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16. September 2020
So etwas gab es noch nie! Ein Abrechnungszentrum hat Insolvenzantrag gestellt! Ist das der Wirecard-Skandal der Apowelt? Rund 3500 Apotheken, die mit dem privaten Rezeptabrechner AvP zusammenarbeiten und dort ihre August-Rezepte eingereicht haben, warten vergeblich auf ihr Geld. Es sind Beträge, die im Durchschnitt 120.000 Euro ausmachen, in Einzelfällen aber bis zu 400.000 Euro betragen können, heißt es. Mein liebes Tagebuch, das ist eine Katastrophe für die Apotheken! Für manche geht das in Richtung Existenzbedrohung! Und es betrifft nicht nur Apotheken – AvP zählt auch Krankenhausambulanzen, Ärzte und sonstige Leistungserbringer zu seinen Kunden.
Was bei AvP schiefgelaufen ist, wo genau die Gründe für das Versiegen der Geldflüsse liegen, ist noch nicht bekannt. Allerdings muss es dafür wohl recht drastische Gründe geben. Über Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen wird hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Erste Vermutungen gehen davon aus, dass es mit AvP-Chef Mathias Wettstein zusammenhängt. Der Firmenchef ist bereits wegen eines Steuervergehens vorbelastet und darf daher selbst keine BaFin-Lizenz führen. Er musste die Geldgeschäfte in seinem Unternehmen Geschäftsführern überlassen. Ein Blick in das Handelsregister offenbart die Firmenstruktur von AvP: Mathias Wettstein ist Chef der AG und nicht der GmbH, die in der Unternehmensdatenbank der Bankenaufsicht BaFin als Finanzdienstleistungsinstitut geführt wird. Wettstein soll sich bereits in Untersuchungshaft befinden, ein Gerücht, das allerdings nicht bestätigt wurde.
Und wie geht es nun für die betroffenen Apotheken weiter? Gibt es Hoffnung, dass die Zahlungen bald erfolgen können? Nein, mein liebes Tagebuch, denn wie sich mittlerweile zeigt, wird noch darüber spekuliert, ob das Geld auf einem sicheren Treuhandkonto liegt oder nicht. Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas wandte sich mit einem Rundschreiben an die AvP-Apotheker und erläuterte Einzelheiten, was nun zu tun sei. Er riet den AvP-Apotheken, die Verträge in jedem Fall fristlos zu kündigen. Und sich umgehend um die Aufnahme bei einem anderen Rechenzentrum zu kümmern. Allerdings sagte er auch, dass eine Auszahlung von AvP-Geldern in den nächsten Tagen nicht zu erwarten sei.
Wie sich auch zeigte, hat AvP mit den Apotheken sehr unterschiedliche Vereinbarungen getroffen, was die Aufarbeitung für die Betroffenen umso schwerer macht, sagt Dr. Rainer Eckert, Fachanwalt für Insolvenzrecht. Er rät den AvP-Kunden, gemeinsam für die Herausgabe ihres Geldes zu streiten.
Die Apobank hat bereits angekündigt, Unterstützung für betroffene Apotheken zu leisten. Und die meisten der 17 Wettbewerber von AvP stünden bereit, Neukunden aufzunehmen. Noventi, das nach eigenen Angaben größte europäische Abrechnungsunternehmen im Gesundheitsmarkt, hat ein Hilfsprogramm von 250 Mio. Euro entwickelt, um die nötige Sicherheit und Liquidität für den laufenden Betrieb der Apotheken vor Ort sicherzustellen. Das Geld soll als vorgezogene Abschlagszahlung innerhalb kürzester Zeit bereitstehen. Auch das Norddeutsche Apothekenrechenzentrum (NARZ) signalisierte: Wir schaffen das. Man könne doppelt so viele Kunden bedienen wie bisher, die Serverkapazitäten reichten aus.
Mein liebes Tagebuch, der Schock sitzt tief. Die Hilfsangebote der etablierten Abrechner geben Hoffnung: Es geht weiter. Die Frage bleibt: Wann gibt es den August-Umsatz? Oder ist das Geld verloren? Welche juristischen Auseinandersetzungen drohen uns da? Und natürlich brennen wir alle, eine Antwort darauf zu bekommen: Wie konnte es bei AvP soweit kommen?
6 Kommentare
Verantwortung
von Reinhard Rodiger am 20.09.2020 um 22:13 Uhr
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Komplettes System in Frage gestellt
von Nikolaus Guttenberger am 20.09.2020 um 18:04 Uhr
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Anerkennung durch Duldung ... wie ein Berufsstand langsam den eigenen Risiken und Nebenwirkungen erliegt ...
von Christian Timme am 20.09.2020 um 18:00 Uhr
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AvP und ABDA
von Dr.Diefenbach am 20.09.2020 um 10:37 Uhr
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AW: AvP und ABDA
von Monika Herzog am 20.09.2020 um 21:09 Uhr
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von Anita Peter am 20.09.2020 um 8:23 Uhr
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