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13. November 2020
Wirklich erstaunlich, was das AvP-Desaster an neuen Erkenntnissen über die Insolvenz selbst, aber auch über das Rezeptabrechnungswesen zutage fördert. Tiefe Einblicke bringt das (nicht öffentliche) Gutachten zur Insolvenzeröffnung, das der Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philip Hoos beim zuständigen Gericht vorgelegt hat. DAZ.online liegt das Gutachten vor, und DAZ-Wirtschaftsredakteur Dr. Müller-Bohn hat es sich angeschaut – und dabei Erstaunliches und Dubioses entdeckt. Bei der Auflistung der Vermögenspositionen stößt man auf „Forderungen aus Rabattverfall“. Was ist das denn, mein liebes Tagebuch? Offenbar beziehen sich diese Forderungen auf den „Apothekenabschlag“. Also, wenn Krankenkassen pünktlich (innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungseingang) zahlen, dürfen sie diesen Abschlag von ihrer Zahlung abziehen. Das Gutachten erweckt somit den Eindruck, dass die Krankenkassen nicht immer innerhalb der vorgesehenen Frist gezahlt hätten. AvP hätte daraufhin fällige Forderungen aus dem Rabattverfall „im ordnungsgemäßen Geschäftsgang aufarbeiten und zeitnah gegenüber den Kostenträgern geltend machen müssen“. Doch dies sei mindestens seit 2013 nicht erfolgt. Mein liebes Tagebuch, das wäre ein dickes Ei. Da stünden wohl noch einige Millionen aus, die die Krankenkassen nachzahlen müssten. Ob das so seine Richtigkeit hat, ob also tatsächlich noch Ansprüche gegenüber Kostenträgern bestehen, wird derzeit ermittelt. Hinzu kommt, und das ist besonders pikant, dass die AvP strukturelle Defizite und Verluste u. a. auf Rabattverfälle schob und versuchte, die Verluste mit fingierten Rabattverfallforderungen zu verbuchen und zu kaschieren. Die fehlende Liquidität sei nicht aufgefallen, denn das Rechenzentrum habe auf den Konsortialkredit für die Abrechnungsgelder zugreifen können. Und das wiederum sei wegen der Bilanzierungspraxis der AvP nicht aufgefallen. Ist doch richtig irre, oder? Bleibt die Frage im Raum, ob im laufenden Insolvenzverfahren noch Zahlungen für Rabattverfälle von den Krankenkassen einzutreiben sind. Und ob die Krankenkassen tatsächlich verspätet gezahlt haben – „denn gerade wegen des drohenden Rabattabzugs gelten die Krankenkassen als sehr zuverlässige Zahler“, so Müller-Bohn.
Na, das ist ein Coup des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) der besonderen Art, frei nach dem Motto gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht. Das BMG arbeitet seit Neuestem mit Google zusammen, um evidenzbasierte Gesundheitsinformationen präsenter im Netz zu platzieren. Und das sieht so aus: Sucht man über die Suchmaschine Google nach Gesundheitsinformationen, z. B. zur Migräne, erscheint auf der Ergebnisseite rechts an prominenter Stelle ein Infokasten, der einen Überblick, die Symptome und Behandlungen zur Migräne auflistet. Erstellt wurden die Infos von gesund.bund.de, der neuen BMG-Seite, die „verlässliche Informationen für Ihre Gesundheit“ bieten will. Und durch die Zusammenarbeit mit Google erscheinen diese Infos immer auf der ersten Ergebnisseite rechts. 160 Krankheitsbilder sind bereits eingegeben. Jens Spahn freut sich: „Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal landen und dort die Informationen finden, die er braucht.“ Fein. Und noch vor Kurzem meinte er, man dürfe die Gesundheitspolitik nicht Apple und Google überlassen. Nun ja, mein liebes Tagebuch, mittlerweile weiß Spahn, dass eine Mehrheit der Deutschen jeden Tag googelt. Und sein Portal soll nun evidenzbasierte Gesundheitsinformationen des Bundes besser im Netz platzieren als bisher. Wie gesagt, gut gemeint. Um die Seite gesund.bund.de zu füllen, arbeitet eine eigene Redaktion, die aus unterschiedlichen Quellen die Texte qualitätsgesichert zusammenträgt und erstellt. Die Qualitätskriterien leiten sich ab aus der „Guten Praxis Gesundheitsinformation“. Und als Partner der neuen Gesundheitsinfo-Seiten sind dabei das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, der Krebsinformationsdienst des Deutsche Krebsforschungszentrums und das Robert Koch-Institut. Also, man gibt sich wirklich Mühe. Aber die Verlagsbranche ist darüber not amused. Die Rede ist von der Diskriminierung der Verlagsangebote und sogar von einem Angriff auf die Pressefreiheit ist die Rede. Denn Stichproben zeigten, das bei den Suchergebnissen in der Regel fast nur noch Regierungsinformationen zu Gesundheitsfragen angezeigt werden – moniert etwa der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Was besonders verstörte, sei Spahns Formulierung, das sein Portal „verlässliche Regierungsinformationen“ biete. Für den VDZ impliziert das die Behauptung, die digitale Gesundheitsberichterstattung durch die Verlage sei weniger verlässlich. Mein liebes Tagebuch, also, nichts gegen ein Gesundheitsportal des Bundes – aber keine Bevorzugung durch Google, sondern auf Augenhöhe mit all den anderen hervorragenden Gesundheitsportalen.
26 Kommentare
Absurdistan
von PiPaPo am 17.11.2020 um 9:12 Uhr
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Spahn und die Gematik
von Karl Friedrich Müller am 16.11.2020 um 8:51 Uhr
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Bonus
von Thomas Kerlag am 16.11.2020 um 7:09 Uhr
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Mund-NaseN-Bedeckung
von K. Stülcken am 15.11.2020 um 15:41 Uhr
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AW: Mund-NaseN-Bedeckung
von Dr. House am 15.11.2020 um 16:09 Uhr
Systemrelevante Flüsterer
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 13:00 Uhr
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Resultate zählen
von Ulrich Ströh am 15.11.2020 um 9:04 Uhr
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AW: Resultate zählen
von Dr.Diefenbach am 15.11.2020 um 11:05 Uhr
Dissen erwünscht?
von Karl Friedrich Müller am 15.11.2020 um 9:03 Uhr
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AW: Dissen erwünscht
von Michael Reinhold am 15.11.2020 um 16:27 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Anita Peter am 15.11.2020 um 17:30 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Tom Beldowitz am 15.11.2020 um 17:53 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 20:05 Uhr
AW: Dissen erwünscht
von Conny am 15.11.2020 um 20:14 Uhr
Sichtweisen
von Karl Friedrich Müller am 15.11.2020 um 8:48 Uhr
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AW: Sichtweisen
von Heiko Barz am 15.11.2020 um 11:32 Uhr
AW: Schichtweise dünn auftragen oder der Bonus aus dem Zauberhut
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 13:25 Uhr
AW: Sichtweisen
von Anita Peter am 15.11.2020 um 14:08 Uhr
AW: Licht weisen
von Bernd Jas am 15.11.2020 um 18:10 Uhr
AW: Sichtweisen
von Pimaliks am 17.11.2020 um 11:04 Uhr
.
von Anita Peter am 15.11.2020 um 8:15 Uhr
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AW: .1.Kommentar
von Frank Hartmann am 15.11.2020 um 8:36 Uhr
AW: .
von Anita Peter am 15.11.2020 um 8:45 Uhr
AW: .
von Heiko Barz am 15.11.2020 um 11:07 Uhr
AW: Sichtbar gemachte Intelligenz schon ab 8.36 h?
von Christian Timme am 15.11.2020 um 22:02 Uhr
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