Die Seite 3

Unglaubliche Anmaßung

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

„Die Arzneimittelversorgung in Deutschland braucht einen Modernisierungsschub“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg, bei der Vorstellung eines „Positionspapiers“ seines Verbands in der letzten Woche. Und diese „10 Handlungsfelder für Qualität und Finanzierbarkeit der Arzneimittelversorgung“ haben es wirklich in sich, auch und vor allem, was den ­Apothekenmarkt betrifft.

Nein, nicht hinsichtlich innovativer Ideen, eher im Gegenteil. Tief in die Mottenkiste der Deregulierungsfreunde der 1990er und 2000er Jahre (nicht umsonst oft auch „Nuller-Jahre“ genannt) greifen die Kassen da: „Eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ist weiterhin dringend geboten“, „Der Versandhandel ist zu stärken“, „Für ein Verbot von Pick-up-Stellen besteht keine Notwendigkeit“ – und das sind nur einige der Vorschläge die sich bereits im Vorspann des Kapitels 9: „Apothekenmarkt zukunftsfähig gestalten“ finden.

Diese Forderungen, allen voran die nach Apothekenketten im Besitz (internationaler) Kapitalgesellschaften, sind ökonomisch betrachtet barer Unsinn. Glaubt der GKV-Spitzenverband wirklich, dass ein großer, vertikal integrierter Pharmahandelskonzern („Apotheke“ mag man da gar nicht mehr schreiben) die Rabatte, die er von den Herstellern bekommt, an die Krankenkassen weitergeben wird? Glauben die Kassen wirklich, dass der dann weiter steigende Preisdruck auf die Hersteller der Tendenz entgegenwirkt, Produktionsstandorte zu bündeln? Diese Bündelung, so das Papier im Kapitel 2 „Qualität der Arzneimittelversorgung verbessern“, sei nämlich einer der Hauptgründe für Lieferengpässe. Diese Tendenz habe aber rein gar nichts mit dem Preisdruck zu tun (sonst könnte man ja schlecht immer größere Rabatte fordern), sondern sei „technisch bedingt“.

Noch ein weiterer Punkt verstört an diesem Papier: Viele am Apothekensystem angeprangerte Umstände treffen auf das GKV-System ebenfalls zu. Es gibt wenig Wettbewerb zwischen den Kassen, Beitragssätze (Preise) und Leistungen (Angebot) unterscheiden sich kaum. Ausländische Anbieter und rein gewinnorientiert arbeitende Kapitalgesellschaften sind ausgeschlossen. Eine weitere Gemeinsamkeit: Die allermeisten Betroffenen sind im Grunde mit der heutigen Struktur zufrieden und sehen ­wenig, zumindest aber keinen fundamentalen Änderungsbedarf.

So unverständlich die Ausführungen des GKV-Spitzenverbands also sind, so empörend sind sie gleichzeitig. Es steht der Gesetzlichen Krankenversicherung als Körperschaft des öffentlichen Rechts schlicht nicht zu, sich über die in unzähligen Gesetzen und Verordnungen geregelte – also ganz offensichtlich den Willen des Gesetzgebers widerspiegelnde – Struktur der Arzneimittelversorgung in dieser Art zu äußern.

Die Gesetze spiegeln den Willen des Gesetzgebers wider. Dieser Gesetzgeber sind die Abgeordneten, gewählt von der deutschen Bevölkerung – die zu etwa 85 Prozent GKV-versichert ist. Es darf also mit gutem Recht gesagt werden, dass der GKV-Spitzenverband hier gegen den erklärten ­Willen seiner eigenen Versicherten agiert.

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