Herausforderung in der Offizin

Suizidale Menschen in der Apotheke – erkennen, ansprechen, Hilfe anbieten

Berlin - 02.06.2022, 15:15 Uhr

Was kann das Apothekenpersonal tun, wenn ein Kunde oder eine Kundin suizidale Absichten äußert? (Foto: Schelbert / DAZ)

Was kann das Apothekenpersonal tun, wenn ein Kunde oder eine Kundin suizidale Absichten äußert? (Foto: Schelbert / DAZ)


Suizidprävention erfordert Fingerspitzengefühl und Aktivität. Doch wie können die Mitarbeitenden in den Apotheken suizidale Menschen erkennen, mit ihnen ins Gespräch kommen und ihnen helfen? Darüber informierte Professor Barbara Schneider aus Köln beim Pharmacon in Meran.

Bestimmte Lebensumstände erhöhen das Suizidrisiko – dazu zählen auch Krankheiten, zum Beispiel Krebs und Depression. Das berichtete Professor Barbara Schneider, Chefärztin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen am akademischen Lehrkrankenhaus der Universität Köln, in Meran. Hat das pharmazeutische Personal den Verdacht, ein Patient in der Apotheke könnte des Lebens überdrüssig sein, ist es das A und O, auf die passende Ansprache zu achten, wenn man helfen möchte.

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Hierzu hatte Schneider einige Tipps im Gepäck. Das Wichtigste vorweg: „Bleiben Sie authentisch!“ Schneider rät explizit davon ab, „zu sagen, was man in einem Buch gelesen hat“. Ein Beispiel für einen Gesprächseinstieg könnte der Ärztin zufolge sein: „Ich kenne Sie ja schon seit einiger Zeit als einen sympathischen und aufgeschlossenen Menschen. Aber jetzt mache ich mir ein wenig Sorgen um Sie. Hätten Sie vielleicht gerade Zeit für ein kurzes Gespräch?“ Letztlich müsse aber jeder seinen individuellen Weg finden, Zugang zum Gegenüber zu bekommen.

Entwicklung der Suizidziffer in Deutschland

Die Zahl der Suizide in Deutschland (Suizidziffer) hat sich von 1980 bis 2020 etwa halbiert: Sie ist von rund 180.000 auf ungefähr 90.000 pro Jahr gesunken. Nach wie vor nehmen sich deutlich mehr Männer das Leben als Frauen (2020: gut 7.000 Männer und knapp 2.000 Frauen). Besonders oft trifft es Männer ab einem Alter von 75 Jahren – bei den 75- bis 79-Jährigen lag die Suizidrate nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2020 bei mehr als 30 pro 100.000 Einwohner. Je älter die Männer werden, desto gefährdeter sind sie: Die Suizidrate steigt mit zunehmendem Alter bis auf 80 pro 100.000 Einwohner bei den Über-89-Jährigen. Zum Vergleich: Bei den Frauen in dieser Altersgruppe lag die Suizidziffer im Betrachtungszeitraum ungefähr bei 17.

Ausgangspunkt könne etwa sein, sich zu fragen, wie es einem selbst in der jeweiligen Situation gehen würde. In jedem Fall sei es wichtig, die Probleme nicht zu bagatellisieren. Das sorge für einen Vertrauensverlust. „Nehmen Sie sie ernst, ohne zu werten“, empfiehlt Schneider.

Was kann das Apothekenpersonal konkret tun?

Gelingt es, ins Gespräch zu kommen, gilt es laut Schneider folgende vier Fragen zu klären:

  1. Hatten Sie in letzter Zeit mal das Gefühl, dass Sie nicht mehr weiterleben möchten?
  2. Haben Sie in letzter Zeit mal daran gedacht, Ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen?
  3. Haben Sie Vorstellungen oder Pläne darüber, wie oder wann Sie sich das Leben nehmen würden?
  4. Haben Sie schon irgendwelche Vorbereitungen getroffen, etwa einen Abschiedsbrief geschrieben oder Suizidmittel besorgt?

Warnzeichen können der Psychiaterin zufolge neben einer konkreten Ankündigung und Vorbereitung einer suizidalen Handlung auch eine zunehmende gedankliche Einengung, Vernachlässigung der sozialen Kontakte, eine plötzliche Veränderung der Stimmung und eine unerwartet auftretende Ruhe nach Suizidäußerungen sein. Sieht jemand keinen Sinn mehr oder kündigt an, reinen Tisch machen zu wollen, sollten die Alarmglocken schrillen, ebenso wenn von verschiedenen Ärzten suizidtaugliche Mittel verschrieben werden.

Übrigens: Der Suizid durch Medikamente liegt auf Platz drei der am häufigsten gewählten Wege, sich das Leben zu nehmen. Etwa 1.000 Menschen nutzen im Jahr 2020 dafür Arzneimittel – und zwar ungefähr gleich viele Männer und Frauen. „In der Selbstmedikation spielt zum Beispiel Paracetamol noch immer eine große Rolle“, sagte Schneider. Auf Platz 1 rangiert das Erhängen (2020: knapp 3.500 Männer und gut 700 Frauen), Platz 2 belegten sonstige Todesarten (400 Frauen und fast 900 Männer), zu denen aber auch der Gebrauch von Giftstoffen zählt, die in der Apotheke zu haben sind.

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Was kann das Apothekenpersonal konkret tun, wenn ein Kunde suizidale Absichten äußert? „Reden hilft“, betonte Schneider. „Schauen Sie nicht weg, bieten Sie Hilfe an.“ Wichtig sei es, einen verlässlichen Ansprechpartner für diesen Menschen zu organisieren, etwa eine Beratungsstelle, einen Arzt oder die Telefonseelsorge. Sind die suizidalen Absichten sehr akut, kann also die Person zum Beispiel nicht mehr garantieren, dass sie am nächsten Tag noch am Leben ist oder kann sie ihre Suizidgedanken nicht mehr kontrollieren, komme auch eine stationäre psychiatrische Behandlung in Betracht. „Begleiten Sie den Suizidalen in die nächste Einrichtung oder rufen Sie den Rettungswagen oder die Polizei.“ Allerdings, unterstrich Schneider, dürfe niemand dazu gezwungen werden, Hilfe anzunehmen.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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