Fall 1: In der M. Apotheke erscheint ein Kunde mit einem (angeblich) von Dr. med. S. ausgestellten Rezept für Tilidin-Tabletten. Da der Aufdruck der Adresse nicht vollständig ist und das Rezept auch nicht magnetcodiert ist, kommen bei der Mitarbeiterin des Apothekers Zweifel an dessen Echtheit aus. Sie zeigt das Rezept dem Apotheker, der sich nunmehr bei Dr. med. S. informieren möchte, ob dieser das Rezept ausgestellt hat.
Bereits an dieser Stelle, also der Rückfrage des Apothekers bei dem vorgeblich behandelnden Arzt, lauern erste Fallstricke. Denn die durch § 203 StGB sanktionierte Schweigepflicht gilt auch zwischen Berufsgeheimnisträgern (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1991, Az.: VIII ZR 4/91, Rn. 26). Somit darf sich der Austausch zwischen Ärzten untereinander oder Arzt und Apotheker nicht ohne Weiteres auf sensible Patienteninformationen beziehen. Auch in diesem Verhältnis besteht das Risiko einer Strafbarkeit. Dass der Mitteilungsempfänger, also der Arzt oder Apotheker, selbst schweigepflichtig ist, ist irrelevant.
Bei einem etwaigen Anruf eines Apothekers bei dem verordnenden Arzt ist jedoch eine rechtliche Besonderheit zu beachten: So setzt die Verwirklichung des Straftatbestandes voraus, dass dem verschreibenden Arzt die Information bislang noch unbekannt gewesen ist. Dies bedeutet, dass der verschreibende Arzt bislang noch keine Kenntnis von der Erkrankung des Patienten beziehungsweise von der gewählten Art der Medikation gehabt haben darf. Dies ist bei einem behandelnden Arzt, der auch das einzulösende Rezept ausgestellt hat, indes nicht der Fall. Diesem ist – im Zweifel bereits deutlich vor dem Apotheker – bekannt, woran der Patient leidet und welche Arzneimittel er verschrieben hat, sodass der Apotheker ihm durch einen Anruf kein „Geheimnis“ offenbaren kann. Bereits dies schließt einen Bruch mit der Schweigepflicht und damit auch eine Strafbarkeit aus. Stellt sich im Rahmen des Telefonates heraus, dass der Arzt nicht der Verordner ist, unterliegt der Apotheker einem Irrtum, der den Straftatbestand ausschließt.
Für diese Auffassung streitet auch § 17 Abs. 8 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Hiernach hat das pharmazeutische Personal einem erkannten Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten. Entsprechend wird in der Literatur zutreffend darauf verwiesen, dass der Apotheker sich unverzüglich über die Verdachtsmomente vergewissern und bei dem Arzt, den das Rezept ausweist, Rückfrage halten muss. Bei einem begründeten Missbrauchsverdacht, also bei konkreten Anhaltspunkten hierfür, ist die Abgabe zu verweigern.
Information der Polizei
Fall 2: Der Apotheker der M. Apotheke hat im Rahmen des Telefonates mit dem vorgeblich behandelnden Arzt erfahren, dass dieser die Tabletten nicht verschrieben hat. Er stellt sich nunmehr die Frage, ob er die Polizei über die mögliche Rezeptfälschung informieren darf.
Zunächst gilt, dass der Apotheker durch seine Schweigepflicht gebunden ist, die nicht grundsätzlich durch den Verdacht einer strafrechtlichen Handlung eines Kunden aufgehoben wird. Eine Strafanzeige wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Apotheker zur Information der Polizei verpflichtet oder zumindest berechtigt ist.
Eine Pflicht zur Erstattung von Strafanzeigen und damit zur Information der Polizei ist im deutschen Strafrecht eine Ausnahme und nur in bestimmten, hier nicht relevanten Sonderfällen einschlägig (vgl. § 138 StGB).
Es stellt sich somit die Frage, ob der Apotheker zumindest das Recht hat, die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu informieren, auch wenn er hierzu nicht verpflichtet ist. Diese Frage ist in der Rechtsprechung nicht entschieden.
Verhaltenshinweise für Apotheker finden sich in den Internetauftritten der Landesapothekerkammern. Die Apothekerkammer Berlin beispielsweise formuliert auf ihrer Webseite als „Faustregel“, dass eine Strafanzeige jedenfalls dann unzulässig sei, wenn ein Arzneimittel noch nicht abgegeben wurde. Eine nähere Begründung hierfür liefert sie nicht.
Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg verweist darauf, dass im Einzelfall eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen ist. Nach ihrer Auffassung kann das „Persönlichkeitsrecht des ‚Kunden‘“ zurücktreten, wenn eine Gefährdung von Leben, Leib oder Gesundheit Dritter zu befürchten ist. Eine pauschale Untersagung einer Meldung an die Polizei, wie es die Landesapothekerkammer Berlin vornimmt, fehlt an dieser Stelle.
Besteht ein rechtfertigender Notstand?
Zutreffend ist, dass eine Rechtsgüterabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist. Diese Rechtsgüterabwägung resultiert aus § 34 StGB. Der hier normierte sogenannte rechtfertigende Notstand kann eine Mitteilung an die Polizei rechtfertigen, wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
In diese Abwägung muss maßgeblich der Gedanke der Vorschrift des § 17 Abs. 8 ApBetrO einfließen, wonach der Apotheker einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten hat und bei begründetem Missbrauchsverdacht die Abgabe verweigern muss (s. o.). Darüber hinaus wird der bloße Anruf beim verordnenden Arzt nicht weiterhelfen. Denn der Kunde könnte bei fehlender Unterstützung staatlicher Ermittlungsbehörden auf den Gedanken kommen, das Rezept bei einer anderen Apotheke einzureichen. Der Anruf bzw. die Strafanzeige dient demnach nicht nur der Verfolgung einer bereits begangenen Straftat (Fälschung des Rezeptes), sondern auch der Verhinderung weiterer Straftaten wie der Verwendung gefälschter Rezepte oder insbesondere dem Handel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln oder gar Betäubungsmitteln (Beschaffungskriminalität). Dies sind erhebliche Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Im Rahmen der Abwägung dürfte der Versuch, verschreibungspflichtige Betäubungsmittel zu erlangen, besonders schwer wiegen, da dies mit einer erhöhten Gefahr des Missbrauchs (auch für Dritte) und eines wahrscheinlichen Handels einhergeht.
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