Interview mit dem früheren DocMorris-CSO Max Müller

Haben in der DocMorris-Zentrale die Korken geknallt?

Stuttgart - 19.10.2021, 12:15 Uhr

Max Müller, heute bei Bayer für Public Affairs für Deutschland und die EU zuständig, bestimmte jahrelang als Chief Strategy Officer maßgeblich die Geschicke von DocMorris. (c / Foto: Schelbert)

Max Müller, heute bei Bayer für Public Affairs für Deutschland und die EU zuständig, bestimmte jahrelang als Chief Strategy Officer maßgeblich die Geschicke von DocMorris. (c / Foto: Schelbert)


Kaum eine Person steht in der Wahrnehmung der deutschen Apothekerschaft so sehr für den Arzneimittelversandhandel wie Max Müller. Als Chief Strategy Officer bestimmte er von 2013 bis 2020 maßgeblich die Geschicke von DocMorris und war zugleich dessen prominentestes Gesicht. Anlässlich des fünften Jahrestages des EuGH-Urteils zur Preisbindung hat die DAZ mit ihm gesprochen, unter anderem darüber, wie damals die Stimmung bei DocMorris war und was er eigentlich heute macht.

DAZ: Wir können uns alle gut an den 19. Oktober 2016 erinnern. Sie vermutlich auch. Wie war das damals? Waren Sie und ihre damaligen Kollegen gespannt wie Kinder vor der Bescherung oder war es nur ein Termin, wie viele andere?

Max Müller: Es waren sicherlich alle, die rund um den Bereich Apotheke tätig sind, an diesem Tage gespannt, was das Gericht urteilen würde.

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Das unmögliche Urteil

Waren Sie vor Ort oder haben Sie das Ganze aus der Ferne verfolgt?

Es gebietet der Respekt vor dem höchsten europäischen Gericht, dass man vor Ort ist.

Haben nach der Verkündung des Urteils in der DocMorris-Zentrale die Korken geknallt?

Da ich in Luxemburg war, weiß ich das nicht einmal. Ich habe jedenfalls erstmal einen Espresso getrunken, einen doppelten, um genau zu sein.

Haben Sie persönlich mit diesem Ausgang gerechnet? Schließlich war die  Linie des EuGH bei den Apothekenthemen eigentlich vorher eine andere.

Vor Gericht und auf hoher See … rechnen kann man nie mit einem Urteil. Darauf hingearbeitet, das haben wir schon.

Man hört gelegentlich Stimmen, dass die Vertreter der Bundesregierung nicht optimal vorbereitet waren. Teilen Sie diese Auffassung?

Das kann ich nicht beurteilen.

Wenn ja, wäre mit anderer Vorbereitung in Ihren Augen ein anderer Ausgang möglich gewesen? 

Das ist eine spekulative Frage.

Dass seitens der Apothekerschaft versucht wird, die Preisbindung wiederherzustellen, war vermutlich absehbar. Sind Sie davon ausgegangen, dass es auch klappt?

Es war absehbar, dass es eine Vielfalt an Optionen geben würde, abhängig vom jeweiligen Urteil, und natürlich gab es für eine Vielzahl von diesen Optionen entsprechende Strategievarianten.

Wie bewerten Sie den Trick, das Bonusverbot im Sozialrecht unterzubringen juristisch?

Ein Gesetz durch Beschluss des Deutschen Bundestags, mit Absegnung durch die EU-Kommission, ist kein Trick.

War es bei DocMorris Strategie, die gesetzlichen Grenzen zu überschreiten?

Als Außenstehende hatten wir den Eindruck, dass es bei DocMorris Strategie war, die Grenzen des rechtlich Machbaren bewusst auszureizen und sie gelegentlich auch zu überschreiten, in der Hoffnung, dass Gerichte es dann regeln. Beispiele wären die Apotheke im Saarland, der Automat in Hüffenhardt oder eben auch die Rx-Boni. Mit dem Börsengang von Zur Rose wurde man aber deutlich zurückhaltender. Stimmt dieser Eindruck oder hat sich das einfach nur immer zufällig so ergeben?

Dieser Eindruck stimmt aus meiner Sicht nicht. Es ging um Klärung von Sachverhalten. Wenn man Themen und Inhalte weiterentwickeln will, dann braucht man auch einen Rahmen. Viele Innovationen haben per Definition keinen Rahmen. Insofern bedarf es sowohl einer politischen wie auch rechtlichen Klärung. Eine Veränderung des Status quo ist bei etablierten Strukturen nie beliebt, denn Veränderung sorgt für Aufruhr, aber sie ist notwendig, denn Stillstand ist meist der Beginn des Rückschritts.

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Rückblick auf einen schwarzen Tag für die Apotheken

Sie waren jahrelang das Gesicht von DocMorris und standen somit in der Wahrnehmung vieler Apotheker:innen in Deutschland für den Versandhandel. Wieviel vom Unmut der Apothekerschaft haben Sie mit- und auch abbekommen?

Zu viel und vor allem zu viel in meinem Privatleben. Im Beruf gehört es dazu, da ging es ja weniger um mich, sondern eher stellvertretend um eine Entwicklung. Man gewöhnt sich daran, aber schön ist es nicht. Umgekehrt habe ich aber auch extrem viele positive Erfahrungen machen dürfen. So mancher Kritiker wurde durch das persönliche Gespräch vielleicht nicht gleich zum Unterstützer, allerdings hat man sich durch gegenseitiges Verstehen, Erklären und Diskutieren annähern können. Das bleibt bis heute eine wertvolle Erfahrung.

Können Sie die Reaktionen nachvollziehen?

Klar konnte ich das verstehen, nicht unbedingt in der persönlichen Härte, in der Sache aber natürlich.

Zur Person

Der Jurist Max Müller begann seine Karriere in der Politik als Mitarbeiter in einem Bundestagsbüro. Seine ersten Berührungen mit dem Apothekenmarkt hatte Müller in den Jahren 2002 und 2003, als es vor dem EuGH darum ging, ob Rx-Versandhandelsverbote europarechtlich zulässig sind. Damals beriet er DocMorris. Im Jahr 2006 gründete er unter anderem zusammen mit dem heutigen Bundesgesundheitsminister, Jens Spahn (CDU), eine PR-Agentur. 2008, als DocMorris schon zum Stuttgarter Pharmahändler Celesio gehörte, schloss sich Müller Celesio an. Dort war er als Head of External Affairs und Prokurist unter Dr. Fritz Oesterle tätig. Einige Jahre später wechselte Müller zur Rhön-Klinikum AG, wo er für Kommunikation, Politik und CSR verantwortlich war. Ab Februar 2013 war Müller wieder für DocMorris tätig. Neben CEO Olaf Heinrich, Finanzchef Michael Veigel und Chefapotheker Christian Franken gehörte er zum Vorstand der Versandapotheke und ist für Kommunikation und Strategieentwicklung zuständig. Vergangenes Jahr verließ Müller den Arzneimittelversender. Seitdem verantwortet er bei Bayer für den Bereich Public Affairs für Deutschland und die EU.

Und was sind Ihre Aufgaben bei Bayer?

Anfang 2020 sind Sie von DocMorris zu Bayer gewechselt. Was ist dort Ihr Job? Haben Sie noch mit Apotheken zu tun?

Bei Bayer habe ich den Bereich Public Affairs für Deutschland und die EU übernommen. Ergänzend zu den klassischen Public-Affairs-Themen kümmere ich mich mit um die Umsetzung unserer Nachhaltigkeitsstrategie.

Apotheken spielen natürlich auch in meinem neuen Job eine wichtige Rolle, der Blick wandelt sich zwangsläufig. Dabei hilft die Erfahrung aus meinen vorherigen Tätigkeiten, sei es bei Celesio oder auch bei DocMorris. Alleine die vielen Bayer-Schilder neben dem Apothekennamen sind ein Sinnbild dafür. Dabei ist es faszinierend zu sehen, wie sich alleine unsere Marke in ihrem Erscheinungsbild geändert hat, das Vertrauen als Partner der Apotheke aber über diese Zeiten konstant geblieben ist. Das soll so bleiben und dafür arbeiten wir.

In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, welche Rolle die Apotheke für das Gesundheitswesen spielen kann und muss. Dabei haben exogene Faktoren, wie die Pandemie, auch dazu geführt, dass ein Veränderungsprozess beschleunigt wurde. Digitalisierung ist nicht erst seit dieser Zeit ein Thema, aber nun gänzlich nicht mehr wegzudenken. Gleichzeitig hat etwa in der Zusammenarbeit mit der Erstellung von digitalen Impfnachweisen auch ein Umdenken stattgefunden, was alles möglich sein kann. Hier wird sicherlich noch einiges passieren.

Wir bei Bayer wollen helfen, dass die Rolle der Apotheke sowohl bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wie auch in der Selbstmedikation gestärkt wird. Bewährtes stärken und Innovation fördern, dies gepaart mit den Werten und der wissenschaftlichen Kompetenz von Bayer. Ich durfte die Erfahrung machen, dass sowohl Patientinnen und Patienten wie auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Apotheke, seien es Apothekerinnen und Apotheker, PTAs oder PKAs uns vertrauen. Hier ein Teil zu sein, ist schon ziemlich cool.

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Wie hoch oben auf der Agenda steht das Thema „Sustainability“ bei Bayer, aber auch in der Branche überhaupt?

Unsere Vision lautet „Health for All, Hunger for None“. Hier setzen wir uns für inklusives Wachstum und den verantwortungsbewussten Einsatz von Ressourcen ein. Dazu gehören viele praktische Programme und Maßnahmen. Klar ist, dass nicht erst seit der Debatte um den Green Deal, das Thema Nachhaltigkeit eine besondere Bedeutung hat. Die Pandemie hat gezeigt, dass Gesundheit und die Gesundheitsversorgung nicht selbstverständlich sind. Der Wert von Forschung, der Bezug zu Wissenschaft und die Verfügbarkeit von Arzneimitteln und anderen Gesundheitsprodukten haben eine neue Bedeutung bekommen.

Um es an einem praktischen Beispiel deutlich zu machen: Nachhaltigkeitskriterien – soziale und ökologische Kriterien wie hohe Standards im Arbeits- und Umweltschutz – sollen aus unserer Sicht sowohl bei der Herstellung von Arzneimitteln als auch in der Arzneimittelversorgung mehr im Vordergrund stehen und zukünftig z. B. auch bei Ausschreibungen von Krankenkassen Berücksichtigung finden.

Nachhaltigkeit heißt für uns,  dass wir wirtschaftlichen Erfolg und Nachhaltigkeit gleichermaßen anstreben, was sich zum Beispiel auch daran zeigt, dass sich die langfristige Managementvergütung zu 20 Prozent an den Nachhaltigkeitszielen unseres Unternehmens ausrichtet.

Eine spannende Diskussion – und ich hoffe doch sehr, dass ich diese mit meinen Kolleginnen und Kollegen bei Bayer und Ihren Leserinnen und Lesern wieder verstärkt führen kann.

Vielen Dank für das Gespräch!



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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