Europa

EU-Wahl: Der Blick der Pharmaindustrie

Berlin - 28.05.2024, 17:50 Uhr

Was erwarten die Arzneimittelhersteller von der anstehenden Abstimmung? (Foto: IMAGO / Ardan Fuessmann)

Was erwarten die Arzneimittelhersteller von der anstehenden Abstimmung? (Foto: IMAGO / Ardan Fuessmann)


Es stehen Wahlen für ein neues EU-Parlament an. Welche Prioritäten hat die Pharmaindustrie? Die DAZ fragte nach.

Pandemie und anhaltende Lieferengpässe: Die Arzneimittelversorgung ist in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maß in den Fokus der EU gerückt. Seinen Ausdruck findet das unter anderem darin, dass seit geraumer Weile an einer Überarbeitung der Arzneimittelregeln gewerkelt wird, dem sogenannten EU-Pharmapaket.

Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sprach bei dessen Vorstellung Ende April vergangenen Jahres von einem „historischen Tag für Bürger, Patienten und die Industrie“. Der Europäische Pharmaverband (EFPIA) war da etwas kritischer. Der damalige Präsident Hubertus von Baumbach begrüßte „die Bemühungen“, warnte aber, die Vorschläge gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie.

Das zeigt nicht zuletzt: Für die Branche geht es derzeit um etwas. Und auch wenn das EU-Parlament seither grünes Licht gegeben hat und nun schon der Trilog ansteht, schauen die Arzneimittelhersteller auf die Wahlen Anfang Juni. Nicht zuletzt tobt auch der Wahlkampf und die Parteien haben verschiedene Konzepte, wie sie das Problem der Arzneimittelversorgung angehen wollen. In einem sind sie sich aber alle einig: Die Produktion in der EU muss angekurbelt werden.

Für die Pharmabranche geht es um was

Die DAZ fragte bei den deutschen Verbänden nach, was sie von den Wahlen erwarten. Natürlich setzen sie sich für die Belange der Industrie ein. Aber sie haben auch allgemeine Entwicklungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Blick, wie sich zeigt.

„Europa ist ein Kultur- und Wirtschaftsraum, der viele Perspektiven und noch mehr Möglichkeiten bietet. Daraus müssen wir, und damit meine ich alle politisch denkenden Menschen, auch etwas machen!“, sagt Han Steutel, der Präsident des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) gegenüber der DAZ.

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Im Gesundheitssektor gebe es Herausforderungen, „vor denen alle stehen und die sich besser gemeinsam lösen lassen“. Als Beispiel nennt Steutel die Nutzenbewertung von Arzneimitteln.

Antibiotikaforschung: „Kraft, Impulse zu setzen“

Dabei habe Europa „auch die Kraft, Impulse zu setzen“. Als Beispiel nennt der VFA-Präsident neue Modelle zur Antibiotikaforschung. In den vergangenen Jahren sind kaum neue Antibiotika auf den Markt gekommen. Um das zu ändern, sieht das EU-Pharmapaket nun ein Voucher-System vor. Konkret heißt das, dass für die Entwicklung von bestimmten innovativen Antibiotika ein Gutschein für die Verlängerung des Unterlagenschutzes vergeben wird – der auch für ein anderes Arzneimittel eingesetzt werden kann.

Die EU werde aber auch Mut brauchen, „das große Thema der strategischen Autonomie und Resilienz anzupacken“. Das gelte besonders für die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten.

Zu guter Letzt warnt Steutel aber auch davor, „durch übertriebene Detailregelungen seine Effektivität zu verlieren“. Im EU-Pharmapaket sieht er dafür ein Beispiel. Komplexe Regelungen würden „neue Probleme schaffen, ohne bekannte Probleme zu lösen“.

„Geopolitische Abhängigkeit von China reduzieren“

Der Verband Pro Generika setzt andere Prioritäten. Er will, dass Europa „der Motor“ werden soll, „wenn es um eine verlässlichere Versorgung mit Generika geht“. Konkret fordert Geschäftsführer Bork Bretthauer gegenüber der DAZ, es brauche „mehr Tempo bei der Stärkung des Produktionsstandorts, um die geopolitische Abhängigkeit von China zu reduzieren“.

Im Blick hat der Verband aber auch das Vergaberecht. Da müssten Krankenkassen „diversifizierte Lieferketten in Ausschreibungen berücksichtigen und honorieren“. Seit Inkrafttreten des Lieferengpassgesetzes (ALBVVG) müssen die Kassen, wenn sie Rabattverträge für Antibiotika ausschreiben mit ein Los auch die EU-Produktion berücksichtigen. Dasselbe gilt nun auch teilweise für Onkologika – aber längst nicht in einem für Pro Generika zufriedenstellenden Maß.

Mit dem ALBVVG waren aber auch neue Dokumentationsaufgaben für die Industrie verbunden. Da fordert Bretthauer „ein Ende der stetig steigenden Auflagen und Meldepflichten“. Sie könnten keine Engpässe verhindern und „verursachen bloß mehr Bürokratie“.

„Hoher regulatorischer Druck“

Den „hohen regulatorischen und bürokratischen Druck“ hat auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) im Blick. Dieser entstehe etwa, wenn viele Vorhaben des EU-Green-Deals umgesetzt werden und müsse „erheblich“ verringert werden, so ein BPI-Sprecher zur DAZ. Man brauche ein „Politikumfeld, das die richtigen Weichen für eine wirtschaftlich nachhaltige, innovative und patientenorientierte Versorgung mit Arzneimitteln in der EU stellt“.

Neben dem Bürokratieabbau nennt der BPI hier auch die „unverzügliche Ernennung eines EU-Kommissariats, das sich speziell um die Förderung robuster Lieferketten und Wettbewerbsfähigkeit kümmert“. Ein Fokus liege zudem darin, die zukunftsweisende und sinnvolle digitale Transformation der Pharmaindustrie zu fördern.

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH, bald Pharma-Deutschland) erwartet von den anstehenden Wahlen „richtungsweisende Entscheidungen, die die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärken und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie fördern“. Das sagte eine Verbandssprecherin der DAZ.

In einer Pressemitteilung hatte der Verband in der vergangenen Woche ein ausführliches Zehn-Punkte-Positionspapier versandt und die zukünftigen Mitglieder des EU-Parlaments aufgefordert, „sich für eine starke, gerechte und wettbewerbsfähige europäische Pharmaindustrie einzusetzen“. Mit Blick auf das derzeit verhandelte Pharmapaket wird beispielsweise „ein starker und umfassender Schutz des geistigen Eigentums“ gefordert.

Für den anstehenden Trilog sollte das neue EU-Parlament seine Haltung zu neuen geplanten „bürokratischen Hürden“ überdenken. Genannt werden unter anderem geplante Verschärfungen bei der Umweltrisikobewertung und neue Verpflichtung in Zusammenhang mit den Lieferengpässen.


Matthias Köhler, DAZ-Redakteur
redaktion@daz.online


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