HbA1C wichtiger als LDL?

Statine: Studie spricht dafür, diabetogene Risiken stärker zu berücksichtigen

Stuttgart - 28.10.2021, 17:55 Uhr

Kann unter Statin-Therapie ein Diabetes entstehen? Eine regelmäßige Kontrolle ist insbesondere bei Risikopatient:innen anzuraten. (x / Foto: dglimages / AdobeStock)

Kann unter Statin-Therapie ein Diabetes entstehen? Eine regelmäßige Kontrolle ist insbesondere bei Risikopatient:innen anzuraten. (x / Foto: dglimages / AdobeStock)


Die JAMA-Studie im Detail

Bei der vorliegenden JAMA-Studie handelt es sich um eine retrospektive Kohortenstudie, die mithilfe von „Matching“ vorwiegend männliche (94,9 Prozent) Diabetes-Patienten (zwischen Diabetes-Typen konnte nicht unterschieden werden) des „US Department of Veteran Affairs“ (VA) im Zeitraum der Steuerjahre 2003 bis 2015 untersucht hat. Es gab eine Gruppe aus Statin-Anwender:innen, die mit der Einnahme innerhalb des Studienzeitraums begonnen hatten (keine Statin-Anwendung zwölf Monate zuvor), und zum Vergleich eine Gruppe aus Patient:innen, die mit einer H2-Blocker-Therapie oder PPI-Therapie begonnen hatten (keine H2/PPI-Anwendung zwölf Monate zuvor), aber kein Statin verordnet bekamen. (Offenbar erhalten zahlreiche Patient:innen trotz Leitlinienempfehlung auch in den USA im Alltag kein Statin.) 

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In jeder Gruppe waren jeweils 83.022 Teilnehmer:innen, die im Mittel 60 Jahre alt waren. Als Einschlusskriterium mussten die Proband:innen das VA-Gesundheitssystem regelmäßig nutzen – das bedeutet, dass sie sowohl zu Beginn als auch in der Nachbeobachtungszeit mindestens einmal Kontakt mit dem VA hatten, Bludruck- und Gewichtsmessungen in Anspruch nahmen, eine Verordnung in einer VA-Apotheke einlösten und Labordaten einschließlich Blut- oder Serumglucose, Kreatinin und LDL-Cholesterol dokumentiert wurden. Wenn in der Vergleichsgruppe in der Nachbeobachtungszeit ein Rezept für ein Statin eingelöst wurde, endete diese zu diesem Zeitpunkt und die Proband:innen wechselten in die Statingruppe. Die Nachbeobachtungszeit musste mindestens 60 Tage betragen, die Diabetesdiagnose musste nicht zwingend vor der Statintherapie gestellt worden sein. Patient:innen, bei denen innerhalb von 60 Tagen nach Beginn ein neuer Diabetes, eine diabetische Komplikation, Ketoazidose, unkontrollierter Diabetes oder ein kardiovaskuläres Ereignis diagnostiziert wurde, wurden jedoch ausgeschlossen.

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Als primärer Endpunkt diente das Zusammenspiel aus 

  • Therapieintensivierung – im Vergleich zu Beginn, einschließlich Therapiebeginn mit Insulin in der Nachbeobachtungszeit oder eine gesteigerte Zahl blutzuckersenkender Arzneimittelklassen – und
  • neue persistierende Hyperglykämie oder akute glykämische Komplikationen – einschließlich fünf oder mehr Messungen von oder über 200 mg/dL Blutzucker (wenn nicht zu Beginn so) und eine neue Diagnosestellung von Diabetes mit Ketoazidose oder eines unkontrollierten Diabetes (wenn nicht zu Beginn so).

Zudem gab es vier sekundäre Endpunkte:

  • die individuelle Diabetesprogression
  • die individuelle Differenz an blutzuckersenkenden Arzneimitteln im Vergleich zu Beginn
  • die Zahl der Patient:innen mit einer verringerten Anzahl an blutzuckersenkenden Arzneimitteln und
  • die Veränderung des mittleren Blutzuckerspiegels.

Im Mittel nahmen die Statin-Anwender:innen ihre Statine über fünf Jahre ein (63 Prozent Simvastatin, 12 Prozent Atorvastatin, 11 Prozent Rosuvastatin, 10 Prozent Pravastatin). In der Vergleichsgruppe begannen schließlich 47 Prozent im Verlauf doch eine Statintherapie, 53 Prozent verwendeten nie ein Statin. Anhand der LDL-Werte konnte man nachvollziehen, dass die Statine auch tatsächlich angewendet wurden.

Diabetesprogression bei „Gesunden“ noch deutlicher

Bei den Statin-Anwender:innen war die Wahrscheinlichkeit einer Diabetes-Progression in der primären Auswertung gegenüber der Vergleichsgruppe schließlich signifikant erhöht (OR, 1.37; 95 Prozent CI, 1.35-1.40): 

  • Die Zahl der blutzuckersenkenden Arzneimittel stieg (OR, 1,41; 95 Prozent CI, 1,38- 1,43),
  • es wurde vermehrt eine Therapie mit Insulin begonnen (OR, 1,16; 95 Prozent CI, 1,12-1,19),
  • eine persistierende Hyperglykämie festgestellt (OR, 1,13; 95 Prozent CI, 1,10-1,16) und
  • neue Diagnosen von Ketoazidose oder unkontrolliertem Diabetes traten gehäuft auf (OR, 1,24; 95 Prozent CI, 1,19-1.30).

Es wurde sekundär auch gesondert eine „gesunde Kohorte“ mit Patient:innen ohne Komorbiditäten zu Beginn ausgewertet. Dort war die Wahrscheinlichkeit der Diabetesprogression in der sekundären Auswertung in der Statin-Gruppe gegenüber der gesamten Kohorte erhöht (OR, 1,56 vs 1,40).

Man könne die Ergebnisse der Studie in Zweifel ziehen, führen die Autor:innen selbst an, wenn man annimmt, dass die behandelnden Ärzt:innen neben der Statintherapie auch verstärkt versucht haben, einen Diabetes medikamentös zu kontrollieren – das würde jedoch nicht die häufigeren persistierenden Hyperglykämien oder Ketoazidosen erklären, da sie unter solchen Umständen eher abnehmen müssten. 

Die Wissenschaft sollte sich also verstärkt der Frage widmen, wie das Risiko einer Diabetesprogression gegenüber dem kardiovaskulären Nutzen einer Statintherapie abzuwägen ist.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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