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19. Oktober 2021
Es war ein schwarzer Tag für die Apotheken: der 19. Oktober 2016. An diesem Tag entschied der Europäische Gerichtshof, dass es keine Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für Arzneimittelversender aus dem EU-Ausland geben dürfe. Den Arzneiversandhäusern z. B. an der niederländisch-deutschen Grenze sollte der Zutritt zum deutschen Arzneimittelmarkt erleichtert werden: Preiswettbewerb nicht nur bei OTC-Arzneimitteln, sondern auch bei Rx-Arzneimitteln. 2012 hatte zwar der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe entscheiden, dass sich auch eine EU-ausländische Versandapotheke an die Vorgaben der Arzneimittpreisverordnung zu halten hat. Das gefiel den Versendern, allen voran DocMorris, nicht. Immer wieder wurden Boni und Rabatte gewährt, zahlreiche Gerichtsprozesse folgten, eine endgültige Klärung konnte nicht erreicht werden – bis diese Frage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) landete: Hält der EuGH die Rx-Preisbindung für Versandapotheken im EU-Ausland wirklich für europarechtlich unproblematisch? Das Urteil kennen wir. Der EuGH rollte einen roten Teppich für die EU-Arzneiversender aus, eine VIP-Einladung, den Arzneimittelmarkt kräftig aufzumischen und eine funktionierende Arzneiversorgung zu torpedieren. Mal ganz einfach formuliert, lautete das Urteil so: Ach, die armen EU-Versender haben es doch so schwer, auf dem deutschen Markt Geschäfte zu machen, viel schwerer als deutsche Apotheken. Sie können nicht vor Ort durch Personal individuell beraten und sie können auch keine Notfallversorgung sicherstellen, schluchz (als ob sie das je gewollt hätten). Und daher sei der Wettbewerb auch über Rx-Arzneimittelpreise doch viel wichtiger als für unsere kleinen Vor-Ort-Apotheken. Nochmals schluchz. Mein liebes Tagebuch, rückblickend und mit dem Blick auf die Entwicklung der EU-Versandkonzerne ist diese Begründung an Hohn kaum noch zu überbieten. Und das Sahnehäubchen beim EuGH-Urteil: Ja klar, grundsätzlich könne ein EU-Mitgliedstaat solche Beschränkungen beim freien Warenverkehr wie z. B. die Preisbindung bei Rx-Arzneimitteln rechtfertigen, vor allem wenn’s um die Gesundheit und das Leben gehe. Aber doch nicht in diesem Fall – nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs ist die deutsche Preisbindung nicht geeignet, um das Ziel, die flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherzustellen, zu erreichen. Es fehlten die Beweise dafür. Ja, im Gegenteil, je mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken, desto mehr gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln, meinten die Luxemburger Richter. Mein liebes Tagebuch, wie verquer muss man denken, um solche Ideen zu haben. Und was nach dem Urteil folgte, ist uns noch in schlechter Erinnerung: Die Boni-Welle der EU-Versender, Geldsparen auf Rezept. Eigentlich hätte man diesem Urteil und seinen Folgen nur durch ein Verbot des Rx-Versandhandels entgegentreten können. Doch der von der CDU eingebrachte Gesetzentwurf für ein Rx-Versandverbot scheiterte vor allem an der SPD. Aber Jens Spahn fand einen Kompromiss mit dem Vor-Ort-Stärkungsgesetz, das die Rx-Preisbindung an den Rahmenvertrag koppelte und ins Sozialgesetzbuch verschob: Damit ist zumindest ein Rx-Boniverbot im Bereich der GKV gesetzt. Bis jetzt hält diese Regelung – ob für immer, bleibt dahingestellt.
DAZ.online hat zum fünften Jahrestag dieses unrühmlichen Urteils einige Stimmen eingeholt. DAZ-Herausgeber Benjamin Wessinger hatte es zwar rational nicht ausgeschlossen, dass die EuGH-Richter so entscheiden würden, aber emotional sei es für ihn unvorstellbar gewesen. Problematisch für ihn war es, dass die ABDA nicht über Alternativen nachgedacht hatte. Und dann habe es da noch den abrupten Umschwung der ABDA gegeben, die das Rx-Versandverbot fallen ließ. Für Lutz Engelen, dem damaligen Präsidenten der Apothekerkammer Nordrhein, war das Urteil auch eine „emotionale Geschichte“. Seine Kammer hatte jahrelang gegen die Aktivitäten des Arzneiversenders DocMorris gekämpft und reichlich Erfahrung gesammelt. Er bot an, auch den entscheidenden Gerichtsprozess zu begleiten und das Verfahren nach Köln zu leiten, da sich die dortigen Richter in früheren Prozessen konsequent für die deutsche Gesetzgebung entschieden hatten. Die Verfahrensbeteiligten schlugen Engelens Angebot allerdings aus. Die ABDA hatte andere Pläne. Das Verfahren fand vor dem OLG Düsseldorf statt und ging von dort zum EuGH. Als tragisch und entscheidend für den Misserfolg nennt Engelen die Argumentationsweise der Standesführung. Im DAZ.online-Video erklärt er, warum.
Wie kam das Urteil bei DocMorris an? Haben in der DocMorris-Zentrale am 19. Oktober 2016 die Sektkorken geknallt? Max Müller, damals Chief Strategy Officer beim Versender, weiß es nicht, er war vor Ort in Luxemburg und trank einen doppelten Espresso. Auf jeden Fall habe DocMorris natürlich auf solch ein Urteil hingearbeitet, so Müller, aber wie die Richter letztlich entscheiden, wisse man nicht. Ähnlich sieht es Mathias Arnold, Vizepräsident der ABDA: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“ Immerhin, mit dem Urteil habe er sofort gewusst, „dass verdammt viel Arbeit auf uns zukommt. Die Rx-Boni waren ein Angriff auf unser Arzneimittelpreisbildungssystem und der musste abgewehrt werden.“ Mein liebes Tagebuch, im lesenswerten DAZ.online-Interview erinnert er sich auch daran, wie und warum es letztlich dazu kam, dass die ABDA dem Rx-Versandverbot keine Chance mehr einräumte. Und er begründet auch, warum die ABDA so wenig mit der Berufsöffentlichkeit kommunizierte. Und wie sieht er die Zukunft des Rx-Boni-Verbots für die GKV? Wird dieses Verbot halten? Sicher ist er sich da nicht, man müsse es beobachten, meint Arnold und fügt hinzu: „Wir müssen akzeptieren, dass wir einen Wettbewerber mehr haben auf der Welt – und das ist der Versandhandel.“
4 Kommentare
Ethik vs. Mammon
von Reinhard Herzog am 24.10.2021 um 11:33 Uhr
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Von mir aus präquilifizieren Alles, wenn
von Christiane Patzelt am 24.10.2021 um 11:07 Uhr
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AW: Von mir aus präquilifizieren Alles,
von Karl Friedrich Müller am 24.10.2021 um 11:24 Uhr
Präquali
von Karl Friedrich Müller am 24.10.2021 um 9:25 Uhr
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