Entscheidung des Hanseatischen OLG

Cannabisblüten: Tücken der Herstellerangabe

Süsel - 26.01.2021, 13:00 Uhr

Das Oberlandesgericht Hamburg stuft Cannabisblüten in Kunststoffdosen als Ausgangsstoff und nicht als Arzneimittel ein. (Foto: imago images / agefotostock)

Das Oberlandesgericht Hamburg stuft Cannabisblüten in Kunststoffdosen als Ausgangsstoff und nicht als Arzneimittel ein. (Foto: imago images / agefotostock)


Das Oberlandesgericht Hamburg hat im vergangenen Dezember einem namhaften Händler per einstweiliger Verfügung verboten, Cannabisblüten mit einer bestimmten Kennzeichnung in Verkehr zu bringen. Das Gericht sah die eher geringen Kennzeichnungsanforderungen für Ausgangsstoffe nicht als erfüllt an, weil die Herstellerangabe fehlerhaft war. Dabei stufte das Gericht die Cannabisblüten in Kunststoffdosen als Ausgangsstoff und nicht als Arzneimittel ein. 

Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hat sich am 22. Dezember in zweiter Instanz mit einem Rechtsstreit über die Kennzeichnung von Cannabisblüten eines gängigen Anbieters befasst. Das Produkt genügte den Anforderungen des Gerichts nicht. Damit folgte das Gericht einer Beschwerde gegen die Entscheidung der ersten Instanz, die den Antrag auf eine einstweilige Verfügung abgelehnt hatte. Nun verbot das Hanseatische OLG dem Händler im Wege einer einstweiligen Verfügung, Cannabisblüten in der betreffenden Aufmachung in Verkehr zu bringen. Letztlich war dabei die fehlende Angabe des korrekten Herstellers und seiner Adresse entscheidend, sodass die fehlenden Angaben vermutlich leicht nachzutragen sind. Bei dem Streit ging es um die Anforderungen an die Kennzeichnung eines Ausgangsstoffs, der an Apotheken geliefert wird – nicht um Apotheken und die von Apotheken an Patienten abgegebenen Cannabisblüten. Dabei prüfte das Gericht auch, ob die Blüten in der Herstellerverpackung ein Arzneimittel sind.

Keine Beanstandung in der ersten Instanz

Bei dem Verfahren hatte ein Wettbewerbsverband argumentiert, die vom Händler in Verkehr gebrachten Cannabisblüten in Kunststoffdosen mit der Bezeichnung Cannabis flos seien Arzneimittel und dementsprechend nach § 15 der Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen (AMWHV) zu kennzeichnen. Auch wenn die Blüten keine Arzneimittel, sondern ein Zwischenprodukt seien, genüge ihre Kennzeichnung nicht den Anforderungen gemäß § 24 AMWHV. Das Landgericht Hamburg hatte die Blüten nicht als Arzneimittel, sondern als Grundstoff eines noch herzustellenden Arzneimittels eingestuft. Für einen solchen Grundstoff ist § 24 AMWHV anzuwenden, den die erste Instanz erfüllt sah.

Kennzeichnungsvorschrift für Ausgangsstoffe nicht erfüllt

Auch das Hanseatische OLG sah in den Blüten weder ein Funktions- noch ein Präsentationsarzneimittel, sondern einen Stoff im Sinne von § 3 Ziffer 2 Arzneimittelgesetz (AMG): „Pflanzen, Pflanzenteile, Pflanzenbestandteile (…) in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand“. Doch das OLG setzte sich detailliert mit der Kennzeichnung auseinander. Es bemängelte die Angaben in niederländischer Sprache nicht. Da die Lagerung bei Raumtemperatur keine besondere Bedingung sei, sei auch dazu keine nähere Angabe erforderlich. Doch fehle die nach § 24 Abs. 2 Ziffer 1 AMWHV nötige Angabe des Herstellers und seiner Adresse. Hersteller sei nicht das auf der Packung angegebene Gesundheitsministerium der Niederlande, sondern ein im GMP-Zertifikat benanntes Unternehmen. Dieses habe seinen Sitz nicht in Den Haag, sondern in Veendam. Außerdem würden Angaben zur Straße und zur Postleitzahl fehlen.

Ausgangsstoff und nicht Arzneimittel

Obwohl damit ein einzelner zentraler Aspekt der Kennzeichnung entscheidend war, befasste sich das Gericht ausführlich mit der Frage, ob die Blüten in der Aufmachung, die sich nicht an Patienten richtet, ein Arzneimittel darstellen. Ausgangspunkt war die umfangreiche Rechtsprechung zur Frage, bei welchem Herstellungsschritt ein Produkt zum Arzneimittel wird. Als begrenzendes Kriterium für die Arzneimitteleigenschaft sei gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „darauf abzustellen, dass keine wesentlichen Bearbeitungsschritte bis zum abgabefertigen Endprodukt mehr erforderlich seien“ (Bundesverwaltungsgericht, TCM-Granulate). Eine Bearbeitung oder Aufbereitung sei dann „wesentlich, wenn sie nach der Verkehrsanschauung den Herstellungsprozess präge oder für die Anwendungsfertigkeit des Erzeugnisses von besonderer Bedeutung sei“ (Bundesverwaltungsgericht, Import-Blutegel).

Vor diesem Hintergrund sah das Hanseatische OLG bei den Cannabisblüten „noch wesentliche Herstellungsschritte bis zum abgabefähigen Endprodukt ausstehen“. Dabei verwies das Gericht auf die Herstellung gemäß Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), insbesondere auf die erforderliche Qualität nach § 6 ApBetrO, die nötige Identitätsprüfung gemäß dem Arzneibuch und die Verarbeitungsmöglichkeiten anhand von vier NRF-Rezepturformeln. Zur Vorbereitung der Rezepturen würden die Blüten gemahlen und anschließend gesiebt. Wenn der Arzt Einzeldosen verordne, seien diese abzuwiegen, zu portionieren und in geeignete Behältnisse abzufüllen. „Da (…) mit dem Mahlen, Sieben, Dosieren und Abpacken in der Apotheke noch wesentliche Bearbeitungsschritte zu erfolgen haben“, seien die Blüten „(noch) nicht als Arzneimittel, sondern als (Ausgangs-)Stoff nach § 3 Ziffer 2 AMG (…) anzusehen“, erklärte das OLG. Der antragstellende Wettbewerbsverband habe jedoch vorgetragen, dass die Blüten auch unzerkleinert verordnet werden könnten. Dazu habe die gegnerische Partei auf die Identitätsprüfung und das Abpacken hingewiesen. 

Nach Einschätzung des Gerichts hat der Antragsteller seinen Vortrag nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Das Gericht stellte daraufhin „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ fest, die Blüten seien kein Funktionsarzneimittel. Sie seien auch kein Präsentationsarzneimittel. Dafür sei die an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung maßgeblich. Doch ohne Angaben zur Herstellung, Verordnung und Anwendung sah das Gericht in den Blüten kein Präsentationsarzneimittel. Da es sich stattdessen um einen Stoff gemäß § 3 Ziffer 2 AMG handele, sei § 24 AMWHV anwendbar – mit den oben genannten Folgen.

Herstellungsschritte in der Apotheke anerkannt

Auch wenn die Einordnung als (Ausgangs-)Stoff hier letztlich nicht entscheidend war, können sich daraus weitere Folgen ergeben. Denn damit erscheint die regional unterschiedliche Handhabung von importierten Cannabisblüten in neuem Licht. Offenbar haben einzelne regional zuständige Behörden diese Blüten bisher als Fertigarzneimittel eingestuft.

Möglicherweise können die Ausführungen des Gerichts auch für andere Fragen zur Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Ausgangsstoffen relevant werden. In diesem Zusammenhang hatte die Hauptversammlung des Deutschen Apothekertags 2018 den Gesetzgeber zu einer Klarstellung zum Begriff des „wesentlichen Herstellungsschritts“ im Arzneimittelgesetz aufgefordert. In der Begründung des Antrags war erläutert worden, dass jede Verarbeitungstätigkeit in der Apotheke als „wesentlicher Herstellungsschritt“ anzusehen sei. Das hat das Hanseatische OLG in dem nun verhandelten Fall offenbar entsprechend gesehen und das Mahlen, Sieben, Dosieren und Abpacken als wesentliche Bearbeitungsschritte anerkannt. Allerdings ging es in diesem Fall nicht um das Rezeptur- und Defekturprivileg der Apotheken, auf das der Apothekertags-Antrag gezielt hatte.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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