Rote-Hand-Brief zu Dinoproston

Uterine Hyperstimulation und Prostaglandine in der Geburtseinleitung

Stuttgart - 06.07.2021, 07:00 Uhr

Arzneimittel in der Geburtseinleitung sind kein einfaches Thema. Wie sind Misoprostol und andere Prostaglandine zu bewerten? (x / Foto: kieferpix / AdobeStock)

Arzneimittel in der Geburtseinleitung sind kein einfaches Thema. Wie sind Misoprostol und andere Prostaglandine zu bewerten? (x / Foto: kieferpix / AdobeStock)


Im Februar 2020 ist nach Medienberichten der Einsatz des Prostaglandins Misoprostol im Präparat Cytotec in der Geburtseinleitung in Verruf geraten. Aus der Fachwelt wurde daraufhin kommuniziert, dass weniger der Wirkstoff an sich, als seine falsche Anwendung, Dosierung und Darreichungsform (geteilte Tabletten) Gefahren mit sich bringen. Ein aktueller Rote-Hand-Brief zu Präparaten, die Dinoproston enthalten, bekräftigt nun, dass was für Misoprostol gilt, auch bei anderen Prostaglandinen in der Geburtseinleitung beachtet werden muss.

Am 28. Juni wurde ein Rote-Hand-Brief (RHB) zu den dinoprostonhaltigen Arzneimitteln Minprostin, Prepidil und Propess veröffentlicht. Im Zuge der europäischen Bewertung periodischer Sicherheitsberichte dinoprostonhaltiger Arzneimittel seien kumulative Fallberichte von uteriner Hyperstimulation, Uterusruptur sowie damit verbundener Komplikationen bewertet worden, heißt es. Diese Risiken seien zwar bereits bekannt und entsprechende Risikofaktoren würden in der Produktinformation auch bereits benannt (höhere als die empfohlene Dosierung, ein kürzeres Dosierungsintervall, vorausgegangener Kaiserschnitt sowie eine gleichzeitige Oxytocingabe), doch die Risiken sollen durch eine Aktualisierung der Informationen weiter reduziert werden.

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So wird die Anwendung der Präparate nun auf qualifiziertes medizinisches Fachpersonal und auf Krankenhäuser und Kliniken mit spezialisierten geburtshilflichen Abteilungen mit Einrichtungen zur kontinuierlichen Überwachung beschränkt.

Dinoproston ist ein Prostaglandin-E2-Derivat und kommt in verschiedenen Präparaten vor:

  • In „Prepidil Gel“ ist es zur medizinisch indizierten Geburtseinleitung bei Schwangeren mit unreifer Zervix (Gebärmutterhals) zugelassen.
  • „Minprostin E2“ ist als Vaginalgel bei Schwangeren am Termin oder nahe am Termin mit ausreichender Geburtsreife der Zervix und Einlingsschwangerschaft indiziert.
  • „Minprostin E2“ als Vaginaltabletten ist ebenfalls zur Geburtseinleitung bei Patientinnen mit ausreichender Geburtsreife der Zervix angezeigt.
  • Bei Propess handelt es sich um ein vaginales Freisetzungssystem. Es ist zur Einleitung der Zervixreifung in der Spätschwangerschaft (ab Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche) indiziert.

Weil die Warnhinweise und Empfehlungen zu den Risiken verstärkt werden sollen, heißt es nun im RHB zu Minprostin und Prepidil, dass die bisher empfohlene Dosierung nicht überschritten werden und das Dosierungsintervall nicht verkürzt werden darf. Ansonsten werde das Risiko für uterine Überstimulation, Uterusruptur, uterine Blutungen sowie fetalen und neonatalen Tod erhöht. Außerdem wird die gleichzeitige Anwendung von Oxytocin nicht empfohlen. „Sollte eine Oxytocingabe im Nachgang notwendig werden, muss ein Mindestabstand von sechs Stunden nach der letzten Anwendung eingehalten werden“, heißt es.

Bei Propess müssen nach Einlage die Uterusaktivität und der fetale Zustand sorgfältig und regelmäßig überwacht werden. Außerdem wird nur eine Anwendung empfohlen. Oxytocin dürfe frühestens 30 Minuten nach der Entfernung des vaginalen Freisetzungssystems angewandt werden.

Als Nebenwirkungen mit noch unbekannter Häufigkeit, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Auftreten einer Uterusruptur beobachtet wurden, soll in die Fachinformation folgendes neu aufgenommen werden: „fetaler Tod, Totgeburt und neonataler Tod“.

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Die medialen Wellen, die das Prostaglandin-E1-Derivat Misoprostol seit Februar 2020 geschlagen hat, haben letztlich dazu geführt, dass (endlich) ein orales Präparat (Angusta®) mit dem Wirkstoff Misoprostol in der Indikation der Geburtseinleitung zugelassen wurde. In der Lauer-Taxe (Stand 2. Juli 2021) findet man es für Deutschland aber noch immer nicht. Und das, obwohl es für das bislang „off-Label“ oral eingesetzte „Cytotec“ im April 2021 plötzlich einen Importstopp gab. Auch Angusta® enthält wie  „Cytotec“ den Wirkstoff Misoprostol – aber eben in der Dosierung und Indikation, die für die Geburtseinleitung vorgesehen sind.

Nicht die erste Rote-Hand, aber Misoprostol besser als der Rest?

Tatsächlich war auch schon in Deutschland bis August 2019 „zur Einleitung der Wehen bei Frauen mit unreifer Zervix ab der 37. Schwangerschaftswoche, wenn eine Geburtseinleitung klinisch indiziert ist“, ein Misoprostol-Präparat (200 µg) mit dem Namen Misodel im Handel. Jedoch handelte es sich bei Misodel um keine Tablette, sondern ein Vaginalinsert. Anlässlich des neuesten RHB ist das interessant, weil der pharmazeutische Unternehmer Ferring bereits 2017 in einem Rote-Hand-Brief vor erhöhter Wehenfrequenz nach Misoprostolgabe warnte: „Berichte über exzessive uterine Tachysystolie, die möglicherweise nicht auf eine Tokolyse anspricht.“ 

Sicherheitsbedenken sollen aber schließlich nicht zur Marktrücknahme geführt haben, wie Ferring gegenüber DAZ.online erklärte. Tatsächlich hatte Ferring mit Misodel und Propess (Dinoproston) zwei ähnliche Produkte zur Geburtseinleitung gleichzeitig im Portfolio und auf dem deutschen Markt, erklärte die Firma: „Weltweit hatte Misodel jedoch nicht die Akzeptanz, die es im deutschsprachigen Europa erzielt hat, und global nur einen minimalen Marktanteil im Vergleich zu Propess.“ Eine Überprüfung damaliger Fälle von uteriner Tachysystolie, die unter Tokolyse nicht nachließ, ergab jedoch, dass diese durch die Anwendung von Misoprostol verursacht werden können, selbst wenn das Arzneimittel entsprechend der Fach- und Gebrauchsinformation angewendet wird. Das kann man im RHB von 2017 nachlesen. 

Wie wirkt Dinoproston?

In der Fachinformation zu Minprostin Vaginaltabletten heißt es, dass der exakte Wirkungsmechanismus der Zervixerweichung durch Dinoproston bislang noch nicht vollständig aufgeklärt wurde (Stand Mai 2021). Dinoproston löse im Myometrium des schwangeren Uterus Kontraktionen aus, die denen bei Geburtswehen ähneln. Ob dies aber durch eine direkte Wirkung von Dinoproston auf das Myometrium erfolgt, sei noch nicht geklärt.

Ganz allgemein würden die „vielfältigen biologischen Aktivitäten des fast ubiquitär im Organismus vorkommenden Dinoprostons“ aber auf eine Stimulation der zellulären Adenylatzyklase mit Bildung von cAMP sowie auf die Beeinflussung des Calcium-Ionen-Transports durch die Zellmembran zurückgeführt. Im Speziellen konnte zudem gezeigt werden, dass Dinoproston die Durchblutung der Zervix erhöht und eine Aufsplittung der Kollagenfasern und Vermehrung der Grundsubstanz der Zervix bewirkt, was auch bei der spontanen Zervixreifung beobachtet werden könne.

Im März 2020 folgte dann anlässlich der Berichterstattung über die Cytotec-Problematik erneut ein RHB zu Misoprostol. Es hieß, dass zahlreiche neue Berichte über schwere Nebenwirkungen bei der Anwendung von Cytotec® außerhalb der zugelassenen Indikation vorlägen. Betont wurde, dass Cytotec® lediglich zur oralen Einnahme vorgesehen ist, nicht geteilt werden darf und die empfohlenen Dosierungen eingehalten werden müssen. 

Angesichts der Rote-Hand-Briefe bleibt ein getrübtes Bild der Prostaglandine in der Geburtseinleitung zurück. Am Mittwoch vergangener Woche berichtete allerdings das Ärzteblatt über das günstige Verhältnis von Wirksamkeit und Risiken bei niedrig dosiertem Misoprostol in der Geburtseinleitung. 

Wie wirkt Misoprostol?

In der Fachinformation zu Misodel (Stand Januar 2018) heißt es zum Wirkmechanismus, dass es sich bei Misoprostol um ein synthetisches Prostaglandin E1-Analogon (PGE1) handelt – „eine natürlicherweise im Körper vorkommende, wehenfördernde Verbindung“. Prostaglandine vom Typ E und F sollen in vitro die Kollagenase-Aktivität in den uterinen Zervixfibroblasten von Kaninchen steigern und in vivo die Reifung der Zervix sowie die Uteruskontraktionen fördern. 

PGE-Analoga entspannen aber laut Fachinformation auch die Bronchial- und Trachealmuskulatur, sie fördern die Schleimproduktion und vermindern die Säure- und Pepsinsekretion im Magen. Außerdem steigern sie die renale Blutzirkulation und die Menge an im Blut zirkulierendem adrenokortikotropen Hormon (ACTH) und Prolaktin. Aufgrund der kurzen Behandlungsdauer bei Geburtseinleitung wurde diesen pharmakodynamischen Effekten in der Fachinformation jedoch keine klinische Bedeutung beigemessen.

Das Ärzteblatt bezieht sich auf einen Cochrane-Review vom 22. Juni: „Nach Studienlage zeigt Misoprostol laut dem Review etwas bessere Resultate als vaginal verabreichtes Dinoproston. Inbesondere in besonders niedrigen Dosierungen bis 25 Mikrogramm führe es wahrscheinlich zu weniger Kaiserschnitten und möglicherweise zu weniger Überstimulationen als Dinoproston, bei gleichzeitig ähnlich guter Wehenauslösung“, gibt das Ärzteblatt die Ergebnisse wider. Um das optimale orale Dosierungsschema für Misoprostol zu ermitteln, seien aber weitere Studien nötig. Der Cochrane-Review unterstützt in seinem Abstract bislang die oft genannten 25 µg.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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