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Die Woche der 90 und 100 Prozent: Bald soll’s einen Corona-Impfstoff geben mit einer Wirksamkeit bis zu 90 Prozent. Vielleicht. Und AvP-geschädigte Apotheken können hoffen: Beim Insolvenzverfahren könnten sie mit einer Quote von 90 Prozent rechnen. Leider auch nur vielleicht. Aber 100 Prozent Dubioses und Erstaunliches bringt ein Gutachten zur Insolvenzeröffnung: Tiefe Einblicke, wie AvP gearbeitet hat. Crazy! Ziemlich lazy: Der Bundesrat wird schon bald das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz durchwinken, kommentarlos. Es kommt noch vor Weihnachten. 100 Prozent. Was auch schon klar ist: Die ABDA bekommt im nächsten Jahr eine Präsidentin. Ab Januar endlich eine Frau an der Spitze. 100 Prozent.
9. November 2020
Jetzt wissen wir, was gegen das Corona-Virus hilft: „Ein paar Monate müssen wir noch die Pobacken zusammenkneifen.“ formulierte es liebevoll der RKI-Präsident Lothar Wieler auf der letzten Presskonferenz zur Corona-Lage. Mein liebes Tagebuch, im Ernst: Nach zwei Wochen Lockdown zeigt sich noch nicht der erhoffte Rückgang der Infektionszahlen. Haben die bisherigen Maßnahmen nichts oder zu wenig gebracht? Doch, schon, so Wieler, sie haben mit Sicherheit etwas gebracht, wir müssen noch etwas Geduld haben. Und schon ist das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz auf den Weg gebracht, es geht vor allem um weitere oder geänderte temporäre Ermächtigungsgrundlagen für die Regierung während einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ – und damit werden die Maßnahmen wie beispielsweise Kontaktbeschränkungen, das Tragen von Masken, die Schließung der Gastronomie und vieles andere auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Geändert werden sollen auch die Vorschriften zum Einsatz der patientennahen Schnelltests auf das Corona-Virus. Die Apotheken sind da nicht dabei, noch nicht. Ob die Apotheken da in Zukunft eine Rolle spielen sollen? „Das ist eine politische Entscheidung“, sagte Wieler, prinzipiell gebe es diese Option. Mein liebes Tagebuch, falls alles noch schlimmer wird, kann es also gut möglich sein, dass die Politik auf uns zugeht. Die ABDA hat bereits wissen lassen: Apotheken sollen auf Corona testen dürfen.
Und es gibt Hoffnungsschimmer: Biontech und Pfizer haben Daten zu ihrem Corona-Impfstoff vorgelegt, die nicht nur die Herzen der Börsianer, sondern auch von Medizinern und Politikern höher schlagen lassen: Es sieht gut aus, die Wirksamkeit könne bis zu 90 Prozent betragen, heißt es, und die Zulassung werde in Kürze beantragt. Die wissenschaftliche Publikation der Daten steht allerdings noch aus. Aber, mein liebes Tagebuch, wenn sich alles weiterhin so gut entwickelt, dann sind das Sternstunden von Big Pharma. Der Impfstoff wird aber vermutlich nicht in der Apotheke landen – da bräuchten wir erst Tiefkühlschränke: Denn der Biontech-Impfstoff muss bei minus 70 bis minus 80 Grad gelagert werden.
Ganz heiße Gedanken macht man sich dagegen bereits über die Verteilung des Impfstoffs: Wer darf zuerst geimpft werden? Experten der Ständigen Impfkommission, Ethiker und andere haben bereits ein Positionspapier dazu vorgelegt: Hochrisikopatienten, wichtiges Personal in Kliniken und Pflegeheimen und Personen, die in Bereichen zur Daseinsvorsorge arbeiten (z. B. Mitarbeiter von Gesundheitsbehörden, bei Polizei, Lehrer). Mein liebes Tagebuch, Apothekenpersonal ist da vermutlich auch dabei. Geimpft wird nicht in Hausarztpraxen, so das Positionspapier, sondern in staatlichen Impfzentren, wie auch immer die aussehen werden. Mein liebes Tagebuch, im ersten Quartal des kommenden Jahres könnten die Impfungen starten.
Die Masken, die nicht von allen geschätzten Mund-Nase-Bedeckungen, werden uns aber mit Sicherheit weit ins nächste Jahr hinein begleiten. Und auch die Menschen, die sich weigern, Masken zu tragen. Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg hat sich Gedanken darüber gemacht, wie man in der Apotheke mit solchen Kunden umgeht, die sich nicht an die Maskenpflicht halten wollen. Dulden darf man diese Zeitgenossen nicht in der Apotheke, das wäre ordnungswidrig. Die Kammer empfiehlt, vom Hausrecht Gebrauch zu machen und sie aufzufordern, vor der Apotheke zu warten, wo sie bedient werden können. Auch das Bedienen durch die Notdienstklappe ist eine Option. So könnte es gehen.
10. November 2020
Vermutlich fallen die Weihnachtsfeiern in Apotheken aus, verständlich – und richtig. Was aber auf keinen Fall ausfallen darf: die Wertschätzung der Mitarbeiter:innen. Und wenn diese Wertschätzung durch einen Corona-Bonus unterstützt wird, dann kann man als Apothekeninhaber:in seinen Mitarbeiter:innen zeigen: Danke, danke für die Mitarbeit in schwierigen Zeiten. Eine Umfrage der Apothekengewerkschaft Adexa zeigt allerdings, dass nur die wenigsten der Apothekenangestellten, die sich an der Umfrage beteiligten, eine Bonuszahlung bekommen haben. Aber, mein liebes Tagebuch, das Jahr ist noch nicht um, vielleicht gibt sich der eine oder die andere Apotheker:in noch einen kleinen Ruck. Was die Umfrage auch zutage brachte: Sogar selbstverständliche Dinge, wie von der Apothekenleitung gestellte und bezahlte Masken, waren nicht überall umgesetzt. Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein?
Ja, der Bundesgesundheitsminister darf das, das Infektionsschutzgesetz erlaubt es ihm: Er darf bestimmen, welche Zuschläge Apotheken und Pharma-Großhändler auf die Abgabe von Corona-Antigentests erheben dürfen. Und mit der kommenden SARS-CoV-2-PoC-Antigentest-Preisverordnung (ein herrliches Wort!) will er festsetzen, dass Apos und Großhändler hierfür nur noch einen Festzuschlag von jeweils 40 Cent plus Umsatzsteuer je Test erheben dürfen. Also, es geht um die Abgabe von Corona-Antigentests zur patientennahen Anwendung zum direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 (Point-of-Care-Tests, PoC). Derzeit greift für diese Tests beziehungsweise Medizinprodukte nämlich keine Preisregulierung. Letztlich geht es dem Minister also darum, dass diese Tests auch in Zukunft bezahlbar bleiben. Aber, mein liebes Tagebuch, wie soll das praktisch gehen? Die ABDA weist in ihrer Stellungnahme zurecht darauf hin, dass die Apotheken und andere Leistungserbringer auf angemessene Einkaufspreise angewiesen sind. Und sie macht darauf aufmerksam: Für die Hersteller von solchen Tests gibt es keine Pflicht, einen einheitlichen Herstellerabgabepreis sicherzustellen. Also sollte der Verordnungstext auch klarstellen, dass die Aufschläge auf den „tatsächlichen Abgabepreis des Herstellers“ zu erheben sind. Für die Bestellungen, die von Apotheken getätigt werden, sollte außerdem sichergestellt sein, dass bei einem Direktbezug der Aufschlag für Großhandel und Apotheke zusammengerechnet wird, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Und schließlich sei ein Aufschlag von 40 Cent pro Test zu niedrig, fordert die ABDA, es sollten 60 Cent sein. Mein liebes Tagebuch, durchaus vernünftige Vorschläge, jetzt wird’s spannend, was davon in den Verordnungsentwurf fließt. Fraglich, ob sich die Hersteller solcher Tests den Preisfestlegungen beugen. Und Einrichtungen, die solche PoC-Antigen-Tests in großen Mengen kaufen, wie z. B. Krankenhauskonzerne oder Heimträger, wollen doch auch weiterhin die Tests im Direktbezug erwerben – zu ganz anderen Konditionen.
Viele AvP-geschädigte Apothekeninhaber akzeptieren nicht, dass sie wie gewöhnliche Gläubiger in einem Insolvenzverfahren behandelt werden. Sie sehen die Verantwortung beim Staat, denn letztlich geht es um Gelder aus der Solidargemeinschaft – die Apotheken sollten das Ausfallrisiko eines Rechenzentrums nicht alleine schultern müssen. Mein liebes Tagebuch, leider sieht dies die Bundesregierung anders. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium Sarah Ryglewski (SPD) stellt in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler klar, dass es für Apotheken keine gesetzlichen Verpflichtungen gebe, die Dienste einer Abrechnungsstelle in Anspruch zu nehmen. Ups, mein liebes Tagebuch, das mag formal wohl zutreffen, aber da macht es sich unsere Bundesregierung sehr einfach, zu einfach. Schäffler möchte, dass das Verhalten der Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin untersucht wird. Er fordert politische Konsequenzen auch in Richtung des Bundesfinanzministers Olaf Scholz und dem Chef der BaFin Felix Hufeld. Schäffler: „Herr Scholz und Herr Hufeld müssen sich fragen, ob sie ihren Laden noch im Griff haben.“ Mein liebes Tagebuch, der AvP-Skandal zieht weitere Kreise.
Zum großen Freuen ist es noch viel zu früh, aber ein bisschen mehr Hoffnung dürfen die AvP-geschädigten Apotheken haben: Es gibt, bei aller Vorsicht von Prognosen, Aussicht auf eine außergewöhnlich hohe Quote am Ende des Insolvenzverfahren. Das geht aus einem nicht-öffentlichen Gutachten von Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos hervor, das DAZ.online vorliegt. Rein rechnerisch könnte man mit einer Insolvenzquote von bis zu 90 Prozent rechnen. Klingt gut, mein liebes Tagebuch, aber bitte Vorsicht, es gibt bei den Positionen der Vermögenswerte und Forderungen der AvP auch unsichere Kandidaten, z. B. die Forderungen aus Rabattverfall gegenüber den Krankenkassen. Also wir müssen weiterhin abwarten, was unterm Strich tatsächlich übrig bleibt. Und wenn Sie „Rabattverfall“ bisher noch nicht gelesen oder gehört haben: Lesen Sie bitte den Tagebuch-Eintrag weiter unten, vom 13. November.
11. November 2020
Das Warten hat bald ein Ende. Nein, nicht das auf die Schoko-Nikoläuse in den Supermarktregalen – die Weihnachtsspezereien gibt es schon lange. Das Warten auf unser Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG). Am 27. November wird es aller Voraussicht nach den Bundesrat passieren, kommentarlos. Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats hat die Weichen dafür gestellt und die Empfehlung ausgegeben, es nun durchzuwinken. Mein liebes Tagebuch, wie rasch es am Ende dann doch gehen kann. Man glaubt es kaum: Noch vor gut einem Jahr hatte sich der Bundesrat fürs Rx-Versandverbot (RxVV) stark gemacht, unsere fast aller Hoffnungen lagen auf der Länderkammer, nur die ABDA hatte das RxVV bereits abgehakt und wollte nicht recht glauben, dass der Bundesrat sich durchsetzen werde. Sie sollte Recht behalten. Von einem RxVV ist im Bundesrat schon lange nicht mehr die Rede. Und so wird das VOASG mit all seinen Macken und Nachteilen den Bundesrat passieren. Jetzt muss nur noch der Bundespräsident seine Unterschrift druntersetzen, danach wird es im Bundesgesetzblatt verkündet und es tritt in Kraft. Und dann, ja dann steigt die Spannung, wann die ersten Klagen gegen das Boni-Verbot und die GKV-Einheitspreise bei Rx-Arzneimitteln eingehen. Und wir freuen uns auf die ABDA-Geheimliste der honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen, die dann wohl irgendwann veröffentlicht werden wird. Mein Gott, wir halten’s vor Spannung kaum aus.
Fritz Becker (69), Chef vom Deutschen Apothekerverband (DAV) und Präsident des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, hat es bereits angekündigt: Er macht seine beiden Posten frei. Nun, mein liebes Tagebuch, das sei ihm zugestanden, immerhin war er lange dabei: LAV-Präsident seit 1998 und DAV-Vorsitzender seit 2009. Noch Anfang Dezember wird der ABDA-Vorstand neu gewählt und für den DAV-Vorsitz hat sich schon Thomas Dittrich, Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbands zur Wahl gestellt. Da bis jetzt kein anderer für diese Stelle kandidiert, dürfte seine Wahl sicher sein. Und für den Vorsitz auf Landesebene beim LAV Baden-Württemberg sind die Würfel bereits gefallen: Hier wählte der LAV-Beirat die derzeitige Vizepräsidentin Tatjana Zambo für die Nachfolge von Fritz Becker in das Amt der Verbandspräsidentin – sie wird ihr neues Amt zum 1. Mai 2021 antreten. Apothekerin Zambo hat bereits Erfahrungen in der Berufspolitik gesammelt. Die Inhaberin zweier Apotheken im badischen Gaggenau gehört seit 2008 dem LAV-Beirat an. Seit 2012 ist sie Mitglied im Vorstand des Verbands und bekleidet seit knapp fünf Jahren das Amt der LAV-Vizepräsidentin. Mein liebes Tagebuch, da wünschen wir Frau Zambo doch viel Erfolg für ihr neues Amt und frische Ideen.
Gabriela Regina Overwiening, wird vermutlich, also aller Voraussicht nach unsere neue ABDA-Präsidentin. Die Wahl ist zwar erst am 9. Dezember, aber da keine weitere Kandidatin, kein weiterer Kandidat für dieses Amt zur Verfügung steht und die Bewerbungsfrist abgelaufen ist, braucht’s keine großen prophetischen Gaben, um den Wahlausgang vorherzusagen. So ist das eben bei Apothekers. Also, ab 1. Januar wird zum ersten Mal in der Geschichte der ABDA eine Frau an der Spitze stehen. An der Spitze eines Berufs, in dem zu über 80 Prozent Frauen arbeiten. Mein liebes Tagebuch, es wird Zeit, dass die Männer-Phalanx durchbrochen wird. Wir hatten im Lauf des 70-jährigen Bestehens der ABDA genug Männer an der Spitze unserer Berufsvertretung, es wird Zeit für eine Frau. Und da fällt mir doch ein Zitat der scheidenden Bundesjustizministerin Christine Lambrecht in die Hände, zitiert im aktuellen Spiegel. Sie sagt dort über das Engagement von Frauen und Männern in der Politik: „Frauen sind eher reflektiert in Bezug auf die Entscheidung, was sie sich zumuten und zutrauen. Das finde ich positiv. Es gibt genug Männer, die nach jeder Wurst schnappen und die Dinge dann nicht zu Ende bringen.“ Mein liebes Tagebuch, hoffen wir darauf, dass die Ära von wurstschnappenden Männern, die es auch in der ABDA-Geschichte gab, ein Ende hat. Die Herausforderungen sind groß, auf uns Apothekers kommt einiges zu. Um nur die größten zu nennen: das VOASG und die Folgen, die Digitalisierung, das E-Rezept, der Versandhandel und die Frage, wie geht’s eigentlich mit der Anpassung unseres Honorars weiter? Gabriele Overwiening hat sich viel vorgenommen, wie sie bei einem virtuellen Treffen ihrer Apothekerkammer Westfalen-Lippe wissen lässt. Sie will den Berufsstand einen (geht das überhaupt noch?). Sie möchte finanzielle Stabilität schaffen, auf eine Dynamisierung des Apothekenhonorars hinarbeiten. Ihr Schlagwort: Apotheker:innen verdienen ein „wertschätzendes Honorar“. (Schöne Formulierung!) Sie will sich außerdem gegen eine Bagatellisierung von Arzneimitteln stemmen. Und nicht zuletzt – und das gefällt mir, mein liebes Tagebuch, besonders gut – will sie für ein deutlich selbstbewussteres Auftreten der Apotheker als bisher werben, auch im Kontakt mit der Ärzteschaft: „Wir wollen und können auf Augenhöhe mit anderen Heilberuflern arbeiten“, sagt sie. So ist es. Bei diesen anspruchsvollen Zielen kann man ihr nur allen erdenklichen Erfolg wünschen. Ob das die verkrusteten ABDA-Strukturen mitmachen?
12. November 2020
Das Tohuwabohu um die rechtliche Einordnung von SARS-CoV-2-Antigen- oder -Antikörpertests ist (typisch für unsere föderalistische Struktur in Deutschland) groß, es ist ein Flickwerk. Für uns Apothekers steht dabei die Frage im Mittelpunkt, ob die Apotheke z. B. die IgG-Antikörpertests abgeben dürfen. Das Bundesgesundheitsministerin lässt verlauten, dass Testkits, die lediglich zur Probenentnahme und anschließenden Sendung an ein Labor gedacht sind, nicht grundsätzlich § 3 Absatz 4 der Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV) unterliegen und damit in Apotheken abgegeben werden dürfen – „theoretisch“, wie der BMG-Sprecher sagte. Denn die Einhaltung der MPAV wird auf Landesebene überprüft. Aha, der schwarze Peter liegt dann bei den Ländern. Und was heißt das praktisch? Unsere Apothekerkammern müssen den Angaben ihrer Landesbehörden folgen, und da sagen die einen so und die andern so. Konkret bedeutet dies, dass einige Kammern ihren Apotheken raten, solche Probeentnahmensets nicht an Patienten abzugeben. Mein liebes Tagebuch, währenddessen vertreiben Internet-Apotheken und der dm-Drogeriemarkt munter die Antikörpertestkits. Nun ja, abgesehen davon, dass ein solches Durcheinander für Patienten alles andere als vertrauensbildend ist: Man darf sich auch die Frage stellen, welche Aussagekraft solche Tests, für die der Kunde 40 bis 60 Euro berappen muss, überhaupt haben? Die Sensitivität liegt irgendwo zwischen 90 und 97 Prozent. Man erhält ein entsprechendes Ergebnis für einen Zustand in der Vergangenheit. Und dass die Probenentnahme für so manchen Laien nicht unbedingt problemlos ist (Entnahme einer ausreichend großen Menge an Blut aus der Fingerbeere und Auftragung auf den Teststreifen), lässt sich wunderbar nachlesen im aktuellen Zeitmagazin. Der Kolumnist Harald Martenstein schreibt dort „über einen Antikörpertest für zu Hause und einen blutigen Versuch in der Küche“. Herrlich! Also, mein liebes Tagebuch, vielleicht wäre es sinnvoll, wenn sich Bund und Länder darauf verständigen, dass solche Tests am besten nur über Apotheken vertrieben werden – mit entsprechender Beratungspflicht und einer fachmännischen Blutentnahme in der Apotheke.
13. November 2020
Wirklich erstaunlich, was das AvP-Desaster an neuen Erkenntnissen über die Insolvenz selbst, aber auch über das Rezeptabrechnungswesen zutage fördert. Tiefe Einblicke bringt das (nicht öffentliche) Gutachten zur Insolvenzeröffnung, das der Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philip Hoos beim zuständigen Gericht vorgelegt hat. DAZ.online liegt das Gutachten vor, und DAZ-Wirtschaftsredakteur Dr. Müller-Bohn hat es sich angeschaut – und dabei Erstaunliches und Dubioses entdeckt. Bei der Auflistung der Vermögenspositionen stößt man auf „Forderungen aus Rabattverfall“. Was ist das denn, mein liebes Tagebuch? Offenbar beziehen sich diese Forderungen auf den „Apothekenabschlag“. Also, wenn Krankenkassen pünktlich (innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungseingang) zahlen, dürfen sie diesen Abschlag von ihrer Zahlung abziehen. Das Gutachten erweckt somit den Eindruck, dass die Krankenkassen nicht immer innerhalb der vorgesehenen Frist gezahlt hätten. AvP hätte daraufhin fällige Forderungen aus dem Rabattverfall „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang aufarbeiten und zeitnah gegenüber den Kostenträgern geltend machen müssen“. Doch dies sei mindestens seit 2013 nicht erfolgt. Mein liebes Tagebuch, das wäre ein dickes Ei. Da stünden wohl noch einige Millionen aus, die die Krankenkassen nachzahlen müssten. Ob das so seine Richtigkeit hat, ob also tatsächlich noch Ansprüche gegenüber Kostenträgern bestehen, wird derzeit ermittelt. Hinzu kommt, und das ist besonders pikant, dass die AvP strukturelle Defizite und Verluste u. a. auf Rabattverfälle schob und versuchte, die Verluste mit fingierten Rabattverfallforderungen zu verbuchen und zu kaschieren. Die fehlende Liquidität sei nicht aufgefallen, denn das Rechenzentrum habe auf den Konsortialkredit für die Abrechnungsgelder zugreifen können. Und das wiederum sei wegen der Bilanzierungspraxis der AvP nicht aufgefallen. Ist doch richtig irre, oder? Bleibt die Frage im Raum, ob im laufenden Insolvenzverfahren noch Zahlungen für Rabattverfälle von den Krankenkassen einzutreiben sind. Und ob die Krankenkassen tatsächlich verspätet gezahlt haben – „denn gerade wegen des drohenden Rabattabzugs gelten die Krankenkassen als sehr zuverlässige Zahler“, so Müller-Bohn.
Na, das ist ein Coup des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) der besonderen Art, frei nach dem Motto gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht. Das BMG arbeitet seit Neuestem mit Google zusammen, um evidenzbasierte Gesundheitsinformationen präsenter im Netz zu platzieren. Und das sieht so aus: Sucht man über die Suchmaschine Google nach Gesundheitsinformationen, z. B. zur Migräne, erscheint auf der Ergebnisseite rechts an prominenter Stelle ein Infokasten, der einen Überblick, die Symptome und Behandlungen zur Migräne auflistet. Erstellt wurden die Infos von gesund.bund.de, der neuen BMG-Seite, die „verlässliche Informationen für Ihre Gesundheit“ bieten will. Und durch die Zusammenarbeit mit Google erscheinen diese Infos immer auf der ersten Ergebnisseite rechts. 160 Krankheitsbilder sind bereits eingegeben. Jens Spahn freut sich: „Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal landen und dort die Informationen finden, die er braucht.“ Fein. Und noch vor Kurzem meinte er, man dürfe die Gesundheitspolitik nicht Apple und Google überlassen. Nun ja, mein liebes Tagebuch, mittlerweile weiß Spahn, dass eine Mehrheit der Deutschen jeden Tag googelt. Und sein Portal soll nun evidenzbasierte Gesundheitsinformationen des Bundes besser im Netz platzieren als bisher. Wie gesagt, gut gemeint. Um die Seite gesund.bund.de zu füllen, arbeitet eine eigene Redaktion, die aus unterschiedlichen Quellen die Texte qualitätsgesichert zusammenträgt und erstellt. Die Qualitätskriterien leiten sich ab aus der „Guten Praxis Gesundheitsinformation“. Und als Partner der neuen Gesundheitsinfo-Seiten sind dabei das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, der Krebsinformationsdienst des Deutsche Krebsforschungszentrums und das Robert Koch-Institut. Also, man gibt sich wirklich Mühe. Aber die Verlagsbranche ist darüber not amused. Die Rede ist von der Diskriminierung der Verlagsangebote und sogar von einem Angriff auf die Pressefreiheit ist die Rede. Denn Stichproben zeigten, das bei den Suchergebnissen in der Regel fast nur noch Regierungsinformationen zu Gesundheitsfragen angezeigt werden – moniert etwa der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Was besonders verstörte, sei Spahns Formulierung, das sein Portal „verlässliche Regierungsinformationen“ biete. Für den VDZ impliziert das die Behauptung, die digitale Gesundheitsberichterstattung durch die Verlage sei weniger verlässlich. Mein liebes Tagebuch, also, nichts gegen ein Gesundheitsportal des Bundes – aber keine Bevorzugung durch Google, sondern auf Augenhöhe mit all den anderen hervorragenden Gesundheitsportalen.
26 Kommentare
Absurdistan
von PiPaPo am 17.11.2020 um 9:12 Uhr
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Spahn und die Gematik
von Karl Friedrich Müller am 16.11.2020 um 8:51 Uhr
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Bonus
von Thomas Kerlag am 16.11.2020 um 7:09 Uhr
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Mund-NaseN-Bedeckung
von K. Stülcken am 15.11.2020 um 15:41 Uhr
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AW: Mund-NaseN-Bedeckung
von Dr. House am 15.11.2020 um 16:09 Uhr
Systemrelevante Flüsterer
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 13:00 Uhr
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Resultate zählen
von Ulrich Ströh am 15.11.2020 um 9:04 Uhr
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AW: Resultate zählen
von Dr.Diefenbach am 15.11.2020 um 11:05 Uhr
Dissen erwünscht?
von Karl Friedrich Müller am 15.11.2020 um 9:03 Uhr
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AW: Dissen erwünscht
von Michael Reinhold am 15.11.2020 um 16:27 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Anita Peter am 15.11.2020 um 17:30 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Tom Beldowitz am 15.11.2020 um 17:53 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 20:05 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Conny am 15.11.2020 um 20:14 Uhr
Sichtweisen
von Karl Friedrich Müller am 15.11.2020 um 8:48 Uhr
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AW: Sichtweisen
von Heiko Barz am 15.11.2020 um 11:32 Uhr
AW: Schichtweise dünn auftragen oder der Bonus aus dem Zauberhut
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 13:25 Uhr
AW: Sichtweisen
von Anita Peter am 15.11.2020 um 14:08 Uhr
AW: Licht weisen
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 18:10 Uhr
AW: Sichtweisen
von Pimaliks am 17.11.2020 um 11:04 Uhr
.
von Anita Peter am 15.11.2020 um 8:15 Uhr
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AW: .1.Kommentar
von Frank Hartmann am 15.11.2020 um 8:36 Uhr
AW: .
von Anita Peter am 15.11.2020 um 8:45 Uhr
AW: .
von Heiko Barz am 15.11.2020 um 11:07 Uhr
AW: Sichtbar gemachte Intelligenz schon ab 8.36 h?
von Christian Timme am 15.11.2020 um 22:02 Uhr
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