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5. Juli 2022
Noch so ein Irrsinn: die neue Testverordnung, die ab 30. Juni in Kraft ist. Die Tests sind nicht mehr für alle Bürgerinnen und Bürger kostenlos, viele müssen nun eine Eigenbeteiligung von mindestens 3 Euro bezahlen. Und die Teststelle muss überprüfen, ob die zu Testenden denn auch für die kostenlosen Tests oder die 3-Euro-Tests berechtigt sind. Wird keiner der definierten Punkte erfüllt, muss der volle Preis (zwischen und 10 und 15 Euro) bezahlt werden Mein liebes Tagebuch, Apotheken, die auch weiterhin Tests anbieten, müssen also nachfragen, ob die zu Testenden die Anforderungen erfüllen. Im Klartext: mehr Bürokratie für die bisher relativ unkomplizierten Testungen. Kritik kam von verschiedenen Seiten. Auch Dr. Christian Fehske von der Rathaus-Apotheke Hagen wendet sich mit einem Hilferuf an das Bundesgesundheitsministerium (BMG). In einem Schreiben ans BMG beklagt er, dass die aktuelle Fassung der Testverordnung sowohl für Bürger als auch für Teststellen eine Zumutung sei. Er bittet zu prüfen, ob nicht eine „Rückkehr zur alten Testverordnung bei gleichzeitig deutlich intensivierten Betrugs-Kontrollen“ die gleichen Ziele erreichen könne. Mein liebes Tagebuch, richtig, einerseits verspricht die Politik ständig, Bürokratie abzubauen, und schon ist wieder eine Verordnung, ein Gesetz auf den Weg gebracht, das ein Vielfaches an kleinteiliger Bürokratie bringt. Eine Farce!
Nochmal zur geplanten Erhöhung des Kassenabschlags auf 2 Euro. DAZ-Wirtschaftsexperte Dr. Thomas Müller-Bohn hat sich das Vorhaben des BMG angeschaut und nachgerechnet. Für die Krankenkassen wäre der Vorteil dieser Maßnahme angesichts ihres gewaltigen Finanzvolumens überschaubar: Die Maßnahme würde den Krankenkassen etwa 142 Mio. Euro Ausgaben pro Jahr ersparen. Das würde nur 0,5 Promille der GKV-Ausgaben des Jahres 2021 ausmachen. Mein liebes Tagebuch, was für die Krankenkassen eher als Peanuts um die Ecke kommt, ist für die Apotheken dagegen erheblich. Müller-Bohn rechnet vor, dass der erhöhte Abschlag die Apotheken fast so belasten würde wie ein Wegfall des Notdienstfonds. Mein liebes Tagebuch, man kann es also auch so sehen: Da haben wir vor Jahren mühsam ein Honorar für den Notdienst eingefordert und erhalten und nun wird es durch das befristete Sonderopfer für zwei Jahre rückgängig gemacht. Das kommt doch alles irgendwie irre um die Ecke, oder? Und von wegen Effizienzreserven: Eine Durchschnittsapotheke wird durch die Erhöhung des Kassenabschlags mit 6400 Euro belastet, sprich es ist eine simple Kürzung der Einnahmen. Was hat das mit Effizienz zu tun?
Der Skandal der Woche: Der Hessische Hausärzteverband macht Stimmung gegen die honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen. Er ruft seine Ärztinnen und Ärzte dazu auf, „Fälle, in denen eine inkompetente Beratung durch Apotheken stattgefunden hat“, zu dokumentieren. Der Hausärztverband verteilte in der vergangenen Woche „Patienteninformationen“ an die Hausarztpraxen, die die pharmazeutischen Dienstleistungen in ein schlechtes Bild rücken sollen. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessens (KV) unterstützte diese Aktivitäten. In einem Schreiben an die Mitglieder begrüßt sie die Aktion des Hausärzteverbands und stellt Mittel und Wege dar, wie die Vor-Ort-Apotheken boykottiert werden können. Mein liebes Tagebuch, als ich das Schreiben des Hausärzteverbands bzw. der KV durchgelesen habe, traute ich meinen Augen nicht. Kann es sein, dass im Jahr 2022 Ärzteverbände derart primitiv gegen Apotheken hetzen? Im Hintergrund geht es darum, dass die ärztlichen Verbandsfunktionäre den Apotheken die Honorare für die Dienstleistungen nicht gönnen. So hält die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KV) die pharmazeutischen Dienstleistungen und die vorgesehene Honorierung für einen „Schlag ins Gesicht jeder Ärztin und jedes Arztes und eine Kriegserklärung der Apothekerinnen und Apotheker an die KV-Mitglieder“. Der Apothekerschaft wird gedroht, den Sprechstunden- und Praxisbedarf bei anderen Quellen zu beziehen. Außerdem sollen die Ärztinnen und Ärzte wohl auch die Patientinnen und Patienten befragen, wie die Beratung in den Apotheken lief und ob eine „inkompetente Beratung durch Apotheken stattgefunden hat“. Darüber hinaus will die KV selbst „zuverlässige Anbieter“ finden, um „über Rezeptterminals in den Praxen Rezepte auf einem Weg einlösen zu können, der nicht durch inkompetente Beratung belastet ist“. Mein liebes Tagebuch, was hier gerade abläuft ist unterste Schublade, da drehen gerade einige Standesfürsten der Ärzte durch – man kann es nicht anders nennen. Denn mit einer Kritik- und Diskussionskultur hat das nichts mehr zu tun. Wie reagieren unsere Vertreter auf diese skandalöse Hetze? Bisher habe man eine konstruktive Zusammenarbeit mit der KV gepflegt, lässt Holger Seyfarth, Chef des Hessischen Apothekerverbands, wissen. Doch mit der Einführung der honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen sei diese erschüttert. Man wolle nicht mit demselben Tenor darauf reagieren, vielmehr versuche man den Konflikt in persönlichen Gesprächen zu lösen. Auch die ABDA-Präsidentin habe inzwischen Kontakt zur KV aufgenommen. Darüber hinaus hat der Hessische Apothekerverband angekündigt, rechtliche Schritte zu prüfen. Mit diesen Schritten sollte der HAV nicht zögern, denn in den Ankündigungen der KV ist erhebliches Potenzial enthalten, das womöglich gegen Gesetze verstößt und Verunglimpfungen und einem Boykottaufruf gleichkommt. Auch für die Präsidentin der Apothekerkammer Hessen, Ursula Funke, ist mit dem Vorgehen der Hessischen Ärztefunktionäre eine rote Linie weit überschritten. Sie bringt es auf den Punkt: Es geht bei der KV Hessen nicht um Patientenversorgung, „sondern schlicht um pekuniäre Gründe und Wahlkampf bei der KVH“, wie sie im DAZ.online-Interview sagt. Sie macht deutlich, dass der Hausärzteverband mit seinen Aktionen kranke Menschen, Patienten verunsichert und instrumentalisiert, um einen anderen Heilberuf zu diffamieren – das sei für sie ein absolutes No-Go. Mein liebes Tagebuch, man kann nur hoffen, dass sich die Hessischen Ärztefunktionäre wieder einkriegen – eine öffentliche Entschuldigung ist das Mindeste, was wir jetzt erwarten.
Der Streit um die neue Testverordnung zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist beigelegt. An den neuen Regeln wird zwar nichts geändert, die Kassenärztlichen Vereinigungen überprüfen weiterhin die rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen aus den Zentren und die Akkreditierung der Testzentren. Die KVen geben dann die Daten an den Bund weiter, der die Plausibilität der durchgeführten Tests und die Ergebnisse überprüft und Auffälligkeiten an die verantwortlichen Ordnungsbehörden der Kommunen weitergibt. Die Ordnungsbehörden teilen dann gegebenenfalls den KVen mit, in welcher Höhe Rückforderungen zu erfolgen haben. Mein liebes Tagebuch, ob das dann alles so wie gewollt funktioniert, wird man sehen. Zumindest sind beide Seiten erstmal damit zufrieden. Und für den KBV-Vorstand ist geklärt, „dass die KVen die neuen Anspruchsvoraussetzungen für Bürgertests nicht prüfen müssen.“ Und der KBV-Vorstand geht davon aus, dass die KVen für Betrugsfälle, denen falsche oder gefälschte Angaben von Getesteten oder Teststellen zugrunde liegen, weder verantwortlich sind noch dafür im Nachhinein verantwortlich gemacht werden können. Mein liebes Tagebuch, wie dann allerdings die Angaben der Getesteten im Nachhinein verifiziert werden können und wer letztlich dafür verantwortlich gemacht werden kann, erschließt sich aus all dem nicht wirklich.
2 Kommentare
Wir wollen Karl!
von Dr. Radman am 10.07.2022 um 13:21 Uhr
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von Beldowitz am 10.07.2022 um 8:12 Uhr
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