Fragwürdige Praktiken

Mit wenigen Klicks zum Cannabis-Rezept – Apotheken kritisieren Online-Plattformen

Lissabon - 04.09.2024, 17:50 Uhr

Medizinalcannabis boomt seit der Genusscannabis-Konsum legal ist. (Foto: IMAGO / Torsten Leukert)

Medizinalcannabis boomt seit der Genusscannabis-Konsum legal ist. (Foto: IMAGO / Torsten Leukert)


Viele Online-Plattformen stellen Privatrezepte für Cannabisblüten aus. Für einen direkten Versand arbeiten sie dabei auch mit Apotheken zusammen. Doch die Praktiken vieler dieser Anbieter seien fragwürdig, sagt der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken.

Seitdem Cannabis nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, ist der Dokumentationsaufwand bei einer Verschreibung geringer geworden – insbesondere dann, wenn ein Privatrezept ausgestellt wird. Das hat zu einem starken Ansturm auf telemedizinische Plattformen geführt, die ausschließlich Cannabis-Rezepte ausstellen und Blüten auch direkt liefern.

Doch das Vorgehen vieler dieser Anbieter sei nicht immer gesetzeskonform, sagt Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbands der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA). „Die rechtlichen Vorgaben sehen auch für telemedizinische Plattformen eine umfassende Anamnese beim Erstkontakt mit dem Arzt vor. Er muss Befunde einsehen und abfragen, welche Medikamente jemand einnimmt“, sagt Neubaur. Bei den Online-Plattformen gebe es aber oft nicht einmal ein persönliches Gespräch. Stattdessen müssen bei vielen Anbietern nur Fragebögen ausgefüllt werden, wobei man zwischen vorgegebenen Diagnosen wählen kann.

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Nicht einmal das Alter der Patienten lasse sich so sicher feststellen. So müssen in der Regel Bilder von Ausweisdokumenten hochgeladen werden, offiziell werden nur an Erwachsene Rezepte ausgestellt. Ohne Videokonsultation falle es aber nicht auf, wenn jemand einfach den Ausweis eines älteren Bruders verwendet. „Wir sind nicht gegen Telemedizin, denn die füllt eine Lücke, und es gibt auch seriöse Anbieter. Aber wir fordern, dass die rechtlichen Vorgaben eingehalten werden“, sagt Neubaur.

Sind Exklusivverträge mit einzelnen Apotheken rechtmäßig?

Problematisch sei auch, wie die Plattformen mit Apotheken zusammenarbeiten. So werden den Patienten bei Ausstellung des Rezepts meist direkt Cannabisblüten bestimmter Apotheken angeboten. „Exklusivverträge mit einzelnen Apotheken sind aber eigentlich nicht rechtmäßig, schließlich besteht das Recht auf freie Apothekenwahl“, sagt Neubaur. „Es ist eine Grauzone.” Außerdem könne es nicht sein, dass bei einem telemedizinischen Angebot von vornherein feststeht, dass nur Cannabis verschrieben wird, und Alternativen gar nicht infrage kommen.

Der Trend zum privaten E-Rezept aus dem Netz macht sich auch in den niedergelassenen Apotheken bemerkbar: „Wir werden hier geflutet mit Privatrezepten“, sagt Neubaur. Der Anteil von Privat- zu Kassenrezepten betrage etwa 80 zu 20, schätzt sie. Vorher habe er bei etwa 60 zu 40 gelegen.

Apotheken müssen Kontrahierungszwang beachten

Wenn Kunden mit dem Rezept einer Telemedizin-Plattform erscheinen, müssten sie auch beliefert werden: „Es besteht für uns Kontrahierungszwang und wir können nicht alles nachkontrollieren“, sagt Neubaur. Manchmal gebe es aber Unstimmigkeiten auf solchen Rezepten. Dann komme es immer wieder vor, dass die ausstellenden Ärzte telefonisch für Rückfragen gar nicht erreichbar sind. Viele hätten ihren Sitz im Ausland. In diesem Fall kann die Herausgabe von Cannabisblüten verweigert werden.

Neubaur will Apotheken, die aus wirtschaftlichen Gründen mit den Plattformen zusammenarbeiten, keinen Vorwurf machen. Für die anderen Cannabis versorgenden Apotheken sei das Modell aber aus verschiedenen Gründen ärgerlich. „Durch die hohe Nachfrage über die Plattformen entstehen Lieferengpässe, die für uns einen Mehraufwand bedeuten, weil dann auf andere Produkte ausgewichen und ein neues Rezepte beantragt werden muss”, erklärt die VCA-Geschäftsführerin. Zudem würden die Preise gedrückt, und zwar weit unter das Schwarzmarkt-Niveau: Weil Apotheken über die Plattformen ausschließlich Blüten bestimmter Hersteller anbieten und so andere Konditionen aushandeln können.

Grenze zwischen medizinischer Anwendung und Freizeitkonsum verwischt

Ärgerlich sei, dass durch die Verschreibungspraxis vieler Plattformen die Grenze zwischen Freizeitkonsumenten und echten Cannabispatienten verschwimmt. Zu leicht könnten dort Symptome nur vorgegeben werden. Diese Vermischung schade aber dem Ansehen von Cannabis als Medikament: „Es macht alles kaputt, für das wir seit Jahren gekämpft haben, nämlich ein seriöses Ansehen von Cannabis als Medizin“, beklagt Neubaur. Sie weiß sogar von niedergelassenen Ärzten, die nur noch Extrakte, aber keine Cannabisblüten mehr verschreiben wollen, weil sie nicht mit unseriös erscheinenden Plattformen in einen Topf geworfen werden wollen.

Der VCA hat nun Briefe an die Bundesärztekammer, die Bundesapothekerkammer und die Politik geschrieben, um auf die Missstände mit den telemedizinischen Plattformen hinzuweisen. „Diese Organe haben eine Aufsichtspflicht, der sie auch nachkommen sollten“, so Neubaur.

Dass Freizeitkonsumenten in der Zukunft ohnehin größtenteils auf den Cannabisanbau in Klubs oder den Eigenbau ausweichen, glaubt die Pharmazeutin nicht. Zudem könne es noch sehr lange dauern, bis diese erste Ernten einfahren – von über hundert Anträgen für Anbaugemeinschaften seien erst einzelne genehmigt worden.

„Nicht alle über einen Kamm scheren“

Franjo Grotenhermen ist  Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin und setzt sich seit Jahren für einen besseren Zugang zu medizinischem Cannabis ein. Die Verordnungspraxis der telemedizinischen Plattformen sei oft zu lasch, bestätigt auch er. „Man kann aber nicht alle über einen Kamm scheren“, so Grotenhermen. Er selbst stellt seinen Patienten auch telemedizinische Rezepte aus, wobei aber zumindest der Erstkontakt in der Regel aus einer persönlichen Konsultation in seiner Praxis besteht. 

Zudem arbeitet Grotenhermen mit der Plattform Canncura zusammen und ist dort seit dem vergangenen Jahr ärztlicher Leiter und Berater. Er habe einen Weg gesucht, mehr Patienten, die diese benötigen, Rezepte zukommen zu lassen, sagt Grotenhermen. Bei Canncura sei es nun sein Ziel, die gleichen Standards wie in seiner Praxis einzuführen. Canncura weist zum Beispiel ausdrücklich daraufhin, dass Patienten selbst ihre Apotheke wählen können und vermittelt sogar, anders als die meisten anderen Anbieter, den Kontakt zu Ärzten, die in ihrer Praxis Kassenrezepte ausstellen.

Bisher gab es nicht viele Ärzte, die das tun. Auch weil das Prozedere aufwendig war und häufig eine Ablehnung der Kassen drohte. Nun wurde zwar der Genehmigungsvorbehalt für viele Arztgruppen abgeschafft. Ob sich an der Verschreibungspraxis etwas ändert, bleibe abzuwarten, sagt Grotenhermen. Denn im Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses werde einschränkend darauf hingewiesen, dass ohne Genehmigung der Krankenkassen trotzdem später Regressforderungen drohen können.

Schadet der Plattform-Boom den Patienten?

Daniela Joachim ist Vorsitzende des Bunds Deutscher Cannabis-Patienten und selbst auf die Schmerztherapie mit Cannabisblüten angewiesen – zusätzlich zur Therapie mit Opioiden, um deren Dosis geringer zu halten. Auch sie beobachtet den Boom der Online-Plattformen mit Sorge. „Es kann uns Patienten schaden, wenn dadurch auch Freizeitkonsumenten Cannabis auf Rezept bekommen.“ Sie hat Angst, dass Cannabisblüten irgendwann ganz aus der Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen werden könnten. Deren ohnehin zurückhaltende Haltung bei der Erstattung könne durch möglichen Missbrauch noch befeuert werden.


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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