Keine Berufung zu Rezeptur mit Idebenon-Kapseln

Streit um „wesentliche Herstellungsschritte“ endet mit Vergleich

Berlin - 26.08.2020, 07:00 Uhr

Ob die Herstellung von Idebenon-Kapseln in der Apotheke unter das Rezepturprivileg fällt, wird so schnell nicht höchstrichterlich geklärt sein. (c / Foto: enriscapes / Stock.adobe.com)

Ob die Herstellung von Idebenon-Kapseln in der Apotheke unter das Rezepturprivileg fällt, wird so schnell nicht höchstrichterlich geklärt sein. (c / Foto: enriscapes / Stock.adobe.com)


Fällt die Herstellung von Kapseln mit Idebenon unter das Rezepturprivileg der Apotheken oder nicht? Das Landgericht Hamburg hatte diese Frage vor drei Jahren verneint. Nun endete das Berufungsverfahren mit einem Vergleich ohne erneute inhaltliche Auseinandersetzung.

DAZ und DAZ.online hatten bereits vor drei Jahren über den Rechtsstreit über Idebenon-Kapseln berichtet. Es ging dabei um einen Apotheker aus Hessen, der die Kapseln als Rezeptur in verschiedenen Dosierungen von 30 bis 300 mg hergestellt hatte. Deswegen hatte ihn die Santhera Pharmaceuticals abgemahnt, die seit 2015 über eine Zulassung für ein Idebenon-haltiges Fertigarzneimittel verfügt. Später folgte eine Klage vor dem Landgericht Hamburg. Das Fertigarzneimittel wird gegen die Lebersche Optikusneuropathie eingesetzt. Und es folgte eine zweite Klage, die sich auf die Anwendung bei Duchenne-Muskeldystrophie bezog.

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Das Landgericht Hamburg entschied am 10. August 2017 in beiden Verfahren überwiegend gegen den beklagten Apotheker. Das Gericht widersprach der Argumentation von Santhera nur zu den vermeintlichen Folgen des Orphan-Drug-Status. Das Gericht verwies dazu auf Artikel 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 141/2000. Demnach führe dieser Status nur dazu, dass während der zehnjährigen Marktexklusivität keine weitere Zulassung für ein ähnliches Arzneimittel mit dieser Indikation erteilt werden dürfe. Die Verordnung beschränke jedoch nicht das zulassungsfreie Inverkehrbringen von Rezeptur- oder Defekturarzneimitteln. Das war jedoch für das Urteil nicht maßgeblich. Das Gericht ging nämlich davon aus, dass der Apotheker keine Rezepturarzneimittel herstelle, sondern Fertigarzneimittel, die einer Zulassung bedurft hätten. Damit stehe Santhera ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Dabei berief sich das Gericht auf zwei Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH) zu 13C-Harnstoff und Gemcitabin. Demnach vertrete der BGH die Auffassung, ein Rezepturarzneimittel liege nur vor, wenn in der Apotheke bei einer wertenden Gesamtbetrachtung wesentliche Arbeitsschritte erfolgen würden. Das Abfüllen von 13C-Harnstoff in Kapseln und sogar die Herstellung einer Injektionszubereitung durch Lösen des Zytostatikums Gemcitabin in Kochsalzlösung wertete der BGH nicht als Herstellungen von Rezepturen. 

Daraufhin sah das Landgericht Hamburg auch im „Portionieren“ von Idebenon keinen materiellen Herstellungsschritt. Die dosisgenaue Abmessung habe im Verhältnis zur Herstellung des Wirkstoffs nur eine untergeordnete Bedeutung. Der Wirkstoff könne auch einfach in Joghurt gemischt oder sublingual verabreicht werden, hieß es im damaligen Urteil.

Erwartungen zur zweiten Instanz

Beim ApothekenRechtTag während der Interpharm 2018 ging auch der Fachanwalt Dr. Valentin Saalfrank auf die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für die Rezeptur und dabei auch auf das Urteil zu Ibedenon ein. Saalfrank erläuterte dort, dass es bei der Verwendung des hier vorliegenden Funktionsarzneimittels auf die genaue Dosierung ankomme. Da der Wirkstoff bitter schmecke, sei ohne Verkapselung zudem die Therapiesicherheit gefährdet. Saalfrank setzte daher auf eine andere Entscheidung in zweiter Instanz.

Vergleich wegen des wirtschaftlichen Risikos

Doch das Berufungsverfahren vor dem Hanseatischen Oberlandesgerichts endete nun mit einem Vergleich. Nach Informationen aus Verhandlungskreisen nimmt der beklagte Apotheker die Berufung zurück und verzichtet damit auf die Herstellung der betreffenden Rezeptur. Zugleich verzichtet die Klägerin auf Schadensersatz. Auf Anfrage von DAZ.online erklärte der beklagte Apotheker, er habe dem Vergleich wegen der „exorbitanten Streitwerte“ und der damit korrelierenden Höhe der Schadensersatzforderungen im Fall eines Obsiegens der Gegenpartei in diesem wettbewerbsrechtlichen Prozess zugestimmt. Dieses Risiko sei ihm zu hoch erschienen, nachdem das Oberlandesgericht zuvor mitgeteilte habe, es wolle dem Landgericht Hamburg in seiner Auffassung folgen, dass es für das zulassungsfreie Inverkehrbringen von Rezeptur- und Defekturarzneimitteln erforderlich sei, dass der Schwerpunkt der Herstellungstätigkeit bei arbeitsteiligen Produktionsprozessen in der Apotheke liege. Gemäß der Auffassung des Gerichts ließen die hier in der Apotheke vorgenommenen Herstellungsschritte nicht hinreichend erkennen, dass die wesentlichen Herstellungsschritte in der Apotheke erfolgen. Der beklagte Apotheker erklärte gegenüber DAZ.online weiter, in einem diesbezüglichen Verwaltungsgerichtsverfahren ohne Schadensersatzforderungen hätte er einem solchen Vergleich nicht zugestimmt.

Thema schon auf der Tagesordnung des DAT 2018

Aufgrund des Vergleichs unterbleibt nun die weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Fall und den dazu erstellten Gutachten. Nach Informationen von DAZ.online waren berufsständische Organisationen nicht an dem Verfahren beteiligt. Eine Stellungnahme der ABDA oder einer Mitgliedsorganisation hätte es demnach auch bei einer mündlichen Verhandlung nicht gegeben, obwohl bereits der Deutsche Apothekertag 2018 das Thema aufgegriffen hatte und dabei in einem Antrag die berufspolitische Bedeutung aufgezeigt wurde. Die Hauptversammlung hatte damals einem Antrag des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg zugestimmt, in dem der Gesetzgeber aufgefordert wird, das Rezeptur- und Defekturprivileg zu stärken. Dazu sollte im Arzneimittelgesetz (AMG) redaktionell klargestellt werden, dass alle in § 4 Abs. 14 AMG aufgeführten Verarbeitungstätigkeiten die Anforderungen eines „wesentlichen Herstellungsschrittes“ in der Apotheke erfüllen. In der Begründung zu diesem Antrag hieß es, die Frage nach den „wesentlichen Herstellungsschritten“ habe in der Rechtsprechung der letzten Jahre eine neue Dynamik erfahren. Diese Tendenzen seien äußerst bedenklich und keinesfalls im Lichte der Arzneimittelsicherheit, der Rechtssicherheit und des Versorgungsauftrages der Apotheke zu sehen. Daher bedürfe es einer Klarstellung der Begrifflichkeit des „wesentlichen Herstellungsschrittes“ im Sinne des Antrags. Obwohl dieser Antrag vor nunmehr zwei Jahren verabschiedet wurde, ist über diesbezügliche Gesetzesinitiativen seitdem nichts bekannt geworden.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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