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Diskussionspapier zur Apothekenreform
Analyse zum „Seyfarth-Papier“: Sofortprogramm und ambivalente Zukunftsideen
Sofort 900 Millionen Euro mehr Honorar und einige, teilweise heikle organisatorische Vereinfachungen für die Apotheken - später eine große Reform mit mehrstufiger Honorierung und möglicherweise weitreichende Systemänderungen. Das sind die wesentlichen wirtschaftlichen Aspekte im jüngsten Diskussionspapier einer Autorengruppe um den hessischen Verbandschef Seyfarth. Eine Übersicht und erste Einschätzung dazu gibt DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn in einer Analyse.
Ein selbsternannter Expertenkreis um Holger Seyfarth, den Vorsitzenden des Hessischen Apothekerverbandes, hat die Diskussion um das geplante Apotheken-Reformgesetz mit einer Stellungnahme angeheizt . Sie enthält viele Vorschläge, die eine differenzierte Betrachtung erfordern. Diese soll hier mit dem Blick auf die wirtschaftlichen Folgen für das Kerngeschäft beginnen. Denn dort liegt angesichts des Apothekensterbens derzeit die wesentliche Herausforderung.
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In dem Diskussionspapier geht es allerdings zunächst um ein künftig erweitertes Aufgabenspektrum mit mehr pharmazeutischen Dienstleistungen, vielen Präventionsangeboten und erweiterten Märkten. Dies mögen durchaus interessante Perspektiven sein, aber für die hier interessierende Finanzierung des Kerngeschäfts ist das nicht relevant. Vielmehr ist ein auskömmlich honoriertes Kerngeschäft nötig, um perspektivisch über neue Aufgaben sprechen zu können. Zur Sicherstellung der Grundversorgung verweisen die Autoren auf Deregulierungsansätze im Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums. Apotheken ohne Apotheker werden entschieden abgelehnt, die übrigen Vorschläge hingegen begrüßt, weil sie Chancen auf Kostensenkungen bieten würden.
Sofortprogramm mit 900 Millionen Euro gefordert
Bei den eigentlichen wirtschaftlichen Maßnahmen unterscheiden die Autoren zwischen einem Sofortprogramm und einer langfristigen Honorarreform. Das Sofortprogramm sieht eine Erhöhung des Festzuschlags für Rx-Arzneimittel um 1,20 Euro vor, was den Apotheken gut 900 Millionen Euro mehr bringen würde. Das ist nur etwa ein Drittel der ABDA-Forderung, aber auch hier wird offensichtlich, dass es ohne mehr Geld im System nicht geht. Allerdings sehen die Autoren weitere Quellen für eine bessere Wirtschaftlichkeit. Übereinstimmend mit der ABDA fordern sie die Wiederzulassung der Skonti, den Verzicht auf die Umverteilung vom prozentualen zum festen Zuschlag und die ohnehin geplante Rückführung des Kassenrabatts auf 1,77 Euro netto. Der Kürzung beim Dienstleistungsfonds stehen die Autoren „neutral“ gegenüber. Die ungenutzten Mittel im Fonds möchten sie in einen neuen Sicherstellungsfonds für unterversorgte Regionen mit einem Startvolumen von 100 Millionen Euro umleiten.
Diese Idee wird seit Jahren mit unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten für das Geld diskutiert. Hier soll es für „Gemeindeapotheken“ oder „gemeindegeförderte Apotheken ohne kapitalgesteuerte Fremdbesitzinteressen“ eingesetzt werden, aber es bleibt offen, unter welchen Voraussetzungen Apotheken förderberechtigt wären. Der Vorteil dieser Idee liegt darin, dass mit einem auf Bundesebene überschaubaren Betrag an eher wenigen sehr problematischen Standorten relativ viel zu erreichen wäre. Für die „Normalapotheke“ wäre das allerdings irrelevant.
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Weniger Kosten und Risiken, mehr Wirtschaftlichkeit
Zu den Sofortmaßnahmen zählt auch ein „Entbürokratisierungs-Programm“, das allerdings viele komplexe Vorschläge enthält, die gerade nicht „sofort“ umzusetzen sein dürften. Dies sind Wirkstoffverschreibungen und eine Erweiterung der Austauschmöglichkeiten, neue Möglichkeiten beim E-Rezept mit retaxsicherer Prüfung, Freigabe bei der Abgabe und Online-Direktabrechnung, eine kritische Durchforstung der Apothekenbetriebsordnung, insbesondere bei Dokumentations- und Prüfpflichten, sowie die Abkehr von formalen Qualifizierungssystemen.
Wirkstoffverordnungen sind auch ein Thema bei der ABDA. Sie haben im ARMIN-Modell die Rabattquote erhöht und die Kontaktaufnahmen zu den Praxen reduziert (siehe DAZ.online vom 16. 5. 2023). Die überzeugende Grundidee dahinter könnte aber noch viel mehr verfolgt werden, als dies bisher bei der ABDA geschieht: Weniger Bürokratie würde Zeit und damit Geld sparen. Die Vorschläge zum E-Rezept sollen offenbar mit geringeren Retaxrisiken Ausfälle verhindern und Kosten für betriebsinterne Prüfungsvorgänge verringern. Mehr Wirtschaftlichkeit muss sich nicht nur aus mehr Honorar speisen, sondern kann auch durch weniger Kosten erreicht werden. Angesichts knapper Kassen sollte die Politik dafür offen sein, aber jeder einzelne Vorschlag dürfte eine schwierige Debatte entfachen, die viele Interessen berührt. Das erscheint wenig aussichtsreich für ein Sofortprogramm. Wie komplex das Thema ist, mag ein einziger Gedanke verdeutlichen: Retaxsichere Prüfungen und Freigaben in Echtzeit klingen verlockend, würden aber die Krankenkassen direkt an den HV-Tisch führen, die Macht der Krankenkassen zementieren und viele Verfahrensfragen aufwerfen. Mehr Handlungsmöglichkeiten für Apotheken und die Abschaffung von Retaxationen durch den Gesetzgeber wären viel einfacher umzusetzen und wirkungsvoller. Die Konsequenz sollte daher wohl sein, mehr über Kostensenkungen durch Entbürokratisierung nachzudenken, dabei in großem Rahmen zu denken und endlich konkrete Vorschläge zu formulieren.
Vorschlag für mehrstufiges Honorar
Während das Sofortprogramm großenteils mit den derzeitigen ABDA-Forderungen kompatibel ist, gehen die Ideen für die langfristige Novellierung der Honorierung weit darüber hinaus und teilweise in ganz andere Richtungen. An die Stelle des Kombimodells soll eine Mischfinanzierung aus einer kaufmännischen Komponente und einem Abgabehonorar treten. Durch Minimierung von Retaxrisiken, sofortige Direktabrechnung und möglicherweise sogar ein Rx-Warenlager auf Kommissionsbasis sollen die Risiken so vermindert werden, dass minimale Aufschläge im Bereich von wenigen Prozent weiterhin vertretbar sind, heißt es in der Stellungnahme. - Doch ein Warenlager auf Kommissionsbasis wäre ein vollkommen anderes Geschäftsmodell, gerade weil die wirtschaftliche Verantwortung nicht mehr beim Apothekeninhaber läge. Das würde grundlegende Fragen zum Selbstverständnis der Apotheke als kaufmännischer Betrieb aufwerfen und könnte die Arzneimittelhersteller in eine unerwünschte Nähe zu den Patienten rücken. Einzelne, fast beiläufig erwähnte Aspekte des Papiers enthalten demnach Änderungen von Grundsatzpositionen mit kaum überschaubaren Folgen, ohne dass dies im Papier thematisiert wird. Zugleich erscheint die Kritik der Autoren nachvollziehbar, dass die ABDA solche Themen überhaupt nicht ansieht.
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Mehr Honorar, weniger Unsinn
Der überwiegende Teil der Vergütung soll nach der Honorarreform durch pharmazeutische Honorare erfolgen, die in unterversorgten Gebieten durch Grund- und Vorhaltepauschalen ergänzt werden. Das pharmazeutische Honorar soll aus einer Grundpauschale pro Packung und einer Betreuungspauschale aufgrund einer Einschreibung bestehen. Die Einschreibungen sollen auf bestimmte Patientengruppen begrenzt werden können. Für die eingeschriebenen Patienten sollen die Apotheken erweiterte Dienstleistungen erbringen, die pauschal honoriert werden. Nur „hochspezielle Leistungen“ sollen separat honoriert werden.
Mehr Fragen als Antworten
Dabei irritiert, dass die Autoren die Kosten für die Apothekeninfrastruktur nicht erwähnen. Neben dem kaufmännischen Umgang mit der Ware und den pharmazeutischen Tätigkeiten müssen auch die Räume und die Ausstattung der Apotheke finanziert werden. Wenn sich das Fixum nur an der Beratung orientiert, bleibt dieser große Kostenblock unbeachtet. Das Honorar für die eingeschriebenen Patienten darf keinesfalls als Querfinanzierung angelegt werden, denn Prognosen über die Bereitschaft zu solchen Einschreibungen sind höchst unsicher. Da dies für die Patienten Neuland wäre, ist höchst zweifelhaft, ob daraus ein wirtschaftliches Standbein für die Apotheke werden kann. Außerdem fehlen bei dem ganzen Konzept die Zahlen. Wenn Personal und Geld schon jetzt kaum ausreichen, bleibt offen, wie weitere Aufgaben finanziert werden sollen. In dem Vorschlag heißt es, die Honorare würden „betriebstragend“ einschließlich Unternehmerlohn für den GKV-Versorgung gestaltet. Sie würden jährlich entsprechend der Einnahmen der Krankenkassen und anhand veränderter Bedarfsprofile angepasst, heißt es in der Stellungnahme. - Wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre, könnte das aber schon seit zwanzig Jahren geschehen. Doch die Autoren lassen alle seit Jahren ungeklärten Fragen zur Verteilung der Fixkosten und zur sonstigen Zuordnung der Kosten außer Acht. Es ist seit 2004 nur einmal unzureichend gelungen, den Festzuschlag zu erhöhen. Seitdem scheut sich der Verordnungsgeber ein taugliches Verfahren zu entwickeln. Woher nehmen die Autoren den Optimismus, dass sich das ändert?
Vorschläge mit weitreichenden Folgen
Doch die große Reform soll noch viel weiter gehen. Bei so vielen Vorschlägen besteht durchaus die Gefahr, dass die Politik die Einsparmöglichkeiten auswählt, aber die kompensierenden Maßnahmen weglässt. - Die Autoren schlagen vor, die Einkaufsrabatte abzuschaffen und die Großhandelsvergütung zugunsten der Apotheken zu reduzieren. Was dies für die Partnerschaft mit dem Großhandel bedeutet, thematisieren die Autoren nicht. Die Umsatzsteuer auf Rx-Arzneimittel soll auf sieben Prozent reduziert werden, dies aber wohl eher, um die Krankenkassen zu entlasten. Die Stellungnahme sieht außerdem vor, die Kassenrabatte abzuschaffen. Damit entfiele jedoch der Anreiz für schnelle Zahlungen der Krankenkassen, die für die Finanzierung der Warenströme in Apotheken unverzichtbar sind. Mit der propagierten direkten Sofortabrechnung schlagen die Autoren zwar ohnehin ein ganz neues System vor, aber gerade dort wäre zu fragen, was die Krankenkassen zur unverzüglichen Zahlung veranlassen soll. Damit erscheint dieser Vorschlag eher als undurchdachter Wunschtraum.
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Heikle Umverteilung statt mehr Honorar
Zur Honorierung schlagen die Autoren außerdem „Erfolgsbestandteile“ beim Erreichen pharmazeutisch-therapeutischer, ökonomischer oder logistischer Zielgrößen vor. Das erinnert an ein solches System in den Niederlanden. Dort läuft es praktisch darauf hinaus, dass die Apotheken ihr früheres Honorar nur mit zusätzlichem bürokratischen Aufwand erhalten, ansonsten weniger. Aus wirtschaftlicher Sicht wirkt der Vorschlag damit heikel. Wesentlich aussichtsreicher erscheint die Idee, für eher risikobehaftete OTC-Arzneimittel eine neue Abgabekategorie „verschreibungspflichtig durch Apotheken“ zu schaffen. Diese Produkte sollen in das Rx-Festpreissystem übernommen werden. Dann würden die Apotheken eine gesicherte Marge erhalten, ohne die Krankenkassen zu belasten.
Auch mal weiter denken
Damit zeigt schon eine erste Analyse vor allem die Komplexität der Vorschläge und ihrer Folgen. Es wird aber auch erkennbar, wie viele denkbare Ideen bisher zumindest in der offiziellen Berufspolitik nicht diskutiert wurden. Es sind sicherlich viele Veränderungen denkbar, ohne das Grundkonzept der inhabergeführten Apotheken anzutasten. Was die Wirtschaftlichkeit angeht, sollte das vor allem heißen, Kosten und Risiken zu minimieren. Möglicherweise kann dies gegenüber der Politik ein Ansatz sein, ganz andere Wege mit den Krankenkassen zu finden.
4 Kommentare
Diskussionspapier zur Apothekenreform
von Michael Hofheinz am 09.07.2024 um 19:04 Uhr
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Gut analysiert - Kernsatz getroffen!
von Uwe Hansmann am 09.07.2024 um 18:46 Uhr
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.
von Anita Peter am 09.07.2024 um 11:04 Uhr
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AW: Neue Vorschläge
von Roland Mückschel am 09.07.2024 um 12:53 Uhr
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