Corona-Aufarbeitung

Der lange Schatten der Pandemie

Berlin - 20.09.2024, 16:45 Uhr

Die Gedenkstätte für die Opfer der Corona-Pandemie im italienischen Bergamo. (Foto: IMAGO / Independent Photo Agency Int.)

Die Gedenkstätte für die Opfer der Corona-Pandemie im italienischen Bergamo. (Foto: IMAGO / Independent Photo Agency Int.)


Die Forderungen nach einer Aufarbeitung der Corona-Pandemie werden immer lauter. In der letzten Zeit häufen sich die Meldungen zu diesem Thema. Die DAZ gibt einen Überblick über den Stand der Debatte.

Die Diskussion über die Angemessenheit der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie erhitzt weiterhin die Gemüter. Laut eines Berichts des Europäischen Rechnungshofs (EuRH) waren die zuständigen medizinischen Behörden der EU „nicht ausreichend“ auf die Pandemie vorbereitet. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) habe die Gefahrenlage zunächst unterschätzt, heißt es. So habe die Behörde es Anfang Januar 2020 als unwahrscheinlich eingeschätzt, dass das Virus nach Europa eingeschleppt wird – rund zwei Wochen später traten jedoch die ersten Fälle auf. Erst Mitte März habe das ECDC Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung gefordert.

Der Europäische Rechnungshof sieht klare Mängel in der damaligen Informationspolitik. Wichtige Informationen seien zu spät herausgegeben worden. Zudem habe es keine EU-weite Teststrategie und keinen Ansatz zur Zuordnung Corona-bedingter Todesfälle gegeben. Auch die Messung der Virenkonzentration im Abwasser hätte früher und umfassender erfolgen können, um das Infektionsgeschehen besser abzubilden: „Wie viele andere Einrichtungen auch wurden die medizinischen Agenturen der EU von der Wucht der sich rasch ausbreitenden Corona-Pandemie überrascht“, sagte Joao Leao vom Europäischen Rechnungshof.

Amnestie für Corona-Vergehen

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht sich für die Einstellung aller offenen Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Corona-Infektionsschutzmaßnahmen aus: „Da tritt dann auch irgendwann eine Art von Verjährung ein und deswegen bin ich der Meinung, der Rechtsfrieden an der Stelle wäre gut. Das ist auch immer ein Signal an alle, die mit der Zeit noch sehr gehadert haben, dass auch der Staat akzeptiert, dass man an der Stelle mal den Frieden machen muss.“

Laut der Deutschen Presseagentur (dpa) laufen derzeit noch 17.603 solcher Verfahren in Bayern. 243.173 seien bereits abgeschlossen – hier wurden Bußgelder in Höhe von insgesamt 42 Millionen Euro gezahlt. Wie die Einstellung der Verfahren konkret ablaufen soll, müsse noch im Landeskabinett erörtert werden, heißt es. Strittig ist unter anderem die Frage, ob die bisher beendeten Verfahren rückgängig gemacht und damit die Zahlungen von 42 Millionen Euro rückerstattet werden müssen. Das fordert die bayerische FDP.

Ein Fall aus Österreich

Im Nachbarland Österreich wurde unterdessen eine Frau wegen grob fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten verurteilt, weil sie ihren Nachbarn mit Corona infiziert hatte. Sie soll den krebskranken Mann im Dezember 2021 bei einem Aufeinandertreffen im Hausflur infiziert haben, da sie – entgegen den damals geltenden Infektionsschutzbestimmungen – keine Schutzmaske getragen hatte. Die dpa berichtete in der vergangenen Woche darüber. Die Schuld der Frau konnte nachgewiesen werden, da mittels Gen-Test das Virus im Körper des Verstorbenen mit dem Virus der Frau identifiziert werden konnte.

Zensur der Regierung

Der US-Medienunternehmer Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook, beklagt sich im Nachhinein über eine seiner Meinung nach unverhältnismäßige Einflussnahme der US-Regierung von Joe Biden während der Pandemie auf die Berichterstattung seines Unternehmens. Staatsbeamte hätten im Jahr 2021 massiven Druck ausgeübt „bestimmte Inhalte zur Pandemie, einschließlich Humor und Satire, zu zensieren“, schreibt Zuckerberg in einem Brief an den Justizausschuss des US-Repräsentantenhauses. Zuckerberg bedauere, damals dem Druck nachgegeben zu haben: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir unsere inhaltlichen Standards nicht aufgrund des Drucks einer Regierung in die eine oder andere Richtung aufgeben sollten – und wir sind bereit, uns zu wehren, wenn so etwas noch einmal passiert.“

Gut vorbereitet für die nächste Pandemie?

Mit der Frage, welche Lehren und Maßnahmen für kommende Gesundheitskrisen gezogen wurden, hat sich der Bundesrechnungshof befasst. In einem Bericht kommt die Behörde zu dem Ergebnis, dass Deutschland unzureichend vorbereitet sei. Die Zahl der vorhandenen Intensivbetten sinke beständig seit Oktober 2020 aufgrund des Mangels an Pflegepersonal – und das, obwohl durch zusätzlich zugeführte Finanzmittel eigentlich 13.700 neue Intensivbetten geschaffen werden sollten. Zudem gebe es keinen neuen nationalen Pandemieplan, bemängelt der Bundesrechnungshof.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat diese Kritik am heutigen Freitag zum Teil bestätigt. Mit Blick auf die bemängelte Anzahl der verfügbaren Intensivbetten sagte er: „Richtig ist, wir haben damals den Fehler gemacht, dass man gedacht hat, indem man einfach ein paar Betten hinstellt und Beatmungsgeräte kauft, hat man schon ein zusätzliches neues betreibbares Intensivbett.“ Tatsächlich sei die Zahl der verfügbaren Pflegekräfte entscheidend, daran arbeite man bereits.

Lauterbach will versöhnen

Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Regierung etwas zu verbergen habe, sagte Lauterbach in dieser Woche gegenüber dem ZDF: „Die Aufarbeitung ist notwendig, um dazuzulernen, aber auch um die Bevölkerung zu versöhnen“. In welcher Form diese Aufarbeitung ablaufen soll, ist weiterhin unklar. Lauterbach zeigte sich offen gegenüber dem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geäußerten Vorschlag, einen Corona-Bürgerrat einzuberufen. Festlegen wollte sich der Minister jedoch noch nicht. Seine grünen und liberalen Koalitionspartner hatten sich im Vorfeld für die Einsetzung einer Enquete-Kommission ausgesprochen – die aus Abgeordneten und externen Fachleuten besteht. Hier steht die Klärung von Sachfragen im Vordergrund und weniger persönliche Schuldfragen.

Wagenknecht will Untersuchungsausschuss

Dem Bündnis Sahra Wagenknecht gehen diese Vorschläge zur Corona-Aufarbeitung nicht weit genug. Das BSW hat einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag formuliert, wie „T-Online“ am Donnerstag berichtete. Dafür wäre ein Viertel der Stimmen des Bundestags nötig. Dabei stünde stärker die Frage nach persönlichen Verantwortungen der politischen Entscheidungsträger*innen im Fokus: „Es kam in einem bislang nicht gekannten Ausmaß zu einer für viele Menschen sehr belastenden Spaltung der Gesellschaft, zu Stigmatisierung, Denunziationen, Diffamierungen, Ausgrenzung, Entlassungen und zur Zerstörung beruflicher Karrieren“.

Auch die AfD fordert schon länger die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Gegenüber dem BSW signalisierte die Rechtsaußen-Partei schon länger Kooperationswillen in diesem Punkt. Der AfD-Politiker Stephan Brandner sieht den Antrag des BSW jedoch als Wahlkampfmanöver – das Bündnis hätte die Idee von seiner Partei „abgekupfert“.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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