Rechtsstellung der Opiumtinktur

Apothekerverband Westfalen-Lippe rät aus Vorsicht von Opiumtinktur-Abfüllung ab

Münster - 04.08.2021, 15:15 Uhr

Bis ins 19. Jahrhundert wurde Opiumtinktur auch als Laudanum (Laudanum liquidum) oder Meconium vertrieben. (x / Quelle: IMAGO / United Archives International: Laudanum, Edward D. Depew & Co)

Bis ins 19. Jahrhundert wurde Opiumtinktur auch als Laudanum (Laudanum liquidum) oder Meconium vertrieben. (x / Quelle: IMAGO / United Archives International: Laudanum, Edward D. Depew & Co)


In der langen Geschichte der rechtlichen Streitigkeiten zur Opiumtinktur überrascht der Apothekerverband Westfalen-Lippe mit einer neuen Sichtweise. Bisher hatten die ABDA-Mitgliedsorganisationen stets betont, dass Urteile in der Sache nur Rechtswirkung für die unmittelbar Beteiligten haben. Nach dem „Vorsichigkeitsprinzip“ rät der Verband Westfalen-Lippe nun jedoch von der unveränderten Abfüllung von Opiumtinktur als Rezepturarzneimittel ab.

Die letzte juristische Neuigkeit zur Opiumtinktur war das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 9. Juni. Darin hatte das Gericht die an Apotheken gelieferte Opiumtinktur der Firma Maros als Fertigarzneimittel eingestuft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, weil Berufung eingelegt wurde. Inhaltlich widerspricht das Urteil einer Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, das Produkte auf dieser Ebene nicht als Fertigarzneimittel eingestuft hatte. Von diesem Verfahren auf Herstellerebene muss das Verfahren auf Apothekenebene in Hamburg unterschieden werden. Dort gibt es derzeit keine Neuigkeiten. 

Aus Anlass des Düsseldorfer Urteils hat sich im Juli die dänische Firma Pharmanovia A/S in einem Brief an Apotheken gewandt. Sie stellt Opiumtinktur als Fertigarzneimittel unter dem Markennamen Dropizol® her und erklärt in dem Brief, bereits die Abgabe der Opiumtinktur der Firma Maros an Apotheken sei „illegal“ und das Urteil habe „mittelbar“ auch Auswirkungen auf Apotheker oder Großhändler.

Keine neue Sicht bei der ABDA

Die ABDA und einzelne Apothekerverbände hatten dagegen im Zuge der vielen Rechtsstreitigkeiten immer wieder betont, dass wettbewerbsrechtliche Urteile stets nur Wirkung für die jeweils unmittelbar Beteiligten des Verfahrens hätten. Dies betrifft beispielsweise zwei Apotheken in Hamburg, denen die Abgabe der abgefüllten Opiumtinktur verboten wurde. Eine dieser Apotheken führt den Rechtsstreit weiter. Ein Ergebnis für die Apothekenebene steht damit aus. Als Reaktion auf die jüngste Entwicklung hatte die ABDA die Mitgliedsorganisationen in der vorigen Woche erneut darauf hingewiesen, dass die gerichtlichen Entscheidungen nur Bindungswirkung für die Beteiligten hätten.

Empfehlung mit größter Vorsicht aus Westfalen-Lippe

Doch der Apothekerverband Westfalen-Lippe ist nun von dieser Linie abgewichen. Der diesbezügliche Text im Mitgliederrundschreiben „Brandneu“ ist offensichtlich von größtmöglicher Vorsicht geprägt. Die Rechtslage sei „unklar und strittig“. Doch lasse sich aus unterinstanzlichen Verfahren ableiten, dass eine unveränderte Abgabe der Opiumtinktur als Rezepturarzneimittel „mit der Gefahr verbunden ist, als arzneimittelrechtlich unzulässig bewertet zu werden“. Unter dem Aspekt der Risikovermeidung und nach dem „Vorsichtigkeitsprinzip“ sei eine prognostische Einschätzung gefragt. Darum vertrete der Verband die Auffassung, „dass nach – derzeitigem – Sach- und Erkenntnisstand nicht empfohlen werden kann, weiterhin Opiumtinktur als Rezepturarzneimittel abzugeben und abzurechnen“. Dabei räumt der Verband die „alles andere als wünschenswerten Folgen für die Apotheken, insbesondere aber auch für die Patienten“ ein.

Der Verband stellt die Argumentationen der jüngsten Urteile auf der Apotheken- und der Herstellerebene dar und leitet daraus Folgefragen für die Praxis ab. Demnach sei bei einer Verordnung einer Opiumtinktur-Rezeptur von einer unklaren Verordnung auszugehen. Dem Arzt seien die Bedenken in Form eines Verstoßes gegen § 21 Abs. 1 AMG, also gegen die Zulassungspflicht, mitzuteilen. Die Abgabe eines zulassungspflichtigen Arzneimittels ohne Zulassung wäre sogar strafbar. Außerdem bestehe für jede Apotheke das Risiko, wettbewerbsrechtlich in Anspruch genommen zu werden, wie dies in Hamburg geschehen sei. Das Retaxationsrisiko stuft der Verband hingegen als gering ein, weil zwischen der Rezeptur und dem Fertigarzneimittel ein enormer Preisunterschied bestehe, wobei die Rezeptur wesentlich preisgünstiger ist.

Warnung vor Austausch bei Verordnungen

Zugleich warnt der Apothekerverband Westfalen-Lippe, Apotheken könnten bei einer Rezepturverordnung keinesfalls das Fertigarzneimittel abgeben. Denn dann entspreche die Abgabe nicht der Verordnung. In diesem Fall drohe eine Retaxation. Eine Änderung durch die Apotheke sei nicht möglich. Vielmehr müsse der Arzt ein neues Rezept ausstellen, erklärt der Verband. Wenn der Arzt Bedenken wegen der Wirtschaftlichkeit habe, könne er sich an die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe wenden. Anderenfalls bleibe der Patient gegebenenfalls unversorgt.

Fertigarzneimittel mit Lieferproblemen

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe erklärt, dass das Fertigarzneimittel Dropizol® nur in den Packungsgrößen 10 ml und 4 mal 10 ml erstattungsfähig ist, weist jedoch nicht darauf hin, dass die 10 ml-Packung gemäß einer Erklärung des ursprünglichen deutschen Vertreibers Innocur nicht lieferfähig ist. Pharmanovia hat allerdings zum 1. Juli eigene Pharmazentralnummern für Dropizol® angemeldet und erklärt in dem bereits erwähnten Schreiben, das Produkt könne über Pharmanovia bestellt werden. Auf die Verfügbarkeit beim deutschen Großhandel geht Pharmanovia in diesem Schreiben nicht ein. Nach dem Kenntnisstand der DAZ war die 10 ml-Packung bei mehreren Großhändlern gestern nicht erhältlich.

Endgültige Klärung nötig

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe äußert sich in seinem Rundschreiben nicht zur Verfügbarkeit des Fertigarzneimittels und den Folgen für die Versorgung. Zum weiteren Vorgehen heißt es in dem Rundschreiben, die hier zur Entscheidung stehenden Abgrenzungsfragen würden auch andere Arzneimittel betreffen, beispielsweise Cannabisblüten. Daher werde sich der Verband um eine grundlegende Lösung bemühen. Die ABDA setze sich mit dem Thema seit längerem auseinander und habe angekündigt, im Fall einer höchstrichterlichen Entscheidung entgegen den Interessen der Apothekerschaft, politisch gegensteuern zu wollen. Außerdem verweist der Verband auf die Überprüfung der Zulassungspflicht der Opiumtinktur durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, die die Regierung Oberfranken beantragt hatte. Der Verband werde auch dieser Sache nachgehen und gegebenenfalls um Unterstützung durch das Gesundheitsministerium von Nordrhein-Westfalen bitten.

Damit macht der Verband das Interesse deutlich, das Thema nach den jahrelangen Verfahren endgültig zu klären. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der Weg bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung noch Jahre dauern dürfte. Sollten nach einer für die Apotheken ungünstigen Entscheidung politische Maßnahmen nötig sein, würde dies noch viel länger dauern. Bisher folgen alle Positionierungen der ABDA und ihrer Mitgliedsorganisationen offenbar dem Gedanken, bis zu einer endgültigen Klärung an der üblichen Apothekenpraxis festzuhalten. Das jüngste Rundschreiben aus Westfalen-Lippe weicht erstmals davon ab und betont die größtmögliche Vorsicht. Von anderen Kammern oder Verbänden sind bisher noch keine Reaktionen auf das Rundschreiben aus Westfalen-Lippe bekannt.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Vorsichtigkeitsprinzip

von norbert brand am 05.08.2021 um 8:19 Uhr

"Vorsichtigkeitsprinzip" als Richtschnur für eigenes Handeln? Das läßt Rückschlüsse auf das Ausmaß an Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl dieses Verbandes, oder besser der Autoren?, zu. Es gibt auch die Formel "Nur wer wagt, gewinnt". Das ist mir schon lieber und das braucht dieser Berufsstand so dringend.
Wie heißt es in §1a Abs.3 ApoBetrO? "Pharmazeutische Tätigkeit im Sinne dieser Verordnung ist 1.) die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln." Gut verteidigt

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Das Ende eines Heilberufs ...

von Andreas P. Schenkel am 04.08.2021 um 22:11 Uhr

... dämmert nun langsam auf. Dies ist ein völlig unnötiger und hirnrissiger Aktionismus einer Berufszertretung.
Denn was machen wir bei der Opiumtinktur-Rezepturverordnung:
• Wir beziehen ein BtM mit allen nebenläufigen Pflichten,
• wir führen eine Ausgangsstoffprüfung durch (kann nur pharmazeutisches Personal) und
• geben den Ausgangsstoff ggf. frei (kann nur Apotheker o. Vertretungsberechtigte),
• dann füllen wir ab (können auch nichtpharmazeutische)
• kennzeichnen (machen fast nur pharmazeutische)
• und geben das Rezepturarzneimittel frei (Nur Apothekers und PI und Vorexaminierte)
Egal was sonst bereits so verquer über Herstellungsvorgänge gedacht und geurteilt worden sein mag - Schon alleine durch die Freigabe wird es zur Rezeptur-Herstellung: "Allein die Beschriftung eines Arzneimittels nur mit dem Namen des pharmazeutischen Unternehmers nach § 9 ist kein Herstellungsvorgang (Kloesel/Cyran § 4 Anm. 49), wohl aber die erforderliche nachfolgende Freigabe zum Inverkehrbringen."

Hoffentlich macht dieser kurze Exkurs deutlich, was von diesem monetenmotivierten Rumgeklage und einem einzigen Außenseiter-Urteil zu halten ist. Wenn ein Heilberuf nicht die Cojones hat, eine derart winzige, vorübergehende rechtliche Unsicherheit auszuhalten und währenddessen seinem Versorgungsauftrag nach § 1 ApoG nachzukommen, dann ist Ende Gelände, und damit auch Ende Legende!

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Opiumtinktur

von k.stülcken am 04.08.2021 um 19:15 Uhr

Es wird hier wieder an einem Ast gesägt. Nicht nur, dass wir neben anderen Befremdlichkeiten kein Wasser mehr in Alkohol kippen, gewisse Gemische nicht mehr abgeben oder auch einfache Tees nicht mehr im Vorfeld abfüllen dürfen. Auch das Abfüllen im Rezepturbereich soll in Zukunft keine apothekerliche Tätigkeit mehr sein. Wir werden mehr und mehr verzichtbar. Das alles macht der Versandhandel eher nicht. So kann man das mit den "gleich langen Spießen" auch regeln.

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