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Ganz Europa wurde heute mit einem Schrecken erweckt: Die Bürger Großbritanniens wollen nicht mehr zur Europäischen Union gehören. Europa muss sich neu aufstellen. Ein Blick auf den Apothekenmarkt zeigt, dass insbesondere die Briten selbst unter ihrer Entscheidung leiden könnten.
Cameron tritt zurück
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag kam Großbritannien nicht zur Ruhe. Erst um 22 Uhr Ortszeit schlossen die Wahllokale. Schon am frühen Abend zeichnete sich eine außerordentlich hohe Wahlbeteiligung von etwa 70 Prozent ab. Während der Nacht wurden dann die einzelnen Wahlbezirke einzeln ausgezählt. Stündlich gab es Meldungen, nach denen die Anti-EU-Wähler in vielen Bezirken stärker abschnitten als erwartet.
Und in der Tat: Gegen sechs Uhr morgens europäischer Zeit legte sich der Fernsehsender BBC fest. Nach der Auszählung von 370 der 382 Wahlbezirke sei die Anzahl der Menschen, die aus der EU austreten wollen, nicht mehr einholbar. Gegen acht Uhr britischer Zeit stand dann das Endresultat fest: Rund 52 Prozent der Briten möchten nicht mehr zur EU gehören. Eine erste weitreichende politische Folge verkündete Premierminister David Cameron gegen 8.30 britischer Zeit selbst: Er werde seinen Posten im Oktober räumen. Ein neuer Premierminister müsse den Austritt aus der EU arrangieren.
Sicherlich wird dieser Prozess viel Zeit benötigen. Wenn es dann aber zum Austritt kommt, werden sowohl die EU als auch Großbritannien auch wirtschaftlich vor einer schweren Probe stehen: Die EU verliert ihren drittgrößten Beitragszahler. Das Vereinigte Königreich müsste rein theoretisch neue Freihandelsabkommen mit der EU aushandeln. Die Frage ist beispielsweise, was mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit passieren wird. Mehr als 2500 deutsche Firmen haben Niederlassungen in Großbritannien. Hunderttausende EU-Bürger arbeiten dort. Fraglich ist, ob es für EU-Bürger auch in Zukunft noch so einfach sein wird, einen Job in Großbritannien anzunehmen.
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Auch die rund 12.000 britischen Apotheken werden den EU-Austritt unmittelbar zu spüren bekommen. Insbesondere bei den so oft benötigten Fachkräften in den Heilberufen wird sich die Frage stellen, ob Approbationen aus der EU noch so einfach in Großbritannien anerkannt werden können. Seit 2005 gilt die gegenseitige Berufsanerkennung innerhalb der EU. Deutsche Apotheker können hierzulande eine Bescheinigung beantragen, mit der sie sich in allen derzeit noch 28 Mitgliedsstaaten bewerben können.
Aber auch in der alltäglichen Versorgung könnten Probleme auftreten. Insbesondere in den vergangenen Jahren wurden viele wichtige EU-Richtlinien im Arzneimittelbereich auf den Weg gebracht, die auch in Großbritannien inzwischen gelten. Ein Beispiel dafür ist die Richtlinie zur Arzneimittelsicherheit. Wie alle anderen Staaten hat sich auch das Vereinigte Königreich dazu verpflichtet, bis 2019 ein neues Sicherheitssystem an Arzneimittelpackungen einzuführen. In Deutschland läuft die Initiative unter dem Namen „Securpharm“ – Medikamentenpackungen sollen mit einem 3D-Barcode versehen werden, damit sie jederzeit in der Lieferkette „sichtbar“ sind. Sollte sich Großbritannien nicht daran beteiligen, könnte der britische Markt Einfallstor für Fälschungen werden.
Grundsätzlich besteht die Frage, wie das Land mit Importen und Exporten von Arzneimitteln umgehen wird. Insbesondere in England ist der Parallelimport von Arzneimitteln aus der EU ein beliebtes Sparinstrument. Eine EU-Richtlinie schützt den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten. Insbesondere wenn der Euro sich gegenüber dem Pfund vergünstigte, importierten Apotheker viele Medikamente aus EU-Staaten.
Celesio ist erst einmal entspannt
Hinzu kommt, dass das Apothekenhonorar im Vereinigten Königreich oft schwankt, weil es ständig neu ausgehandelt wird. Die Regierung hatte aus Spargründen zudem starke Einschnitte an der Apothekervergütung angekündigt. In Zeiten eines sinkenden Apothekenhonorars verdienen sich viele britische Apotheker ein Zubrot mit Im- und Exporten. Sollte der freie Warenverkehr zwischen Großbritannien und der EU nicht mehr gelten, könnte die britische Regierung den Im- und Exporten einen Riegel vorschieben, wenn beispielsweise Lieferengpässe drohen.
Natürlich sind auch viele Unternehmen sowohl im deutschen als auch im britischen Apotheken- und Großhandelsmarkt tätig. Der Stuttgarter Pharmahändler Celesio beispielsweise beschäftigt mehr als 21.000 Menschen im Vereinigten Königreich. Celesio besitzt mit Lloydspharmacy die zweitgrößte Apothekenkette des Landes. Die Celesio-Kette hält etwa 1600 Apotheken in Großbritannien. Der Celesio-Großhändler AAA Pharmaceuticals beliefert etwa 6000 Apotheken.
Auf Nachfrage von DAZ.online gab sich ein Celesio-Sprecher allerdings gelassen: „Was die Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und Europa betrifft, muss nun viel entschieden werden. Wir möchten aber betonen, dass Großbritannien noch für mindestens zwei weitere ein Mitgliedsstaat der EU bleibt. Es wird daher keine unmittelbaren regulatorischen Auswirkungen auf unsere UK-Niederlassungen und ihre Kunden haben.“ Celesio respektiere die Entscheidung der britischen Wähler über die Mitgliedschaft in der EU und werde weiterhin „die Leben von Patienten im Vereinigten Königreich Verbessern“.
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