Wegen schlechter Datenqualität

EMA empfiehlt Ruhen von etwa 100 Generikazulassungen

Stuttgart - 24.05.2022, 16:15 Uhr

Der Humanarzneimittelausschuss der EMA (CHMP) hat sich wieder einmal in Indien durchgeführte Studien vorgenommen. (c / Foto: IMAGO / VWPics)

Der Humanarzneimittelausschuss der EMA (CHMP) hat sich wieder einmal in Indien durchgeführte Studien vorgenommen. (c / Foto: IMAGO / VWPics)


Einer ganzen Reihe von Generika droht in Europa der Rückruf. Hintergrund ist eine Empfehlung des Humanarzneimittelausschusses der EMA, die jeweiligen Zulassungen ruhen zu lassen. Das Gremium hat Zweifel an der Qualität der zulassungsrelevanten Studien, die von einem indischen Auftragsinstitut durchgeführt wurden. Auch in Deutschland wären Produkte betroffen. Die endgültige Entscheidung darüber obliegt nun der Europäischen Kommission. In den letzten Jahren hatte es immer wieder Rückrufe aufgrund von Schlampereien bei in Indien durchgeführten Studien gegeben. 

Zahlreiche der in Europa auf dem Markt befindlichen Arzneimittel werden in Indien hergestellt. Dort werden auch Studien zum Beispiel zur Bioäquivalenz von Generika durchgeführt. Bei Synchron Research Services, einem Auftragsinstitut mit Sitz in Ahmedabad, Indien, das derartige Studien durchführt, wurden offenbar Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung von Bioäquivalenzstudien festgestellt. Das teilt unter anderem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf seiner Webseite mit. Diese Unregelmäßigkeiten ließen ernste Bedenken hinsichtlich des Qualitätsmanagementsystems des Dienstleisters und der Zuverlässigkeit der Daten, die dort erhoben werden, aufkommen, heißt es. 

Es geht um etwa 100 Generika, die in ganz Europa auf dem Markt sind, auch in Deutschland. Die Überprüfung wurde von mehreren nationalen Arzneimittelzulassungsbehörden in verschiedenen EU-Ländern, darunter Belgien, Dänemark, Finnland, Niederlande und Schweden, im Anschluss an eine Inspektion zur Guten Klinischen Praxis (GCP) sowie einer Analyse von Studiendaten durch die US-Arzneimittelbehörde FDA gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG initiiert. Die Analyse hatte im Übrigen dazu geführt, dass die FDA bereits im September 2021 alle beim fraglichen Institut durchgeführten Studien abgelehnt hatte. Außerdem hatte es offenbar schon bei früheren Inspektionen Bedenken gegeben, ob bei Synchron Research Services alles vorschriftsmäßig läuft.

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Panexcell Clinical Laboratoires Prv. Ltd.

Wieder mangelhafte Bioäquivalenzstudien aus Indien

Weil es für die große Mehrheit der betroffenen Mittel keine ausreichenden Bioäquivalenzdaten aus anderen Quellen gibt, hat der CHMP empfohlen, die Zulassungen ruhen zu lassen, was bedeutet, dass sie zurückgerufen werden. Für einen kleinen Anteil gibt es andere Daten, diese Produkte dürfen auf dem Markt bleiben. Um das Ruhen der Zulassungen wieder aufzuheben, müssen die betroffenen Unternehmen andere Bioäquivalenz-Daten als die Synchron Research Services vorlegen.

Was laufende Zulassungsverfahren angeht, werden bis auf einige Ausnahmen aktuell die Arzneimittel, deren Daten ausschließlich von Synchron Research Services stammen, in der EU keine Zulassung erhalten.

Liste der betroffenen Präparate

Die EMA hat eine Liste der betroffenen Präparate zusammenstellt.

Bei betroffenen Arzneimitteln, die in den jeweiligen Staaten von kritischer Bedeutung sind, zum Beispiel weil es keine Alternative gibt, wurde den nationalen Behörden die Möglichkeit eingeräumt, das Ruhen der Zulassung und somit den Rückruf vorübergehend aufzuschieben. Darüber sollen die Mitgliedstaaten entscheiden, ob ein Rückruf der betroffenen Arzneimittel in ihrem Zuständigkeitsgebiet erforderlich ist.

Die Entscheidung, ob die Empfehlungen des CHMP so umgesetzt werden sollen, es also Rückrufe gibt, obliegt nun der Europäischen Kommission.

Immer wieder Pfusch bei in Indien durchgeführten Studien

Es ist nicht das erste Mal, dass es bei in Indien durchgeführten Studien Probleme gibt. Bereits im Sommer 2015 hatte die EU-Kommission das Ruhen mehrerer hundert Arzneimittel-Zulassungen angeordnet. Dem war die Überprüfung von 1.000 Zulassungen aus den Jahren 2004 bis 2014 vorangegangen, nachdem bei einer Inspektion bei einer anderen indischen Firma, GVK Biosciences, erhebliche Mängel bei der Studiendurchführung und der Datenvalidität insbesondere von EKG-Daten festgestellt worden waren. Für etwa 300 Arzneimittel konnten die Zulassungsinhaber ausreichende andere klinische Daten zur Verfügung stellen, sodass diese verkehrsfähig blieben. Die Zulassungsinhaber von sieben betroffenen Arzneimitteln verlangten anschließend eine erneute Überprüfung. Lediglich für eine Zulassung hob die EMA ihre Empfehlung daraufhin auf – für rund 700 empfahl sie weiterhin das Ruhen.

Die damalige Bundesregierung hatte die Vorfälle um die mangelhaften Zulassungsstudien durch das indische Auftragsforschungsinstitut GVK Biosciences zu „einem bislang seltenen Einzelfall“ erklärt.

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Im August 2016 hatte das BfArM dann das befristete Ruhen von Zulassungen angeordnet. Im Vorfeld waren bei der Firma Semler Research Center (SRC) Private Limited in Bangalore, die zahlreiche klinische Studien für Pharmafirmen durchgeführt hatte, gravierende Mängel festgestellt worden. So sollen beispielsweise Patientenproben manipuliert worden sein, auch im Qualitätsmanagementsystem identifizierte man Mängel.

2017 und 2020 wurden weitere Fälle bekannt

Die nächsten Scharmützel um indische Studien gab es dann 2017, als es in zwei Studienzentren der indischen Firma Micro Therapeutic Research Labs bei der Studiendurchführung offensichtlich eklatante Mängel gab. 22 Zulassungen waren es in Deutschland, für die der Humanarzneimittelausschuss der EMA empfahl, sie ruhen zu lassen. Auch 2017 ging es um Bioäquivalenz.

2020 leitete die EMA erneut ein europäisches Risikobewertungsverfahren ein, nachdem deutsche und österreichische Inspektoren im Oktober 2019 bei der Firma Panexcell Clinical Laboratoires Prv.Ltd. am Standort Mumbai in Indien Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung von Bioäquivalenzstudien festgestellt hatten. Auch hier empfahl der CHMP, die Zulassungen ruhen zu lassen.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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