COVID-19-Impfstoffentwicklung

Kreuzreaktivität: Blick auf Immunantwort gegen Beta bringt gute und schlechte Nachrichten

Düsseldorf - 31.01.2022, 10:45 Uhr

Größtmögliche Vielfalt in der Antikörper-Antwort scheint sinnvoll zu sein. (s / Bild: immimagery / AdobeStock)

Größtmögliche Vielfalt in der Antikörper-Antwort scheint sinnvoll zu sein. (s / Bild: immimagery / AdobeStock)


Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und der Charité haben noch vor dem Auftauchen der Omikron-Variante die humorale Immunantwort gegen die Beta-Variante des SARS-CoV-2 genauer unter die Lupe genommen. Sie haben die Wirksamkeit der Antikörper bei anderen besorgniserregenden Varianten untersucht. Ihre jetzt in Science veröffentlichten Ergebnisse könnten hilfreich für die Entwicklung der nächsten COVID-19-Impfstoffe sein.

Als die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Berlin und der Berliner Charité vor rund einem Jahr mit ihrer Untersuchung begannen, war Beta noch die Variante des COVID-19-Erregers SARS CoV-2, die sich am meisten vom ursprünglichen Wuhan-Wildtyp unterschied, auf dessen Spike-Protein alle aktuellen mRNA-Impfstoffe basieren. „Die Beta-Variante des Coronavirus zeigt deutliche Unterschiede zum Wildtyp, dem ursprünglichen Virusstamm. Wir wollten nun mehr über die genaue Antikörper-Antwort auf diese Variante herausfinden – um zu sehen, welche Rückschlüsse daraus auf die Immunantwort bei anderen Varianten möglich sind. Da das Coronavirus wahrscheinlich weiter mutieren wird, interessierte uns, ob die gefundenen Antikörper nur gegen die Beta-Variante wirken oder breiteres Potenzial haben“, sagt der promovierte Mediziner Momsen Reincke, Erstautor der nun in Science veröffentlichten Studie und Forscher am DZNE sowie an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Campus Charité Mitte.

Den Fokus legten die Forscher dabei auf die sogenannten neutralisierenden Antikörper, die an die Rezeptorbindedomäne (RBD) des Spike-Proteins binden. Diese isolierten sie aus dem Serum von 40 Patientinnen und Patienten aus Deutschland und Österreich, die sich mit der Beta-Variante des COVID-19-Erregers infiziert hatten und genesen waren. Alle gefundenen 81 neutralisierenden Antikörper untersuchten die Forscher hinsichtlich ihres Aufbaus der Epitope, an die sie binden, und ihrer genetischen Grundlage in den B-Immunzellen, die sie produzieren. So konnten sie die Antikörper monoklonal jeweils in größerer Menge für verschiedene Untersuchungen gewinnen.

Teil der Antikörper sogar wirksam gegen Delta und Omikron

„Wir haben getestet, ob Antikörper gegen die Beta-Variante auch gegen andere Virusvarianten wirken. Das nennt man Kreuzreaktivität. Unsere Analysen zeigen, dass einige dieser Antikörper beim Wildtyp wenig ausrichten“, sagt der promovierte Mediziner Jakob Kreye, Letztautor der Studie und Wissenschaftler am DZNE und der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie sowie der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité. Andere dagegen zeigten sich nicht nur wirksam gegen den Wildtyp, sondern auch gegen mehrere der besorgniserregenden Varianten. „Ein Teil der Antikörper gegen Beta ist sogar wirksam gegen die aktuell zirkulierenden Varianten Delta und Omikron“, erklärt Kreye.

Das Ziel: möglichst konservierte „Angriffspunkte“

Allerdings fanden die Forscher, die sich im Verlauf ihrer Studie auch die neu hinzugekommene Variante Omikron ansahen, auch, dass insbesondere zwei oft gefundene Antikörper (als CS 44 und CS 102 in der Studie benannt), die die Varianten Alpha, Beta, Gamma und Delta wirksam binden, bei Omikron kaum Affinität zeigten. „Grundsätzlich verdeutlicht Omikron in der Tat die Schwierigkeiten mit eingeschränkter Wirksamkeit von neutralisierenden Antikörpern gegen neue Varianten. RBD-Antikörper, die durch Wildtyp, Alpha, oder Delta-Variante beziehungsweise durch Vakzinierung hervorgerufen wurden, zeigen gegen Omikron eine deutlich verminderte Wirksamkeit“, sagt Reincke.

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„Wir können in unserer aktuellen Arbeit aber am Beispiel von Patientinnen und Patienten mit Beta-Infektion zeigen, dass durch Mutationen in Beta im Sinne einer ,immune evasion‘ neue Epitope entstehen, die ebenfalls wieder Angriffspunkt von kreuzneutralisierenden Antikörpern sind“, sagt der Forscher. So habe man etwa einen Antikörper aus dem Blut von Beta-Infizierten gefunden, der Beta und Omikron etwa gleich gut bindet. „Dementsprechend ist es also – zumindest nach den vorliegenden Daten – nicht so, dass das Omikron-Virus absolut gesehen schlechter zu neutralisieren ist – das Immunsystem muss tatsächlich nur die richtigen, möglichst konservierten ,Angriffspunkte‘ finden“, erklärt er.

Der Schlüssel für Kreuzreaktivität liege darin, an welcher Stelle des Spike-Proteins der jeweilige Antikörper binde und ob sich diese Stelle zwischen den Virusvarianten verändert habe. Antikörper mit breiter Wirksamkeit richten sich gegen Bereiche des Spike-Proteins, die bei den bisherigen Virusvarianten weitgehend gleichgeblieben seien, stellt Kreye klar.

Impfungen gegen mehrere Varianten schützen wahrscheinlich besser vor neuen

Aus ihren Ergebnissen ziehen die Forscher den Schluss, dass sich die Kreuzreaktivität als ein wichtiger Aspekt künftiger Impfstoffentwicklungen zeigen könnte. Auch wenn man zeigen konnte, dass sich gerade bei Omikron bislang konservierte Epitope, die bei allen anderen Varianten noch von Antikörpern erkannt wurden, offensichtlich verändert haben, haben die Forscher auch weiterhin gemeinsame Angriffspunkte gefunden.

„Fasst man diese Daten und unsere aktuellen Befunde zusammen, kommen wir zu dem Schluss, dass Antikörper, die gegen unterschiedliche Virusvarianten erzeugt wurden, sich ergänzen und so gemeinsam die Schlagkraft der Immunantwort gegen neu auftretende Varianten verbessern können. Größtmögliche Vielfalt in der Antikörper-Antwort scheint sinnvoll zu sein“, sagt Professor Harald Prüß, Forschungsgruppenleiter am DZNE und Oberarzt an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie am Campus Charité Mitte.

„Die gleichzeitige oder auch eine aufeinanderfolgende Impfung gegen verschiedene schon bekannte Varianten würde wahrscheinlich verstärkten Schutz bieten vor möglichen weiteren Formen des Coronavirus“, ergänzt Kreye. „Dieser Ansatz könnte für die Fortentwicklung der Impfstrategien relevant sein, denn es ist davon auszugehen, dass sich der Erreger auch künftig immer wieder verändern wird.“

„Weitere Ansätze, die sich bereits in der Erprobung befinden, sind die Suche nach stark konservierten Stellen des Spike-Proteins – möglicherweise in der S2-Untereinheit (des Spike-Proteins), gegen die es auch neutralisierende Antikörper gibt – hier schließt sich dann die Frage an, wie man die Impfungen verbessern kann im Sinne eines ,rational design‘, um mehr solcher Antikörper gegen konservierte Epitope zu induzieren“, sagt Reincke. Die verbesserte Induktion von kreuzneutralisierenden Antikörpern, sowie für gewisse Personengruppen die Entwicklung von Impfstoffen, die speziell auf die Induktion von starken T-Zell-Antworten ausgelegt sind, seien vielversprechende Ansätze für die Entwicklung neuer Impfstoffe, sagt der Forscher.


Quelle

SARS-CoV-2 Beta variant infection elicits potent lineage-specific and cross-reactive antibodies.; S. Momsen Reincke, Meng Yuan, Hans-Christian Kornau, Victor M. Corman et al.; Science (2022); DOI: 10.1126/science.abm5835



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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