzungen und Folgen des Beitritts einer Apotheke zu diesem, der Rechtsprechung des BSG zu Herstellerrabatten sowie dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung auseinander. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Klage von Kohlpharma zwar grundsätzlich zulässig und die geltend gemachten Ansprüche auch nicht verjährt sind. Aber: Die Erstattung der Herstellerrabatte durch Kohlpharma an DocMorris sei durchaus mit einem Rechtsgrund erfolgt.

Mit Beitritt zum Rahmenvertrag liegen die Voraussetzungen für den Herstellerabschlag vor

Der Importeur sei nach § 130a Abs. 1 Satz 3 SGB V nach allen im strittigen Zeitraum gültigen Fassungen verpflichtet gewesen, den Abschlag zu leisten. Die Norm sei anwendbar, weil DocMorris im November 2008 dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung beigetreten sei.  Damit habe sich der beklagte Versender auch den Herstellerrabatten unterworfen – so besagt es der Rahmenvertrag (in seiner früheren wie auch in seiner aktuellen Fassung). Alle Voraussetzungen, nach denen der Abschlag zu gewähren ist, lägen vor.

Und das Sozialgericht teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, dass das EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 eine solche Rechtswirkung entfaltet, dass Kohlpharma im besagten Zeitraum der gesetzlichen Rabattpflicht nicht unterfallen sei. Es folgen rechtliche Ausführungen zu der Frage, wie weit die Bindungswirkung von EuGH-Urteilen geht – wie bei Rechtsfragen üblich, gibt es dazu verschiedene Ansichten. Die Sozialrichter gehen mit der „überwiegenden“ Meinung in der Rechtsprechung, wonach eine allgemeine, über die Parteien des ursprünglichen Rechtsstreits hinausgehende Wirkung nur anzunehmen ist, wenn vergleichbare Sachverhalte vorliegen. Und das sei vorliegend nicht der Fall. Im EuGH-Fall sei es um ein Bonussystem und um eine Wettbewerbsbeziehung gegangen. Ganz anders sei es bei Kohlpharma/DocMorris, wo es um die Rückforderung eines gesetzlichen Herstellerrabatts geht.

Im Urteil heißt es:


Wie bereits ausgeführt, wollte der Gesetzgeber die gesetzliche Krankenversicherung unter anderem dadurch finanziell entlasten, dass Arzneimittelhersteller Rabatte auf ihre Arzneimittel für die Versicherten gewähren müssen. Um dies zu gewährleisten, wurden zwei verschiedene Beziehungsebenen in § 130a SGB V geschaffen. Die Beziehung zwischen Apotheke und Krankenversicherung stellt sich so dar, dass die Krankenkassen den Rabatt dadurch erhalten, dass sie die Rechnungen der Apotheken bereits um den Herstellerrabatt kürzen. In einer weiteren, davon zu trennenden Beziehung, die hier maßgeblich ist, können die Apotheken von den Arzneimittelherstellern die Erstattung der gekürzten Beträge verlangen. Beide Beziehungsebenen haben mit dem Wettbewerbsstreit, um den es in dem Verfahren vor dem EuGH ging, nichts gemein. Insoweit schließt sich die Kammer der Auffassung des GKV- Spitzenverbandes vom 13. Februar 2017 in vollem Umfang an.“

Urteil des Sozialgerichts Saarland vom 14. März 2019, Az. S 20 KR 834/16


Das letzte Wort ist allerdings nicht gesprochen. Kohlpharma hat gegen die Entscheidung Berufung eingelegt.

Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. März 2019, Az. S 20 KR 834/16



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.