Podiumsdiskussion

Gesundheitsversorgung in Gefahr – Lösungen funktionieren nur gemeinsam

Berlin - 16.09.2024, 17:00 Uhr

Ina Lucas, Anke Rüdinger, Anne-Kathrin Klemm, Peter Bobbert, Silke Gebel, Melanie Dolfen, Nicole Praima, Dena Rostamzadeh, Moderator Alexander Müller und Anne von Fallois.  (Foto: Sandra Schneider)

Ina Lucas, Anke Rüdinger, Anne-Kathrin Klemm, Peter Bobbert, Silke Gebel, Melanie Dolfen, Nicole Praima, Dena Rostamzadeh, Moderator Alexander Müller und Anne von Fallois.  (Foto: Sandra Schneider)


Auch in Berlin schrumpft die Apothekenzahl seit Jahren. Wenn der Bundesgesundheitsminister nun seine Reformvorstellungen durchdrücken sollte, sehen Berliner Apothekerkammer und Apotheker-Verein die „Gesundheitsversorgung in Gefahr“. Und damit sind sie nicht allein, wie eine bunt besetzte Diskussionsrunde zeigte.

Die Apothekerkammer Berlin und der Berliner Apotheker-Verein hatten am vergangenen Donnerstagabend in einen Hörsaal der Staatsbibliothek zu Berlin geladen, um über die Apotheken-Reformpläne des Bundesgesundheitsministers zu diskutieren. Rund 200 Menschen waren dieser Einladung gefolgt. Wie die Gastgeberinnen, Kammerpräsidentin Ina Lucas und Vereinsvorsitzende Anke Rüdinger, die Sache sehen, machte schon der Titel der Veranstaltung klar: „Gesundheitsversorgung in Gefahr“. 

In ihrem Eingangsstatement betonte Lucas, dass die von Minister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Reformpakete ihrem Anspruch, die vorhandenen Probleme im Gesundheitswesen zu lösen, kaum gerecht würden. Die heutigen und künftigen Herausforderungen könnten nur alle Beteiligten gemeinsam bewältigen.

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Anke Rüdinger zeigte in Kürze die problematischen Punkte des Apotheken-Reformgesetzes auf. Sollte es so kommen, wie von Lauterbach geplant, würden Vor-Ort-Apotheken als niedrigschwellige und wohnortnahe Anlaufstellen für die Arzneimittel- und Gesundheitsversorgung über kurz oder lang durch reine Arzneimittelabgabestellen ersetzt, warnte sie. Keinesfalls könne auf diese Weise die Zahl der Apotheken stabilisiert oder gar erhöht werden. „Die Aufhebung des Kreisgrenzenprinzips in Kombination mit der Abschaffung der Anwesenheitspflicht für Apotheker*innen und der Abschaffung der ständigen Dienstbereitschaft würden bereits kurzfristig unweigerlich zu spürbaren Qualitäts- und Leistungseinschränkungen für die Patienten führen“. Mittelfristig sei sogar damit zu rechnen, dass der Grundsatz der persönlichen apothekerlichen Verantwortung sowie das Fremdbesitzverbot auf dem Spiel stünden. „Damit wäre der Weg für investorengetriebene Apothekenketten geebnet“. Rüdinger betonte zudem erneut, dass mehr Geld im System zwingend nötig sei – die Umverteilungsideen des Ministers könnten angesichts des jahrelangen Honorarstillstandes nichts ausrichten. Kurzum: Reformen sind wichtig und richtig – aber die Politik müsse die Hinweise und Sorgen derjenigen berücksichtigen, die tagtäglich in den Apotheken arbeiten.

SoVD-Vorsitzende warnt vor eingeschränkten Leistungsansprüchen

Dass nicht nur die Apotheken selbst existenzielle Sorgen umtreiben, zeigte sodann Michaela Engelmeier, die Vorsitzende des Vorstands des Sozialverbands Deutschland SoVD, auf. Sie betonte, wie essenziell Apotheken für ihre Mitglieder seien – gerade auch am Wochenende und in der Nacht. Lauterbachs Apothekenreform erkenne zwar die Probleme, doch die Wege, sie zu lösen, sehe man beim SoVD sehr kritisch – allen voran die Apotheke ohne Apotheker*in, die zu einem eingeschränkten Leistungsanspruch führen würde.

In der anschließenden Diskussionsrunde kamen die Berliner Apothekerinnen Dena Rostamzadeh und Melanie Dolfen zu Wort – erstere hat eine kleinere Kiezapotheke in Lankwitz, letztere betreibt die beiden „BezirksApotheken“, ist auf Medizinalcannabis und HIV/Hepatitis spezialisiert. Doch ob der Betrieb groß oder klein ist: Beide Pharmazeutinnen sind überzeugt, dass ihnen Lauterbachs Vorschläge – insbesondere auch bei der Honorarumschichtung nicht helfen würden. Wichtig sei nicht zuletzt, dass die Honorierung es ermögliche, die Angestellten ordentlich zu bezahlen.

Zudem saß mit Anne-Kathrin Klemm vom BKK-Dachverband eine Kassenvertreterin auf dem Podium. Auch sie ist grundsätzlich einverstanden, wenn es um die Ziele geht, die der Minister verfolgt – die Umsetzung sei allerdings zum Haare raufen, vor allem das Gesunde-Herz-Gesetz macht ihr in dieser Hinsicht Sorgen. Die Arbeit der Apotheken vor Ort würdigte Klemm ausdrücklich. Sie sieht sogar noch viel mehr Möglichkeiten für sie – als Stichworte nannte sie etwa die pharmazeutischen Dienstleistungen, die Erstversorgung und Impfungen. Was die Frage der Apotheken ohne Apotheker*in betrifft, ist man auch im BKK-Lager kritisch. Hier hält Klemm zunächst eine Aufwertung des PTA-Berufs durch Weiterqualifizierung für nötig.   

Peter Bobbert gab als Präsident der Ärztekammer Berlin Einblick in die Perspektive der Mediziner*innen. Was das Impfen in Apotheken betrifft, warnte er davor, deren offenkundigen Finanzierungsmangel durch neue Leistungen aus dem ärztlichen Bereich zu kompensieren. Hierdurch würden sinnvolle Grenzen zwischen den Professionen überschritten.

Silke Gebel (Grüne) vertrat als Mitglied des Abgeordnetenhauses die Politik – wenngleich auf Landesebene und als Opposition. Für Vergütungsfragen sieht sie sich daher nicht zuständig, doch Gebel hakte interessiert bei den Diskussionsteilnehmerinnen nach. Zugleich argumentierte sie deutlich gegen Bobbert: Sie hält Impfungen für ein gutes Zusatzangebot der Apotheken, um die Impfquoten zu steigern – offenbar gebe es in den Praxen zu wenig Ansprache zu diesem Thema

Nicht zuletzt war mit Nicole Praima auch die Patientensicht auf dem Podium vertreten. Ihre 12-jährige Tochter ist seit sieben Jahren pflegebedürftig, braucht hochpreisige Medikamente ebenso wie Rezepturarzneimittel. „Ohne unsere Apotheke wären wir oft aufgeschmissen gewesen“, betonte sie.

Das Schlusswort hielt Anne von Fallois, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Deutschen AIDS-Stiftung. Sie betonte die große Bedeutung von HIV-kompetenten Apotheken für die Betroffenen. Es gebe ein fundamentales Interesse, dass die Versorgung so gut bleibe. Sie schloss den Kreis, den Ina Lucas zu zeichnen begonnen hatte: Wichtig sei nun, gemeinsam und in Netzwerken die Dinge zu verändern, damit sie gut bleiben können.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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