Akuttherapie und Prophylaxe

EMA empfiehlt Zulassung von Rimegepant bei Migräne

Stuttgart - 08.03.2022, 12:15 Uhr

Rimegepant – der erste orale CGRP-Rezeptorantagonist gegen Migräne in der EU, und auch das einzige Arzneimittel, das zur Akuttherapie und zur Vorbeugung von Attacken angewendet wird. (Foto: IMAGO / Science Photo Library)

Rimegepant – der erste orale CGRP-Rezeptorantagonist gegen Migräne in der EU, und auch das einzige Arzneimittel, das zur Akuttherapie und zur Vorbeugung von Attacken angewendet wird. (Foto: IMAGO / Science Photo Library)


Mit Rimegepant (Vydura) empfiehlt die EMA das erste Arzneimittel gegen Migräne zur Zulassung, das sowohl in der Akuttherapie einer Attacke hilft, wie auch in der Prophylaxe neuen Migräneanfällen vorbeugt. Angriffspunkt ist der CGRP-Rezeptor, den auch der Migräne-Antikörper Erenumab (Aimovig) blockiert.

Der erste Wirkstoff der „Gepante“ steht kurz vor EU-Zulassung: Am 24. Februar empfahl der Humanarzneimittelausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, das CHMP, Rimegepant in VyduraTM zuzulassen – und zwar sowohl zur Akuttherapie bei Migräne wie auch zur Prophylaxe. Folgt die Europäische Kommission der EMA-Zulassungsempfehlung, was sie in der Regel tut, kommt mit Rimegepant zum einen der erste orale CGRP-Rezeptorantagonist gegen Migräne in die EU, zum anderen auch das einzige Arzneimittel, das sowohl zur Akuttherapie von Migräne wie auch zur Vorbeugung von Attacken angewendet werden darf. Antragsteller der Zulassung ist Biohaven Pharmaceutical Ireland.

Akutbehandlung und Vorbeugung

VyduraTM wird (erstmal) nur Erwachsenen zur Verfügung stehen, und zwar in einer Dosierung von 75 mg. Das vollständige Anwendungsgebiet lautet:

  • Akute Behandlung von Migräne mit oder ohne Aura bei Erwachsenen;
  • Vorbeugende Behandlung der episodischen Migräne bei Erwachsenen, die mindestens vier Migräneanfälle pro Monat haben.

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Nähere Informationen sollen nach erfolgter Zulassung verfügbar werden. Mehr Daten zur Anwendung findet man bereits in der US-amerikanischen Fachinformation – in den Vereinigten Staaten ist Rimegepant bereits auf dem Markt. Auch dort liegt die empfohlene Dosierung bei akuter Migräne bei 75 mg „je nach Bedarf“, jedoch maximal eine Tablette pro Tag. Die Sicherheit ist laut der amerikanischen Fachinformation für 18 Dosen pro Monat gezeigt. Um Migräneattacken vorzubeugen, sollen Migränepatienten jeden zweiten Tag eine Tablette à 75 mg einnehmen.

Schmelztablette begünstigt rasche Wirkung

VyduraTM gibt es als Schmelztablette, was die Anwendung für die Migränepatienten erleichtert und bei akuten Attacken für eine rasche Wirkung sorgen dürfte. Die EMA stützt ihren positiven Bescheid zu Rimegepant auf Ergebnisse von mehreren Phase-3-Studien, einer offenen Sicherheitsstudie (Akutbehandlung) sowie eine Phase-3-Studie, in der Biohaven die Wirksamkeit von Rimegepant in der Migräneprophylaxe untersuchte.

Migräne-Antikörper blockieren auch das CGRP-System

Zwar ist Rimegepant nun der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse bei Migräne, das Ziel der „Gepante“ wird in der Migränebehandlung – besser gesagt in der Prophylaxe – jedoch bereits seit Jahren genutzt: CGRP – Calcitonin Gene-Related Peptide –, der Angriffspunkt der seit 2018 verfügbaren Migräne-Antikörper Erenumab (Aimovig®), Fremanezumab (Ajovy®), Galcanezumab (Emgality®) und Eptinezumab (Vyepti®). CGRP spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Migräne, die Antikörper binden entweder CGRP direkt (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab) oder neutralisieren den CGRP-Rezeptor (Erenumab). Dieser ist auch Angriffspunkt von Rimegepant – die Folge: Die CGRP-vermittelte Migräne-Kaskade wird gehemmt. Anders als die Migräne-Antikörper, die alle subkutan oder intravenös verabreicht werden, kann Rimegepant als schnell lösliche Tablette oral eingenommen werden.

Schnelle Linderung akuter Migränekopfschmerzen und Übelkeit

Unter anderem konnte Biohaven in einer im „The Lancet“ veröffentlichten Studie („Efficacy, safety, and tolerability of rimegepant orally disintegrating tablet for the acute treatment of migraine: a randomised, phase 3, double-blind, placebo-controlled trial“) zeigen, dass Migränepatienten nach Rimegepant (n=669) schneller schmerzfrei waren als nach Placebogabe (n=682): Jeder fünfte Rimegepant-Teilnehmer (21 Prozent) berichtete zwei Stunden nach Tabletteneinnahme über Schmerzfreiheit, während es in der Placebogruppe nur jeder zehnte (11 Prozent) war. Auch waren mehr Patienten nach zwei Stunden frei von den am meisten störenden Begleiterscheinungen einer Migräne (Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit), wenn sie Rimegepant statt Placebo erhalten hatten (35 Prozent vs. 27 Prozent). Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählten Übelkeit (Rimegepant: 2 Prozent; Placebo: 1 Prozent) und Harnwegsinfektionen (Rimegepant: 1 Prozent; Placebo: 1 Prozent).

Wie effektiv wirkt Rimegepant in der Migräneprophylaxe?

Der Zulassung zur Prophylaxe von Migräne liegt eine doppelblinde, randomisierte placebokontrollierte klinische Phase-3-Studie mit einer Open-Label-Erweiterung zugrunde. In dieser Studie profitierten die Migränepatienten stärker von Rimegepant als von einer Placebotherapie (Überlegenheit): Mit Rimegepant behandelte Patienten (n=373) litten neun bis zwölf Wochen nach Beginn der medikamentösen Prophylaxe durchschnittlich an 4,3 Migränetagen weniger pro Monat, bei Placebopatienten hatten sich die monatlichen Migränetage um 3,5 Tage reduziert. Laut Biohaven ging unter Rimegepant auch bei etwa der Hälfte der Migränepatienten die Zahl der schweren und mittelschweren Migränetage pro Monat um 50 Prozent oder mehr zurück. Hinsichtlich der Nebenwirkungen waren Rimegepant und Placebo vergleichbar: In beiden Studiengruppen berichtete rund jeder Dritte (36 Prozent) über unerwünschte Ereignisse, allerdings brachen mehr Rimegepant-Studienteilnehmer die Untersuchung aufgrund von Nebenwirkungen ab (2 Prozent vs. 1 Prozent). Die Studie erschien im Dezember 2020 im Fachjournal „The Lancet“ („Oral rimegepant for preventive treatment of migraine: a phase2/3, randomised, double-blind, placebo-controlled trial“).

Die EMA sieht zusammenfassend „die Schmerzlinderung bei akuter Migräne und die Verringerung der monatlichen Migränetage in Studien zur Vorbeugung“ als Vorteile einer Therapie mit Rimegepant und begründet damit ihre Zulassungsempfehlung.

Auch Eptinezumab lindert akute Migräneattacken

Dass die Blockade des CGRP-Systems sowohl in der Prophylaxe wie auch der Akutbehandlung effektiv sein kann – Hinweise darauf lieferte bereits der ausschließlich zur Vorbeugung von Migräneanfällen zugelassene Antikörper Eptinezumab, denn: Eptinezumab half in Studien auch bei akuten Attacken – die Patienten waren schneller und häufiger kopfschmerzfrei, sie benötigten weniger ihrer Akutmedikation, und auch neue Migräneanfälle traten später auf. Grund für die rasche Linderung auch im Akutfall könnte die intravenöse Verabreichung von Eptinezumab sein (alle anderen Migräne-Antikörper spritzen die Migränepatienten subkutan).

Ist Rimegepant besser als die Migräne-Antikörper?

Interessant ist auch die Frage: Wirkt der orale CGRP-Rezeptorantagonist besser in der Migräneprophylaxe, als es die bereits angewendeten Migräne-Antikörper tun? Eine Studie, die Rimegepant direkt gegen einen oder mehrere CGRP-Antikörper oder CGRP-Rezeptor-Antikörper untersucht, fehlt derzeit. Doch kann man versuchen, Daten aus unterschiedlichen Studien miteinander zu vergleichen, was zwar fehleranfälliger ist, aber zumindest Hinweise zu der Fragestellung liefern kann. Eine solche Analyse veröffentlichten Wissenschaftler im Mai 2021 im Fachjournal „Headache“ („Matching-adjusted indirect comparisons of oral rimegepant versus placebo, erenumab, and galcanezumab examining monthly migraine days and health-related quality of life in the treatment of migraine“). Sie verglichen Daten zu Rimegepant mit Studiendaten von Erenumab (STRIVE-Studie) und Galcanezumab (EVOLVE-Studie) – die Ergebnisse: Rimegepant (75 mg alle zwei Tage) beugte Migräne besser vor als Placebo und war Erenumab und Galcanezumab zumindest nicht unterlegen.

USA: zunächst war Rimegepant nur zur Akuttherapie zugelassen

Die FDA ließ Rimegepant in den Vereinigten Staaten bereits am 27. Februar 2020 zu, und zwar zunächst ausschließlich zur Akuttherapie der Migräne. Im Jahr darauf, am 27. Mai 2021, erweiterte die FDA das Anwendungsgebiet – seither dürfen Migränepatienten Rimegepant auch einnehmen, um Migräneattacken vorzubeugen. Nurtec® ODT 75 mg – so lautet der Handelsname des Migränepräparats in den Vereinigten Staaten – ist auch in den USA der erste und einzige orale CGRP-Antikörper, mit dem Migräniker sowohl akute Migräneanfälle behandeln können wie auch neuen Attacken vorbeugen. (Das erste Gepant in den USA war jedoch Ubrogepant, das darf jedoch ausschließlich in der Akuttherapie verordnet werden.) Daneben dürfen bereits Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel Rimegepant einsetzen, allerdings (bislang) nur zur Akuttherapie.

Pfizer an Vermarktungsrechten beteiligt

Anfang dieses Jahres einigten sich Pfizer und Biohaven zu den Vermarktungsrechten von Rimegepant: Pfizer verfügt über die Vermarktungsrechte für Rimegepant in Märkten außerhalb der USA, Biohaven ist weiterhin weltweit für die Forschung und Entwicklung zuständig und behält die Rechte für den US-Markt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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